Psychologische Kriegsführung. Herbert Kickl „wollte in Wirklichkeit nie regieren“, sagen ÖVPler. „Die ÖVP hat wie immer ein falsches Spiel gespielt“, kolportieren Blaue. Aber was führte wirklich zum Scheitern der blau-türkisen Verhandlungen? oe24 zeichnet die Chronik eines Nervenkrieges und eines sich längst abzeichnenden Endes nach:
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In den 24 Stunden, bevor der FPÖ-Chef auch formal das Ende der blau-
türkisen Verhandlungen zugeben musste, hörte oe24 aus der FPÖ bereits: „Es ist nicht eine Frage des Ob, sondern nur noch eine Frage des Wie.“ Gemeint: das Platzen der Gespräche mit der ÖVP.
Kickl selbst hatte der ÖVP von Anfang an nicht vertraut, wie er auch bereits bei seiner ersten Pressekonferenz Anfang Jänner öffentlich erklärt hatte. Vordergründig sind die Verhandlungen am Innenministerium gescheitert.
Dass Kickl genau dieses Ministerium – er hatte es 2017 bis 2019 inne und wurde nach dem Ibiza-Video von dort entlassen – für die Blauen beanspruchen würde, kam für die ÖVP freilich nicht allzu überraschend. Überraschender für Teile der Partei – vor allem jene aus Wirtschaft und Industrie – kam die „inhaltliche Sturheit“, mit der Kickl und sein engster Vertrauter Reinhard Teufel auf ihren Inhalten beharrten.
ÖVP: „Kickl will diese Republik umbauen“
Bis zur niederösterreichischen Gemeinderatswahl – es dürfte neben Wirtschaft und Industrie auch Niederösterreichs LH Johanna Mikl-Leitner auf eine blau-türkise Koalition gedrängt haben – zeigte sich die ÖVP kompromissbereit. Danach – wie in dieser Kolumne berichtet – entwickelte sie neues Selbstbewusstsein. „Die Bäume der FPÖ wachsen nicht in den Himmel“, sagte damals ein VP-Spitzenmann zu oe24. „Die können uns nicht mehr mit Neuwahlen erpressen.“
Ab dem 27. Jänner verschlechtert sich das Klima zwischen ÖVP und FPÖ massiv. Beim Jägerball treten die Blauen auf, „als würde ihnen die Welt gehören“. Damals sagen erste ÖVPler oe24, dass „diese Koalitionstalks scheitern könnten. Die Blauen wollen die Republik völlig umbauen“.
In der FPÖ fühlt man sich damals noch sicher. Aber: Ein Blauer behauptet: „Im Unterschied zu Reinhard Teufel, der unbedingt Innenminister werden will, will Kickl gar nicht regieren.“ Zwischen ÖVP und FPÖ geht auch in inhaltlichen Schlüsselfragen – von Luftraumsicherheit über Europa bis Medienfreiheit und Rechtsstaatlichkeit – kaum noch etwas weiter.
Kickl ist davon beseelt, die „Fehler von Jörg Haider und Strache“ – so berichten es zumindest Blaue – zu vermeiden. Übersetzt: Er will, dass die ÖVP Hemd und Hose auszieht und Sky Shield absagt, ihr O.k. gibt, dass er im EU-Rat gegen EU-Sanktionen gegen Russland stimmen könnte, die ORF-Haushaltsabgabe abschafft, Teile des ORF verkauft und so weiter.
In den ersten Tagen des Februars beginnt die ÖVP zu begreifen, dass sie sich dann politisch „ruinieren“ würde, wie es ein Schwarzer bezeichnet. Sie beginnen über Ressorts zu reden. Ganz rasch eskaliert der Streit über das Innenministerium. Kickl will nicht über Inhalte verhandeln – einmal redet er 42 Minuten mit VP-Chef Stocker. Einmal 90 Minuten, zuletzt nur 20 Minuten. Er lässt genaue Unterlagen vorlegen. Er passt auf jedes Wort auf, das er sagt. Zu groß ist das Misstrauen. Bis er endlich aufsteht.