Mehr als 100 Tage ist die neue Kommission im Amt, doch nie zuvor war die Situation für Europa so brisant
Ursula von der Leyen, 66, ist seit 2019 Kommissionspräsidentin – ihre zweite Amtszeit als EU-Chefin steht schon jetzt unter mächtigem Druck:
Der Zollkrieg mit den USA eskaliert völlig, die Ukraine kann nicht hundertprozentig auf US-Hilfen bei ihrem Überlebenskampf zählen, über die zukünftige Sicherheitsordnung Europas entscheiden längst Donald Trump und Wladimir Putin ohne die Europäer: “Wir sind ohne Zweifel in eine neue Ära des erbitterten geostrategischen Wettbewerbs eingetreten”, konstatierte die 66-Jährige zuletzt in Brüssel.
Paradigmenwechsel. Nach kaum mehr als 100 Tagen ist nichts mehr so, wie in von der Leyens erster Amtszeit. Vor fünf Jahren noch stand Klimapolitik an erster Stelle. Doch jetzt sind die Grünen, lange Zeit treibende Kraft für ambitionierte Klimapolitik in Europa, in Brüssel politisch abgemeldet. Ebenso die Liberalen, denen die Kraft des französischen Präsidenten Emmanuel Macron fehlt.
Von der Leyen muss Europa nun allein durch außenpolitisch extrem stürmische Zeiten führen. Jetzt stehen Verteidigung, Energie, Handel und Migration im Mittelpunkt. Eine völlige Neupositionierung und Mammutaufgabe, an der von der Leyen scheitern könnte.
Kein Kontakt zu US- Präsident Donald Trump
Neuer Feind. So ist es ihr bisher noch nicht gelungen, wichtige Kontakte zu Donald Trump aufzubauen. Im Gegenteil.
Trump nimmt die EU inzwischen nicht mehr als Partner wahr, er sieht Brüssel sogar als Gegner. Die transatlantische Front in Bezug auf Russland hat er durchbrochen, er führt lieber direkte Verhandlungen mit Kriegsherr Wladimir Putin über die Ukraine, eine Abstimmung mit Europa gibt es nicht.
Auch hat er die US-Zölle auf Stahl und Aluminium wieder aktiviert, allerdings in deutlich verschärfter Version zu der seiner ersten Amtszeit. So werden ab jetzt 25 statt zehn Prozent Zölle auf Aluminium eingehoben, Fitness-Geräte oder Elektrogeräte, die Aluminium oder Stahl enthalten, werden dadurch empfindlich teurer. Ein 28- Milliarden-Paket.
Gleichzeitig unterstützt sein engster Freund Elon Musk offen und mit viel medialer Macht rechte Parteien wie die AfD, die nichts anderes als die Zerstörung der Union und des Euros zum Ziel haben.
Europas Außenpolitik ist inzwischen irrelevant geworden: Brüssel kontert zwar mit Gegenzöllen auf uramerikanische Produkte wie Whiskey und Motorräder. Das aber ist zahnlos.
Gleichzeitig sehen wir staunend zu, wie Trump Grönland notfalls militärisch übernehmen will, ein Affront sondergleichen gegen das EU-und NATO-Land Dänemark.
NATO-Generalsekretär Mark Rutte pilgerte zumindest zu Trump nach Washington. Bei dem Treffen erneuerte Trump aber den US-Anspruch auf Grönland: “Ich glaube, das wird passieren. Weißt du, Mark, wir brauchen das für unsere Sicherheit”, so Trump.
Auch der Ausstieg aus dem Welt-Gesundheits-Programm, den Pariser Klimazielen sowie Sanktionen gegen den internationalen Strafgerichtshof nehmen wir zur Kenntnis.
Mehr Reibungspunkte zwischen den beiden Seiten des Atlantiks kann es eigentlich kaum geben.
Ein Fantasieprojekt. Doch von der Leyen schiebt diese zur Seite, verdrängt sie. In ihren Augen ist Washington noch immer ein Verbündeter, auch militärisch. Gleichzeitig will sie Europa aufrüsten: 800 Milliarden Euro wären nötig, die aber keiner hat und niemand zahlen wird. Von der Leyen muss dringend einen Kurswechsel einleiten. Es braucht pragmatische Vereinbarungen, Europas wirtschaftliche und politische Stärke muss abgesichert werden.
Sie sollte jetzt das tun, was ihr Vorgänger als Kommissionspräsident gemacht hat: Jean Claude Juncker reiste damals umgehend zu Trump, handelte letztlich den Abbau von Handelsbarrieren aus, leitete eine Phase der Freundschaft zwischen Washington und Brüssel ein.
Was aber macht von der Leyen? Anstatt nach Washington reist sie nach Südafrika.