Die Vorverlegung der Wien-Wahl auf den Frühling hat sich für die SPÖ bezahlt gemacht, geht es nach Meinungsforschern und Politikwissenschaftern
Zwar sei der eigentliche Grund dafür – eine mögliche FPÖ-Regierung im Bund – weggefallen. Dennoch habe die derzeitige Stimmung der Wiener SPÖ genützt, bestätigten die Politik-Experten Thomas Hofer und Peter Filzmaier im APA-Gespräch. Die FPÖ hätte trotz ihrer Verdreifachung durchaus noch mehr Potenzial gehabt.
Obwohl die Prämisse von Bürgermeister Michael Ludwig, der „blau-türkise Reibebaum“, flach gefallen sei, habe es die SPÖ geschafft, „virulente und doch nicht kleine Themen abzumoderieren“ und gar nicht erst groß aufkommen zu lassen, so Hofer, der der SPÖ einen sachlichen Stil im Wahlkampf bescheinigt. Für Filzmaier lautete die Frage für die SPÖ, ob diese einen Machtverlust zu befürchten habe. „Die Antwort ist: Nein.“
„Schlüssig“ ist für Hofer, dass Ludwig auch weiterhin eine Koalition mit der FPÖ ausschließt. „Das ist fast schon Folklore in der Wiener SPÖ“, meint der Politik-Berater, habe man sich immerhin stets als Antithese zu den Freiheitlichen inszeniert. Würde Ludwig die Tür zur FPÖ aufmachen, „wäre es sehr gefährlich“. Laut Filzmaier konnte die FPÖ genau aus diesem Grund ihr volles Wählerpotenzial nicht ausschöpfen, da eine Regierungsbeteiligung keine Option gewesen sei.
FPÖ-Ergebnis gut, aber nicht „herausragend“
Trotz des Jubels der Freiheitlichen über ihre fast Verdreifachung des Stimmenanteils, meint Filzmaier: „Es ist ein gutes Ergebnis, aber kein sehr gutes und schon gar kein herausragendes.“ Geht man nach den Wählerstromanalysen, habe die FPÖ zwar einstige ÖVP-Wähler zu sich holen können. Allerdings sei es kaum gelungen, einst verlorene Wähler, die 2020 zu Hause geblieben sind, abzuholen. Hofer sieht zudem eine „Kluft zwischen urban und ländlich“ bei den Blauen.
Eine solche Kluft besteht laut dem Politikberater auch bei der ÖVP. Diese habe sich in Wien kaum als Wirtschaftspartei positioniert, sondern auf das Kernthema der FPÖ, die Sicherheit, gesetzt. „Das ist auf Dauer sicher zu wenig“, so Hofer, der aber kaum Auswirkungen auf die Bundespolitik absieht. Auch Filzmaier ortet für die Kanzlerpartei ÖVP eine Negativspirale in den Städten, nicht zuletzt aufgrund der demografischen Entwicklung. Zudem habe die ÖVP kaum noch Strukturen im urbanen Raum.
NEOS-Ergebnis muss ÖVP zu denken geben
Laut Hofer muss sich die ÖVP außerdem der Tatsache stellen, von den NEOS, „die zum Teil aus dem Fleisch der ÖVP kamen“, überholt worden zu sein. „Das muss eigentlich alle Alarmglocken zum Schrillen bringen.“ Auch für Filzmaier bieten die Pinken „das Modell, das sich jüngere Bürgerliche wünschen“. Dennoch dürften sich die NEOS vom guten Ergebnis nicht täuschen lassen, hätten diese doch praktisch kaum an die zunehmenden Nichtwähler verloren, weswegen sich die Relationen verschoben hätten.
Durchaus gerechtfertigt sehen beide Politik-Experten die Freude der Grünen. So sei es diesen gelungen, ein relativ hohes Ausgangsniveau zu halten, so Hofer. „Immerhin, es ist ein Lebenszeichen.“ Auch laut Filzmaier können die Grünen zufrieden sein, die im zweistelligen Bereich stabil seien „und mit guter Wahrscheinlichkeit im Spiel“.