Bundespräsident Alexander Van der Bellen will nach den gescheiterten Koalitionsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP weitere Möglichkeiten ausloten, um zu einer Regierung zu kommen.  

Aus diesem Grund werde er in den kommenden Tagen mit “Politikerinnen und Politikern”- also wohl den Parteichefs – Gespräche führen, wie eine künftige Regierung künftig aussehen soll, sagte er Mittwochabend in einem Statement in der Hofburg. Präferenzen zeigte er nicht.

Vier Optionen möglich

Van der Bellen nannte vier Optionen, die nun nach dem Scheitern der bereits zweiten Koalitionsgespräche möglich seien: Eine Neuwahl des Nationalrats, eine Minderheitsregierung unter Duldung des Parlaments, eine Expertenregierung für eine gewisse Zeit oder möglicherweise doch noch eine Koalition mehrerer Parteien. “Wie diese Regierung zusammengesetzt ist, hat für mich grundsätzlich keine Rolle zu spielen”, betonte der Bundespräsident aber.

Kritik an fehlenden Kompromissen

In seiner kaum zehnminütigen Wortmeldung in der Präsidentschaftskanzlei, nach der keine Journalistenfragen zugelassen waren, hielt Van der Bellen ein Plädoyer für das Finden von Kompromissen. Kritik übte Van der Bellen an den Verhandlern. “Der Kompromiss ist in Verruf geraten”, so das Staatsoberhaupt. “Ein Verhandlungsprozess ist kein Wettkampf”, erklärte VdB. Die politische Landschaft polarisiere sich nicht nur in Österreich zunehmend.

Der Bundespräsident bedauerte dies, denn die liberale Demokratie lebe davon: “Der Kompromiss in Österreich ist ein Schatz, ein Kulturgut, mit dem wir immer gut gefahren sind.” Es gehe um einen konstruktiven Weg in die gemeinsame Zukunft und um das Staatsganze. “Ein Verhandlungsprozess ist kein Wettkampf, in dem es nur Gewinner und Verlierer gibt”, legte er den Parteienvertretern ans Herz.

Zuvor hatte FPÖ-Obmann Herbert Kickl den Regierungsbildungsauftrag, den er von Van der Bellen erhalten hatte, abgegeben. Damit waren auch die blau-schwarzen Koalitionsverhandlungen geplatzt. Dem vorausgegangen war ein letztes persönliches Treffen mit VP-Obmann Christian Stocker. Kickl machte die ÖVP für das Scheitern verantwortlich, sei man dieser doch in vielen Punkten entgegengekommen. Die Volkspartei sah einen “Machtrausch” des FPÖ-Chefs.

Die Rede von Van der Bellen im Wortlaut:

“Liebe Österreicherinnen und Österreicher

und alle, die in Österreich leben!

 

Herbert Kickl hat mich heute

in einem persönlichen Gespräch informiert,

dass die Bemühungen zur Bildung einer FPÖ-ÖVP Regierung

nicht erfolgreich waren.

 

Es konnte in verschiedenen Punkten keine Einigung erzielt werden.

Der Verhandlungsprozess ist,

wie Sie sicher mitbekommen haben,

zuletzt sowohl inhaltlich

als auch auf der Vertrauensebene ins Stocken geraten.

Und ist jetzt eben vorbei.

 

Zur Erinnerung möchte ich uns allen

den bisherigen Prozess zur Regierungsbildung ins Gedächtnis rufen:

 

Nach der Nationalratswahl habe ich im Oktober

die FPÖ, die ÖVP und die SPÖ

damit beauftragt, festzustellen,

ob und welche Basis es für eine Regierungsbildung gäbe.

 

Sowohl ÖVP als auch SPÖ

schlossen damals eine Zusammenarbeit

mit Herrn Kickl kategorisch aus.

Es folgten drei Monate,

in denen ÖVP, SPÖ und Neos versuchten,

eine gemeinsame Basis zu finden.

 

Und entgegen der öffentlich vermittelten Zuversicht

aller Beteiligten fanden

diese Regierungsbildungsgespräche

Anfang Jänner ein jähes Ende.

 

Die ÖVP hat sich umgehend nach dem Rücktritt

von Karl Nehammer bereit erklärt,

in Koalitionsgespräche mit Herbert Kickl zu treten.

Und aufgrund dieser veränderten Lage

habe ich Herbert Kickl mit der Regierungsbildung beauftragt.

 

Heute hat mich Herbert Kickl informiert,

dass die FPÖ und die ÖVP

sich nicht auf eine Regierung einigen konnten.

 

Ich habe ihn der Ordnung halber natürlich auch gefragt,

ob er eine Möglichkeit sähe,

mit der SPÖ eine Regierung zu bilden.

Dies hat er klar verneint.

 

Und daher hat Herr Kickl heute

den Regierungsbildungsauftrag zurückgelegt.

 

Dass die Verhandlungen gescheitert sind,

mag für den einen oder die andere

unerfreulich sein,

für das Staatsganze ist es aber,

und das ist mir wichtig

an dieser Stelle zu betonen,

für das Staatsganze ist es kein

Grund zur Beunruhigung.

Denn wir bewegen uns nach wie vor in den

wohlgeordneten Bahnen der österreichischen

Bundesverfassung.

Wir haben eine Bundesregierung.

Und wir werden eine Bundesregierung haben.

 

Warum ist es diesmal so kompliziert,

eine neue zu finden?

 

Das liegt an mehreren Punkten:

Zum einen gibt keine eindeutig dominante Kraft,

was die Mandatsverteilung im Parlament betrifft.

 

Und: es gibt weniger Bereitschaft,

Einigungen zu erzielen.

Es fällt schwerer,

Kompromisse zu erzielen.

Und das ist aus meiner Sicht das eigentliche Problem:

Der Kompromiss ist in Verruf geraten.

 

Irgendwann hat sich die Meinung eingeschlichen,

dass ein Kompromiss etwas für Verlierer ist.

Dabei ist „Kompromiss“ ein anderes Wort für

eine gemeinsame Lösung.

Denn wenn jeder nur auf seinem Standpunkt verharrt,

gibt es keine Lösung.

 

Die politische Landschaft polarisiert sich

und Menschen aus unterschiedlichen Parteien

stehen einander immer unversöhnlicher gegenüber

statt eben gemeinsam Lösungen zu finden.

 

Es geht nicht darum, immer einer Meinung zu sein.

Aber um zu einem Kompromiss zu kommen, muss man akzeptieren,

dass die Meinung des anderen genauso zählt

und ihre Berechtigung hat wie die eigene.

 

Aus dem eigenen Standpunkt A

und dem Standpunkt B des anderen

kann dann sehr oft ein neuer, besserer Standpunkt C werden.

 

So sind in der Vergangenheit oft gemeinsame,

gute und tragfähige Lösungen für Österreich entstanden.

Gemeinsame, gute und tragfähige Lösungen,

die im Wesentlichen das Erfolgsrezept der Zweiten Republik darstellen.

 

Der Kompromiss ist in Österreich ein Schatz.

Eine Art Kulturgut,

mit dem wir immer gut gefahren sind.

Wenn wir zusammenkommen,

am Stammtisch,

in Vereinen,

bei der Arbeit,

mit unseren internationalen Partnern,

nicht zuletzt in unseren Familien und Freundeskreisen.

Immer geht es auch darum,

Ausgleich durch Kompromisse zu finden.

Und darauf konnten wir immer stolz sein.

 

Wenn aber jeder glaubt,

er spricht für alle,

fehlt die Demut vor der Meinung

und dem Standpunkt des anderen.

Ein wenig kommt mir vor,

dass das bei allen diesen Verhandlungen der Fall war.

 

Meine Damen und Herren,

Es ist eine der verantwortungsvollsten Aufgaben

von Politikerinnen und Politikern,

Lösungen zu finden.

 

Aufeinander zuzugehen.

Interessen auszugleichen.

Einen vernünftigen Weg zu finden,

der in eine konstruktive,

fruchtbare Zukunft führt.

 

Und diesen Weg gemeinsam zu gehen.

Dieser Verhandlungsprozess ist kein Wettkampf

in dem es nur Gewinner und Verlierer gibt.

 

Es geht nicht um die Menschen oder die Parteien, die verhandeln.

Es geht um das Staatsganze.

Es geht darum, gemeinsame Lösungen für unsere Heimat zu finden.

 

Und nennen Sie es Kompromiss,

nennen Sie es Deal,

nennen Sie es Lösung,

nennen Sie es wie Sie wollen.

Aber ohne dieses österreichische Erfolgsrezept wird es nicht gehen.

 

Und ich lege den Parteien

und allen verantwortungsvollen Politikerinnen und Politikern

sehr ans Herz,

sich darauf zu konzentrieren.

Auf das Staatsganze.

Und auf nichts sonst.

 

Meine Damen und Herren, was kommt jetzt?

Wie kann es weitergehen?

Es gibt durchaus einige Varianten,

die unsere Verfassung vorsieht.

 

 

 

Hier die Möglichkeiten,

wohlgemerkt ohne Reihung oder persönliche Vorlieben:

 

Möglichkeit eins:

Der Nationalrat beschließt Neuwahlen.

Diese fänden frühestens in einigen Monaten statt,

die Zeit bis dorthin würde die zurzeit

bestehende interimistische Regierung bestreiten.

 

Möglichkeit zwei:

Eine Minderheitsregierung unter Duldung

des Parlamentes.

 

Möglichkeit drei:

Eine Expertenregierung,

die von Parteien eine gewisse Zeit

im Nationalrat gestützt werden könnte.

 

Option Nummer 4:

Es gibt doch noch einen Weg,

dass sich eine Regierungsmehrheit

unter den im Oktober gewählten Parteien findet.

 

Liebe Österreicherinnen und Österreicher,

und alle interessierten Menschen in Österreich

und auch alle interessierten internationalen Beobachterinnen!

 

Die liberale Demokratie lebt vom Kompromiss,

denn nur durch Ausgleich unterschiedlicher Interessen

bleibt eine Gesellschaft stabil und kann erfolgreich für alle sein.

 

Meine Aufgabe ist es darauf zu achten,

dass unser Land eine handlungsfähige Regierung bekommt.

 

Wie diese Regierung zusammengesetzt ist,

hat für mich grundsätzlich keine Rolle zu spielen,

solange diese auf dem Boden der Verfassung zustande kommt.

Sich auf Koalitionen zu einigen,

ist die Aufgabe der gewählten Politikerinnen und Politiker.

 

Ich werde also in den kommenden Tagen

Gespräche mit Politikerinnen und Politikern führen,

um auszuloten, welche der vier genannten Optionen

erfolgreich sein können.

 

So schnell als möglich.

So lange wie nötig.

Denn es geht darum,

endlich Kompromisse zu finden.

Lösungen.

Es geht ums Staatsganze.

Danke.”

Exit mobile version