Markus Rogan ist aus der Schwimm-Pension zurück – und das im unter 5°C kalten WM-Becken. Der Psychotherapeut sprach mit uns über die berauschende Wirkung.
Einer der ersten Sprünge ins eiskalte WM-Becken des Südtiroler Örtchens Molveno brachte sogleich einen Weltrekord. Markus Rogan (42), eben erst eingeflogen aus seiner von der Feuerkatastrophe geplagten Heimat Los Angeles, stellte in 58,52 Sekunden eine neue Eisschwimm-Bestmarke über 100 Meter in seiner Altersklasse auf. Es folgten zwei weitere Bestmarken und WM-Bronze über 200 m Lagen! Und das im unter 5°C kalten Wasser -ohne Neopren, nur mit Shorts und Badehaube, dafür mit einem seligen Lächeln auf den Lippen. Markus Rogan kann es mehr als 20 Jahre nach seinen zwei Silbermedaillen von Athen 2004 immer noch: sich überwinden, an die Grenzen gehen, mit der Elite mitschwimmen. Auch wenn er als zweifacher Papa (Ehefrau ist die US-Amerikanerin Leanne Cobb) und Leiter einer Psychotherapiepraxis in Beverly Hills längst nicht mehr in seiner Olympiaform sei.
Sein Sprung ins kalte Wasser. Wasser ist Rogans Element. Eiswasser übt seit Kindertagen eine Faszination auf ihn aus. In Los Angeles, wo er seit 2009 lebt, badet er – anders als viele seiner Nachbarn -nicht im gemütlichen Hot Tub, sondern in der Eiswanne. Seinen hauseigenen Pool, erzählt er, habe er seit Jahren nicht mehr beheizt. Da es in Kalifornien auch richtig kalt werden kann, hat das Wasser derzeit maximal 6,7°C. Das waren die idealen Trainingsbedingungen für seine allererste Eisschwimm-Weltmeisterschaft. Den langen Weg ins beschauliche Südtiroler Trentino trat Rogan an, um den Teamgeist zu spüren und wieder Teil einer Nationalmannschaft zu sein. Der Weg aus den eisigen WM-Fluten war von unzähligen tiefen, erhebenden Emotionen begleitet. “Es war die schönste Zeit! Ich träume von einer Eisschwimm-WM in Österreich.”
Das Interview mit Markus Rogan:
Gratulation zum Erfolg bei der Eisschwimm-Weltmeisterschaft. Wie sind Sie zum Eisschwimmer geworden?
Markus Rogan: Als Kind war ich oft im Bach schwimmen, bin aus Versehen ins Eis eingebrochen oder war im Sommer im Alpenbach schwimmen. Ich habe das immer gerne gemacht. Zuhause in Los Angeles heize ich schon länger im Winter mein Schwimmpool nicht mehr. In L. A. kann es sehr kalt werden, das Wasser des Pools hat derzeit sechs, sieben Grad. Das sind gute Trainingsbedingungen. Und während die meisten Menschen Hot Tubs auf der Terrasse stehen haben, habe ich eine Kältewanne, die benutze ich dann den Sommer über. Gerade im Sommer, wenn es schwül und heiß ist in L. A. und ich grantig bin, dann hüpfe ich in die Eiswanne und dieses Gefühl ist mit einem Mal weg. Das ist fantastisch.
Was fasziniert Sie am Eisschwimmen besonders?
Rogan: Zum einen das Gefühl der Macht über die eigenen Reaktionen. Zum anderen die Endorphinausschüttung, die nach einigen Minuten einsetzt. Ich habe als Psychotherapeut und Suchtexperte viel Erfahrung mit der Wirkung von Drogen. Du wirst davon high, das ist ein tolles Gefühl, aber es ist gesundheitsschädlich. Eisschwimmen sehe ich als eine natürliche Alternative. Dabei probiert man die Apotheke seines unglaublichen Gehirns aus. Das ist viel faszinierender und noch dazu ist es gut für unseren Körper. Ich bin ein Fan von natürlichem Grenzgang.
Und er macht stark!
Rogan: Ja! Man bekommt das großartige Gefühl -und das ist eigentlich das Schönste daran -, dass der schlimmste Teil deines Tages ein freiwilliger war. Wir machen oft den Fehler, unser Leben möglichst angenehm zu gestalten. Aber wenn du es dir nur angenehm machst, geht dir irgendwann entweder das Geld aus oder du bist komplett verweichlicht – oder beides. Wenn du das Unangenehme angenehm machst, schaffst du dir viel mehr Lebensraum.
Kurz zurück zu den Drogen. Eisbaden ist besser als Drogen?
Rogan: Viel besser, weil du natürliche Endorphine auslöst!
Wie sind Sie bei Ihrem ersten Wettkampf, also bei der Eisschwimm-WM, gelandet?
Rogan: Durch Josef Köberl (Anm.: s. Bild li.). Er ist Extremsportler und der Präsident des Österreichischen Eisschwimmverbandes, ein moderner Haudegen -gesundheitsbewusst, teamorientiert und ein unglaublicher Motivator. Es ist auch ein wunderbares Gefühl, wieder Teil einer Nationalmannschaft sein zu dürfen.
Wie überwinden Sie sich? Welche Tipps haben Sie fürs Reingehen ins kalte Wasser?
Rogan: Man muss sich nicht speziell darauf vorbereiten. Man muss sich nur eingestehen wie viel man in seinem Leben jammert, wie verwöhnt man ist und dass man sich damit keinen Gefallen tut. Das ist dann die richtige Einstellung, um sich der Kälte zu stellen. Denken wir mal ein paar Jahre zurück. So lange haben wir noch gar nicht fließendes Heißwasser. Meine Großeltern hatten das in den 50ern in Salzburg sicher noch nicht.
Also nur das richtige Mindset. Und sonst? Atemübungen? Ein Aufwärmprogramm?
Rogan: Einfach rein ins Wasser -nur in Badehose. Natürlich muss man auf seine Gesundheit achten. Die Wettkämpfer müssen sich einem Check-up unterziehen, das sollte jeder machen. Aber viel gesundheitsgefährdender als das Hineingehen ist das Rausgehen.
Was kann passieren?
Rogan: Du bekommst einen After-Shock. Der Körper stellt sich im Wasser auf Überleben ein und entzieht daher aus der Peripherie, also aus Armen und Beinen, das ganze Blut, um es auf die Organe, deren Funktion überlebenswichtig ist, zu konzentrieren. Er heizt das Herz und die Lunge. Deshalb ist einem nach einer Eingewöhnungsphase von circa einer Minute gar nicht mehr so extrem kalt. Wenn wir aus dem Eiswasser steigen, merkt der Körper: Wir überleben doch. Und: Wir können alle Glieder retten. Dann schickt er das warme Blut aus dem Rumpf rein in die Hände und Füße. Dadurch wird aber um Herz und Lunge alles kalt. Das ist belastend für den Organismus. Man bekommt einen Schüttelfrost, darf aber auch nicht sofort ins Heiße, sonst wird das Herz komplett überfordert.
Wie verbringt man diese Phase am besten?
Rogan: Ich gehe ein paar Schritte und bin dankbar, dass ich das machen durfte. Am schönsten ist es, wenn jemand dabei ist, denn es gibt nichts Schöneres als gemeinsam zu frieren. Während des Gehens wärme ich mich langsam auf. Diese Phase des Eisschwimmens spielt eine wichtige Rolle. Denn bei dieser Anpassung wird das gefährliche weiße Fett in das viel gesündere braune Fett umgewandelt, das Wärme erzeugen kann.
Sie gehen als Profisportler gerne an Ihre Grenzen. Wie weit darf und soll man beim Eisbaden gehen? Und wann heißt es: unbedingt Stop!
Rogan: Das Gefährliche ist, wenn du in eine Euphorie kippst. Am Anfang ist die Kälte unangenehm, dann ist sie angenehm und schließlich wirst du euphorisch. In diesem Moment glaubst du dann, du brauchst gar nicht mehr rauszugehen. Wenn du das denkst, musst du aber raus! Das ist dann eine Hypothermie, bei der es gefährlich wird.
Sie verwenden die Kältetherapie seit vielen Jahren auch in Ihrem Beruf als Psychotherapeut. Warum und wie?
Rogan: Ich arbeite viel mit Menschen mit Panikproblemen. Eis ist eine natürlich schwierige Situation, da der Körper in den Überlebensmodus schaltet. Man geht ins Wasser und als erste Reaktion wird man panisch. Irgendwann merkt man, dass diese Reaktion eigentlich eine Aktion ist. Und diese Art von Stress kann man kontrollieren. Man stellt sich aktiv der Situation. Das erzeugt das gute Gefühl von Selbstwirksamkeit. Nachdem du einige Minuten im Eiswasser warst, spürst du, welche Macht du über all deine Reaktionen hast und dass du deine Reaktionen mit deinen Entscheidungen beeinflussen kannst. Das ist therapeutisch sehr wertvoll. Du lernst: Panik ist eine freiwillige Entscheidung und du hast die Kontrolle über dich.
Sie wenden den Grenzgang auch bei Ihren Patientinnen mit Drogensucht an.
Rogan: Du kannst den Leuten sagen: Die Sucht ist schlecht für dich. Dann sagen sie: Das ist mir wurscht. Mit dem Grenzgang bietest du Menschen eine Alternative, die besser ist. Ein High, das du dir selbst verdient hast durch einen Grenzgang oder eine Anstrengung, ist viel schöner und befriedigender, als dir irgendeine moderne Droge reinzuziehen. So versuche ich, die Menschen von den Drogen wegzubekommen.
Über Markus Rogan:
Markus Rogan (4. Mai 1982 in Wien) ist einer der erfolgreichsten österreichischen Schwimmer. Er gewann zwei Silbermedaillen bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen (100 m, 200 m Rücken) und holte insgesamt 13 Medaillen bei Welt-und Europameisterschaften. Heute lebt er in L.A., er ist verheiratet, zweifacher Vater, arbeitet als Psychotherapeut und frönt dem Eisschwimmen.