Angesichts des massiv gestiegenen Konsolidierungsbedarfs wird ein EU-Defizitverfahren immer wahrscheinlicher.
Ein solches Verfahren hätte kaum negative Konsequenzen, sehr wohl aber der Versuch, ein solches “mit der Brechstange” durch weitere Milliardeneinsparungen zu verhindern, warnte Philipp Heimberger vom Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) am Dienstag bei einer Pressekonferenz. Sorgen vor höheren Finanzierungskosten seien “stark aufgebauscht”.
Entschieden wird über die Einleitung eines möglichen Defizitverfahrens frühestens im Mai, nachdem Österreich seine Budgetpläne übermittelt. Wird bis dahin angesichts der deutlich schlechteren Wirtschaftsprognosen nicht massiv nachgebessert, werde die Europäische Kommission als Hüterin der Verträge wohl nicht darum herumkommen, ein Verfahren wegen des übermäßigen Defizits (ÜD) vorzuschlagen, so Heimberger. Beschlossen wird die Einleitung dann vom EU-Rat Wirtschaft und Finanzen (ECOFIN), die nächste reguläre Sitzung ist für 13. Mai anberaumt.
Höhere Berichtspflichten
Konkret ändern würden sich durch ein ÜD-Verfahren in erster Linie die Berichtspflichten. Alle sechs Monate muss ein Bericht an die Europäische Kommission abgeliefert werden und die gesetzten Maßnahmen werden überprüft. “Man hat das Heft des Handels aber weiter in der Hand”, betont Heimberger. Zugleich würden die Anforderungen beim Konsolidierungspfad deutlich sinken. Die Mindestkonsolidierung betrage 0,5 Prozent des BIP jährlich. Nach den im Dezember berechneten Vorgaben wären bei einem Defizitverfahren nur 3,9 Milliarden Euro statt der 6,3 Milliarden eingespart werden müssen. Auch mit den verschlechterten Wirtschaftsprognosen wären damit nun keine weiteren Sparmaßnahmen notwendig. Auch die kommendes Jahr geplanten Einsparungen von 8,7 Mrd. Euro würden im Falle eines Verfahrens reichen, so der Ökonom.
Vor dem Versuch, durch weitere Sparmaßnahmen noch ein Defizitverfahren abwenden zu wollen, warnt Heimberger ausdrücklich. Eine derartige “Rosskur” hätte hohe wirtschaftliche Kosten wegen der negativen Effekte auf die Konjunktur und zusätzlichen Beschäftigungsverlusten. Zudem müsse man politisch damit rechnen, dass die Zustimmung zur Regierung sinken und damit die politische Instabilität steigen würde.
Kein Land hatte durch Defizitverfahren höhere Zinsaufschläge
Sorgen vor einer Steigerung der Zinsaufschläge sind aus Sicht des wiiw unbegründet. Keines der sieben EU-Länder, gegen die im Juli 2024 ein Defizitverfahren eröffnet wurde, hätte durch das Verfahren einen höheren Zinsaufschlag der 10-jährigen Staatsanleihen gegenüber jenen Deutschlands verzeichnet. Ratingagenturen könnten auf den verschlechterten wirtschaftlichen Ausblick Österreichs reagieren, die Einleitung eines Defizitverfahrens spiele dagegen kaum eine Rolle. Viel wichtiger sei, dass Österreich einen glaubwürdigen Sanierungspfad habe.
Sollte die EU-Kommission bei der halbjährlichen Überprüfung feststellen, dass die Maßnahmen nicht reichen, könnten theoretisch alle sechs Monate finanzielle Sanktionen verhängt werden. Bisher war dies noch nie der Fall. Allerdings geht Heimberger davon aus, dass Sanktionen seit der Reform der Fiskalregeln im vergangenen Jahr deutlich realistischer seien. Auch um die Glaubwürdigkeit der Regeln herzustellen, könnte die EU-Kommission bei Verstößen die zunächst relativ geringen finanziellen Sanktionen durchaus einsetzen.
Der Vorschlag der EU-Kommission zur Ausnahme von Verteidigungsausgaben würde für die Beurteilung eines Defizitverfahrens für Österreich kurzfristig keine große Rolle spielen, da die steigenden Verteidigungsausgaben nur einen geringen Teil des Budgetdefizits ausmachen würden, meint Heimberger.