Nach dem Platzen der FPÖ-ÖVP-Koalitionsverhandlungen hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Donnerstag Gespräche mit den Parteichefs über eine Regierungsbildung aufgenommen.
Den Auftakt machte am Vormittag NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger, zu Mittag folgte Grünen-Obmann Werner Kogler. Am Nachmittag erschien ÖVP-Obmann Christian Stocker, der u.a. von Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer begleitet wurde. Um 16.15 Uhr wird SPÖ-Chef Andreas Babler erwartet.
Stocker fuhr um 14.30 Uhr vor der Hofburg vor. Mit ihm kamen die beiden Chefverhandler, Klubobmann August Wöginger sowie Generalsekretär Alexander Pröll. Überraschend ebenfalls mit dabei war Stelzer, der die Parteispitze in die Hofburg begleitete.
Stocker spricht von “schwieriger Situation”
Stocker hielt sich vor der Unterredung bedeckt. Van der Bellen habe zu Gesprächen geladen, sagte er. Es gelte nun nach dem Aus der Verhandlungen darum, aus dieser “schwierigen Situation” herauszufinden, sagte er bei seinem Eintreffen. Die übrigen ÖVP-Politiker gaben keine Statements ab.
NEOS-Chefin Meinl-Reisinger sagte zuvor bei ihrem Eintreffen um 11 Uhr, Faktum sei, “Herbert Kickl ist gescheitert – mit seinem Anspruch, eine Regierung zu bilden und selber Kanzler zu sein”. Sie selber sei in Kontakt mit den Parteivorsitzenden von SPÖ und ÖVP und werde die verschiedenen Varianten mit ihnen sowie mit dem Bundespräsidenten besprechen, damit “die Bevölkerung rasch eine Regierung bekommt.” Die möglichen Alternativen habe sie schon in den vergangenen Tagen der ÖVP aufgezeigt, um der Volkspartei zu zeigen, “dass man ja nicht ausgeliefert ist, den Allmachtsfantasien von Herbert Kickl”. Die NEOS wollen bei allen Optionen Konstruktivität zeigen, sagte Meinl-Reisinger beim Verlassen der Hofburg.
Kogler für schwarz-rote Regierung & “nackter” Kickl
Die Bevölkerung sehe, dass “Kaiser Kickl nackt ist”, sagte Kogler vor seinem Gespräch mit Van der Bellen. Es gehe nun um eine Zusammenarbeit der konstruktiven Kräfte, für eine Mehrheit im Nationalrat brauche es ÖVP und SPÖ. Der Grünen-Chef betonte – wie der Bundespräsident am Vortag – die Bedeutung von Kompromissbereitschaft für die liberale parlamentarische Demokratie. Er sprach von “neuem Optimismus”: “Wir haben jetzt die Chance, wieder eine proeuropäische Regierung zu kriegen. Eine Regierung, die auch auf Medienfreiheit im Übrigen Wert legt und die Institutionen der Zweiten Republik arbeiten lässt.”
“Wir haben, gegenüber dem, was jetzt gedroht hat, viel, viel mehr gemeinsam, als die Parteien trennt”, meinte Kogler beim Verlassen der Hofburg. Das Trennende müsse man so behandeln, “dass es nicht wieder irgendwelche Unversöhnlichkeiten gibt”. Auf diese Art könne es in den nächsten Wochen zu einer Regierung kommen. Die Rolle der Grünen im Fall einer ÖVP-SPÖ-Regierung beschrieb er so: “Immer, wenn es darum geht, dass wir Mehrheiten haben, spielen die Grünen eine Rolle, wenn es bei ÖVP-SPÖ knapp wird – ich finde zwar, das ist eine übertriebene Sorge – aber wir werden da immer Gespräche führen”. Man könne aber auch “mit Rat und Tat” zur Seite stehen, da die Grünen in den vergangenen Jahren gezeigt hätten, dass sie regieren können. Eine Neuwahl sei ebenso eine Möglichkeit und “auch keine Tragödie”, “es ist nur grad eben schon eine (Wahl, Anm.) gewesen, deshalb sollten die, die gewählt wurden, schauen, dass sie etwas zusammenbringen.”
SPÖ-Präsidium tagt
SPÖ-Chef Babler holte sich vor seinem Treffen mit dem Bundespräsidenten noch Rat des Parteipräsidiums, das am Nachmittag im Parlament zusammenkam. Die meisten Teilnehmer bevorzugten es, durch einen Hintereingang in den Tagungsraum zu gelangen. Frauenchefin Eva Maria Holzleitner räumte hingegen Gerüchte vom Tisch, man könnte Babler als Verhandlungsführer ersetzen. Das bleibe dieser als Parteichef selbstverständlich. Die Steiermark im Präsidium vertritt der Abgeordnete Jörg Leichtfried. Er würde sich nun “eine stärkere Rolle des Parlaments” wünschen. ÖGB-Chef Wolfgang Katzian wollte seinen Parteikollegen vor der Sitzung nicht ausrichten, wohin seine Vorstellungen gehen.
Als gesetzt gilt, dass die SPÖ zu Verhandlungen mit der ÖVP bereit ist und diese auch Babler leiten wird. Doch soll die Rolle der Wiener Landespartei dabei deutlich aufgewertet werden. Dafür in Frage kommt die Dritte Nationalratspräsidentin Doris Bures, die aktuell allerdings dienstlich in den USA weilt. An sich stünden die Sozialdemokraten für unterschiedliche Varianten zur Verfügung. Als wahrscheinlicher galt jedoch zuletzt eine Zweier-Zusammenarbeit mit der ÖVP, ergänzt um thematische Partnerschaften mit anderen Parteien, um die hauchdünne Mehrheit von nur einem Mandat abzusichern. Babler selbst wird sich nach dem Präsidium äußern.
FPÖ-Chef noch ohne Termin
Vorerst noch keinen Termin hat laut FPÖ der blaue Parteichef Herbert Kickl, der erst am Mittwoch bei Van der Bellen den Regierungsauftrag zurückgelegt hatte. Er werde einen solchen auf Wunsch des Präsidenten aber selbstverständlich wahrnehmen, hatte er am Mittwochabend betont.
Der Bundespräsident hatte angekündigt, sich in den kommenden Tagen mit den Parteichefs zu treffen. In einem Statement am Mittwoch sprach er von vier Optionen nach dem Scheitern von Blau-Schwarz: einer Neuwahl, einer Minderheitsregierung unter Duldung des Parlaments, einer Expertenregierung oder einer Koalition mehrerer Parteien. Außer Blau-Schwarz würden im Nationalrat auch ÖVP und SPÖ über eine (nur um eine Stimme abgesicherte) Mehrheit verfügen. Für nötige Stabilität könnten daher sowohl NEOS als auch Grüne mit ihren Stimmen sorgen.
Über die Zukunft wollen die Parteien allerdings auch intern sprechen – während die ÖVP bereits am Mittwoch einen Bundesparteivorstand einberufen hatte, trafen sich die Sozialdemokraten am Donnerstag im Parlament zur Präsidiumssitzung.