Julian Assange kommt frei. Der WikiLeaks-Gründer befindet sich nach einer 14-jährigen juristischen Odyssee auf dem Weg von einem Londoner Hochsicherheitsgefängnis in einen Gerichtssaal auf der Pazifikinsel Saipan, die vor dem Ersten Weltkrieg unter deutscher Verwaltung stand.
Dort soll er sich am Mittwoch in einer Anklage schuldig bekennen, um freizukommen und in seine Heimat Australien zurückkehren zu können. Nachfolgend Fragen und Antworten zu dem ungewöhnlichen Prozedere:
WO LIEGT SAIPAN?
Saipan gehört zu den Nördlichen Marianen, einem US-Außengebiet im westlichen Pazifik. Diese Inselgruppe liegt etwa 70 Kilometer nördlich von Guam und erstreckt sich über mehr als ein Dutzend Inseln. Wie Guam oder Puerto Rico sind die Nördlichen Marianen ein Teil der USA, ohne den vollen Status eines Bundesstaates zu haben. Die Bewohner sind zwar US-Bürger, dürfen aber nicht an den Präsidentschaftswahlen teilnehmen. Saipan beherbergt aber auch US-Bezirksgerichte. Dort soll Assange am Mittwoch um 9.00 Uhr Ortszeit (1.00 Uhr MESZ) vor Gericht erscheinen.
WARUM IST ASSANGE AUF DEM WEG DORTHIN?
US-Staatsanwälten zufolge will Assange vor einem Gericht in der Nähe seiner australischen Heimat aussagen, aber nicht auf dem amerikanischen Festland erscheinen. Saipan hat den Vorteil, dass es relativ nahe an Australien liegt: Die Entfernung beträgt etwa 3.000 Kilometer. Hawaii ist mehr als doppelt so weit entfernt. “Er muss sich einer Anklage stellen, die nach amerikanischem Recht erhoben wurde”, erklärt Emily Crawford, Professorin an der juristischen Fakultät der Universität Sydney. “Es muss das US-Territorium sein, das Australien am nächsten liegt und kein US-Bundesstaat wie Hawaii ist.”
SAIPAN UND DIE VEREINIGTEN STAATEN
Die Insel hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Zeitweise war sie eine Kolonie Spaniens, Deutschlands und dann Japans. Dann übernahmen die USA im Zweiten Weltkrieg nach der Schlacht von Saipan 1944 die Kontrolle. Nachdem die Insel jahrzehntelang unter US-amerikanischer Kontrolle stand, stimmten die Einwohner 1975 für den Beitritt zu den USA als Territorium. Die Nördlichen Marianen wählten 2008 zum ersten Mal einen Abgeordneten in das US-Repräsentantenhaus, der jedoch keine Stimme im Kongress hat.
WIE GEHT ES WEITER?
Der US-Staatsanwaltschaft zufolge hat sich Assange in einem Anklagepunkt schuldig bekannt, geheime US-Verteidigungsdokumente beschafft und weitergegeben zu haben. Er wird zu einer Haftstrafe von gut fünf Jahren verurteilt, die er bereits verbüßt hat. Wenn der Richter sein Geständnis annimmt, wird Assange nach der Anhörung voraussichtlich nach Australien zurückkehren, wie US-Staatsanwälte erklärten.
WAS WIRD ASSANGE VORGEWORFEN?
Die USA werfen dem Australier unter anderem Geheimnisverrat vor, weil seine Enthüllungsplattform vertrauliche Informationen über das Vorgehen der US-Streitkräfte im Irak und in Afghanistan veröffentlichte. Zahlreiche Unterstützer sehen Assange dagegen als Journalisten, der mutmaßliche Kriegsverbrechen aufdeckte. Assange wurde 2010 in Großbritannien zum ersten Mal aufgrund eines schwedischen Haftbefehls wegen des Vorwurfs eines Sexualverbrechens festgenommen. Der Haftbefehl wurde später fallengelassen. Seither stand Assange zeitweise unter Hausarrest, hielt sich sieben Jahre lang in der ecuadorianischen Botschaft in London auf und wurde seit 2019 im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh festgehalten.