Der Präsident des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND), Bruno Kahl, warnt davor, die russischen Absichten in Bezug auf den Westen und die NATO zu unterschätzen. „Wir sind sehr sicher und haben dafür auch nachrichtendienstliche Belege, dass die Ukraine nur ein Schritt auf dem Weg nach Westen ist“, sagte Kahl im Podcast Table.Today.
„In Moskau gibt es Leute, die glauben nicht mehr, dass Artikel 5 der NATO funktioniert. Und sie würden das gerne testen.“ Dieser Artikel ist das Herzstück der kollektiven Verteidigung und regelt die Beistandspflichten im Fall eines Angriffs.
Narwa-Szenario
Besonders gefährdet seien dabei die baltischen Staaten. Putin müsse für einen Bündnisfall-Test „keine großen Bombenangriffe fliegen oder Panzerarmeen in Bewegung setzen“. Es reiche schon, „kleine grüne Männchen“ nach Estland zu schicken, so Kahl weiter.
Immer wieder genannt wird dabei ein Szenario: ein möglicher russischer Angriff auf die estnische Grenzstadt Narwa. Die estnische Stadt mit rund 50.000 Einwohnern liegt unmittelbar an der russischen Grenze. Die große Mehrheit der Bevölkerung spricht Russisch – ein Umstand, den Moskau in der Vergangenheit bereits in anderen Regionen propagandistisch genutzt hat, um angebliche Schutzansprüche geltend zu machen.
Das Ziel der russischen Führung sei es, den Einflussbereich nach Westen auszudehnen. „Sie wollen die NATO zurückkatapultieren auf den Stand von Ende der 90er-Jahre. Sie wollen Amerika aus Europa rauskicken und dazu ist ihnen jedes Mittel recht“, sagte Kahl. Er mahnte: „Das muss man in den Anfängen wehren.“ Die Abschreckung sei der „unblutigste Weg“, um Krieg zu verhindern.
Russland verlangt von der Ukraine Kapitulation „und sonst nichts“
Verhandlungen des Westens mit Russland hält der Chef des deutschen Auslandsgeheimdienstes derzeit nicht für vielversprechend. „Es gibt nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass Putin an seiner Denke, in seiner aggressiven Art und Weise, dieses Problem zu Ende bringen zu wollen, etwas geändert hat“, sagte Kahl. Mit Blick auf die jüngsten Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland in Istanbul von Moskau vorgelegten Maximalforderungen sagte der BND-Chef: „Das letzte Papier, was übergeben worden ist in Istanbul, ist ein bester Beweis dafür, dass eigentlich eine Kapitulation verlangt wird und sonst nichts.“