Im Kino ist er aktuell in einem Oscar-Hit zu sehen. In der Musik gilt Jason Isbell als neuer Dylan und als einer der großen Grammy-Favoriten. Das unterstrich er am Sonntag mit einen Solo-Akustik-Konzert in einer London Kirche. ÖSTERREICH war bei der Unplugged-Sensation live dabei.
Kommenden Sonntag könnte US-Country-Rocker Jason Isbell, der aktuell auch als Schauspieler im Oscar-Hit „Killers Of The Flower Moon“ an der Seite von Leonardo DiCaprio und Robert de Niro für Furore sorgt, mit seinem Sound- und Lyrik-Meisterwerk „Weathervanes“ drei weitere Grammys gewinnen. Am Wochenende spielte er sich dafür mit zwei herausragenden Solo-Akustik-Konzerten in London in die Favoriten-Rolle. ÖSTERREICH war in der ehrwürdigen Kirche Union Chapel, dort wo schon Adele, U2 oder Amy Winehouse für „heilige“ Musik-Messen sorgten, live dabei.
Jason Isbell im Film “Killers Of The Flower Moon” (o.) und beim London-Konzert (u.)
Sakrale, dezent beleuchtete Kirchenfenster, eine Wabenförmige Kanzel und steinharte Bänke mit Ablage für die Bibel statt Getränkehaltern. Die im späten 19. Jahrhundert erbaute Union Chapel im Nord-Londoner Stadtteil Islington als andächtiger Rahmen für ein göttlichen Auftritt. So ergriffen, dass das Gros der Besucher ihre Handys einen Abend lang ungezückt ließ. Dabei hätte es viel wunderbares zum mitfilmen gegeben: Vom Opener „Relatively Easy“ („Das war ein Wunsch. Damit ist auch das erledigt und ich kann danach tun was ich will!“) bis zum Finale „Cast Iron Skillet“ festigte Isbell vor 900 Fans, die allesamt andächtig auf ihren Kirchenbänken Platz genommen haben, seinen Ruf als einer der bester Songwriter der Gegenwart. Als grandioser Geschichten-Erzähler sowieso. „Ich habe gehört, einigen von euch waren schon zu Mittag hier in der Messe! Ich hoffe ihr habt was dabei gelernt!“
Das mit nicht einmal 20-tägigen Vorlauf angekündigte Unplugged-Doppelpack stellte neben Raritäten wie „Different Days“ und Mitsing-Favoriten a’la „24 Frames“ vor allen den aktuellen Grammy-Favoriten „Weathervanes“ sowie das zehn-jährige Jubiläum des Referenz-Werks „Southeastern“ in den Mittelpunkt. Dass Isbell dabei „nur“ auf der Wandergitarre aufspielte erwies sich als ebenso krasser wie grandioser Gegensatz zu seinen Band-Konzerten, wo er ja mit einer ganzen Batterie an exquisiten Gitarren-Sammlerstücken auffährt und gerne auch in Pink-Floyd-würdige Sound-Sphären abdriftet. Seine jährlichen Konzert-Serien im legendären Ryman Auditorium von Nashville, der „Motherchurch of Country Music“, haben in den USA ja längst einen ähnlich Stellenwert wie „Springsteen am Broadway“.
Die Vergleiche mit dem „Boss“, sowie Bob Dylan oder Leonard Cohen, also den ganz großen Rock-Poeten, hielt Isbell auch London in London mehr als stand: Mit durchwegs autobiografischen Feinheiten und meist auch cineastischen Weltschmerz lieferte Isbell scharfsinnige Beobachtungen über die Alltags-Probleme in den US-Kleinstädten („Speed Trap town“), das Heimweh („Alabama Pines“) oder die Suche nach der ewigen Liebe („If We Were Vampires“)
Dazu rechnete der seit 12 Jahren trockene Ex-Säufer in Songs wie „Live Oak“ auch mit seinen großen Dämon dem Alkohol ab. Erst recht mit „Cover Me Up“ wo ihn für die dramatischen Zeilen „I sobered up, I swore off that stuff . Forever this time.“ (z.dt.: „Ich bin ausgenüchtert. Ich habe dem Zeug abgeschworen. Diesmal für immer.“) von den Kirchenbänken frenetischer Szenen-Applaus entgegen schallte.
Dass diese Song-Perlen im reduzierten und rauhen Lagerfeuer-Setting für noch mehr Gänsehaut sorgen als in den ausgeklügelten Studio-Version zeichnet Isbell als neuen Rock-Prediger aus. Er brachte die Erleuchtung ins eher finstere Kirchengewölb. Und dafür brauchte er nicht einmal auf die als Bühnen-Kulisse dienende Kanzel zu steigen. Nach 90 kurzweilige Minuten zogen seine Jünger beseelt von dannen.
Am Freitag spielt Isbell neben Bruce Springsteen, Shania Twain oder Melissa Etheridge beim Grammy-Salut „Musicares“ für Jon Bon Jovi in Los Angeles auf, am Sonntag will er dort drei Grammys gewinnen und im November kommt er mit seiner Band The 400 Unit für 15 Konzerte wieder nach Europa. Österreich steht dabei leider nicht am Tourplan.
ÖSTERREICH-Reporter Thomas Zeidler-Künz traf Jason Isbell in London.