Eigentlich ist es unglaublich: VALIE EXPORT, die wohl bekannteste und einflussreichste lebende Künstlerin Österreichs, hat den Großen Österreichischen Staatspreis nie erhalten. 

2025 böte sich eine Gelegenheit, das Versäumte wettzumachen: Am 17. Mai feiert sie ihren 85. Geburtstag. Dass sie weiter unermüdlich am Arbeiten ist, dass sie aber vieles politisch Erreichte wegbrechen sieht, daran lässt sie im APA-Interview zum Jahreswechsel keinen Zweifel.

Wie wenige andere steht die 1940 als Waltraud Lehner in Linz Geborene für die Einheit von gesellschaftlichem, künstlerischem und persönlichem Aufbruch. Emanzipation sei für sie selbstverständlich gewesen, sagt sie. “Ich bin in einem sogenannten Frauenhaushalt aufgewachsen. Meine Mutter war Kriegswitwe. Wir waren drei Schwestern, und unsere Mutter musste das Leben mit ihren drei Mädchen gestalten. Ihr Ziel war, dass jede ihre Töchter studieren kann, um einen besseren Start zu haben und ihr eigenes Geld zu verdienen. Mit diesem Gedanken bin ich aufgewachsen und erzogen worden – und diesen Gedanken wollte ich weitergeben. Weil ich wusste, das ist der richtige Gedanke. Es war aber schwierig, das zu vermitteln.”

Ein Künstlername als radikale Ansage in Großbuchstaben

Was es für die Absolventin der Höheren Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt für Textilindustrie, die in der Filmbranche ihren Einstieg in die Kunstwelt schaffte, wirklich bedeutete, ihren eigenen Weg einzuschlagen, kann man daran ermessen, dass ihr aufgrund ihres “Lebenswandels” das Sorgerecht ihrer Tochter Perdita (die später auch Medienkünstlerin wurde) entzogen wurde, und sie einen radikalen Bruch zu ihrer Herkunft vollzog. Der Künstlername VALIE EXPORT, angelehnt an die Zigarettenmarke “Smart Export” und verpflichtend in Versalien geschrieben, war wie ein Aufschrei: Hier ist jemand ernst zu nehmen! Aktionen wie das “Tapp- und Tastkino”, bei dem sie ihre nackten Brüste betasten ließ, die im Schritt offene “Aktionshose Genitalpanik” oder “Aus der Mappe der Hundigkeit”, bei der sie Peter Weibel an einer Hundeleine durch die Wiener Innenstadt spazieren führte, wurden Ikonen feministischer Kunst und zur Inspiration mehrerer Generationen von Künstlerinnen.

Umso mehr bedauert VALIE EXPORT einen gesellschaftlichen Backlash, der sich gerade auch in der Frauenpolitik äußert. “Diese Entwicklungen sind sehr tragisch, auch für die Gesellschaft. Sie weiß es nur noch nicht. Es kommt wieder dazu, dass die Frauen kämpfen müssen. Das macht mich traurig und wütend, denn wir haben wirklich vieles gemacht.” Noch in den 1970er-Jahren hätten Frauen etwa ihren Ehemann fragen müssen, ob sie arbeiten dürfen. “Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen. Aber wenn ich denke, dass so etwas wieder kommen könnte, muss ich sagen: Was ist hier passiert? Wo ist es schiefgelaufen?”

VALIE EXPORT befürchtet, dass sich wirtschaftliche Krisen vor allem negativ für Frauen auswirken werden und sich die Geschichte wiederholt: “Nach dem Krieg hat man Frauen eingestellt, weil man sie brauchte. Aber ab dem Moment, wo in den Fabriken vieles maschinell wurde, hat man gesagt: Sie gehen jetzt wieder an den Herd zurück. Genauso wie es heute wieder die Tendenz ist.”

Das Amt der Bundespräsidentin hätte sie gereizt

Was in den USA politisch passiere, “ist eine Schande und erzeugt Wut und Aggression”, sagt die Künstlerin und überrascht mit einem Geständnis: “Ich hab sogar einmal überlegt, ob ich in die Politik gehe und eine Frauenpartei gründe.” In den 70ern habe man mit Johanna Dohnal zwar “eine sehr gute Frauenministerin gehabt, aber es gibt schon den Reiz, dass man noch weiter geht”. Bundespräsidentin wäre etwa ein Amt gewesen, dass sie gereizt hätte. Letztlich habe sie ihre politischen Ambitionen aber verworfen: “Ich wäre zu abhängig von der Politik gewesen und hätte nicht so frei sein können, wie ich wollte. Und ich hätte keine Kunst mehr machen können.”

Dabei gehören für VALIE EXPORT Kunst und Politik untrennbar zusammen. Historisch sei etwa die Rebellion der Künstlerinnen und Künstler gegen die Gesellschaft in Österreich ohne die Pariser Studentenrevolution undenkbar gewesen, und auch die derzeitige gesellschaftliche Lähmung spiegle sich in der Kunst wider. “Mir kommt vor, es ist so ein Abwarten, was passieren wird. Das können wir aber nicht. Wir müssen selbst aktiv sein und zusammenarbeiten.” Konservative und autoritäre Kräfte bedrohten die errungene Liberalität. “Die Gesellschaft soll wieder zurück. Sie soll ruhig sein und den Mund halten. Das ist das Gefährliche!” Sie befürchte eine zunehmende “manipulierte Kritik” gegen manche Künstlerinnen und Künstler, wobei es auch hier die Frauen am härtesten treffen werde: “Dann heißt es wieder, die richtige künstlerische Gestaltung soll man lieber den Männern überlassen.”

“Den Staatspreis hat man mir bis jetzt verweigert.”

Doch man solle sich nicht täuschen, warnt sie: Auch die heutige Gesellschaft unterdrücke manche Kunst. “Der Künstler, die Künstlerin von heute vermeint, frei zu sprechen. Aber es gibt trotzdem Repressionen: Sie werden dann einfach nicht ausgestellt.” Noch immer betreffe das vor allem Künstlerinnen. 1980 hat VALIE EXPORT gemeinsam mit Maria Lassnig den österreichischen Biennale-Pavillon in Venedig bespielt. Lassnig hatte sich zeit ihres Lebens über mangelnde Anerkennung beklagt. “Ich glaube, das hat nicht nur Maria Lassnig so empfunden, sondern wir alle”, sagt die Künstlerin, die an Universitäten und Hochschulen in den USA und in Deutschland lehrte, aber nie eine Professur in Österreich bekleidete. Auch unter den vielen hochrangigen nationalen und internationalen Ehrungen fehlt ausgerechnet die höchste Kunstauszeichnung der Republik: “Den Großen Österreichischen Staatspreis hab ich nie bekommen, das ist richtig. Den hat man mir bis jetzt verweigert.”

Doch 2025 wird in jedem Fall auch ein Jahr der Ernte. “Ich hab ein sehr gutes Jahr vor mir. Es sind etliche Ausstellungen geplant, gute, schöne Ausstellungen, auch international. Und es kommt eine Publikation heraus.” Diese erscheint im Mai unter dem Titel “How to Do Things with VALIE EXPORT” im Verlag spector books und würdigt sie als “eine der radikalsten und bedeutendsten audiovisuellen Künstlerinnen des 20. und 21. Jahrhunderts”. “Dieser Band begreift ihr filmisches Werk als ein Universum der Handlungsoptionen, als visionäre Steilvorlage zur Wahrnehmung und Umarbeitung einer von patriarchalen Strukturen durchsetzten Gesellschaft”, heißt es in der Ankündigung des Buches, zu dem auch Elfriede Jelinek einen Text beisteuert.

Film “VALIE EXPORT. Das Bewaffnete Auge” wird 2025 gedreht

Die deutsche Journalistin und Regisseurin Claudia Müller hat 2022 mit “Die Sprache von der Leine lassen” ein viel gelobtes filmisches Jelinek-Porträt veröffentlicht. Derzeit widmet sie sich VALIE EXPORT, über die sie bereits 2015 eine TV-Doku (“VALIE EXPORT – Ikone und Rebellin”) gedreht hat. “Ich hatte so viel im Kopf, was ich damals nicht untergebracht habe”, erzählt Müller im Gespräch mit der APA. Der Kinofilm “VALIE EXPORT. Das Bewaffnete Auge”, der 2025 gedreht werden und im Jahr darauf in die Kinos kommen soll, wird sich vor allem mit ihrer Rolle als Kunstvermittlerin und Kuratorin beschäftigen.

Zentral für Müllers Konzept ist die 1975 von VALIE EXPORT initiierte und kuratierte Ausstellung “MAGNA. Feminismus: Kunst und Kreativität” in der Wiener Galerie nächst St. Stephan. Künstlerinnen, die damals dabei waren, werden mit anderen Künstlerinnen unterschiedlicher Generationen zu einem Panorama vielfältigster Ansätze ergänzt – und vielleicht gibt es zu dem Film dann auch eine virtuelle Ausstellung.

Ein “sehr lebendiges” Center und eine Stiftung

Dass ihr Einfluss ungebrochen ist, belegen auch die Aktivitäten des 2015 gegründeten VALIE EXPORT Center in Linz, einer internationalen Forschungsstätte für Medien- und Performancekunst, die u.a. über Korrespondenzen, Aufzeichnungen und die Bibliothek der Künstlerin verfügt und in der ehemaligen Tabakfabrik Linz untergebracht ist. “Das wird sehr gut benützt und sehr gut aufgenommen. Wir haben auch Gastprofessuren und junge Künstlerinnen, die ihre Master- oder Diplomarbeiten schreiben”, schwärmt VALIE EXPORT. “Es ist ein sehr lebendiges Center.” Seit Februar gibt es auch die VALIE EXPORT Stiftung, mit der Studierenden der Kontakt ermöglicht und das Werk der Künstlerin erhalten und erforscht werden soll.

Doch dieses Werk ist längst nicht abgeschlossen. “Ich habe das gemacht, was ich machen wollte und machen konnte – aber natürlich habe ich nicht alles gemacht, was ich wollte, denn da hätte ich noch viel mehr Möglichkeiten dazu gebraucht”, resümiert die Künstlerin. Der aktuelle Hype um den Einsatz von Artificial Intelligence (AI) etwa kostet VALIE EXPORT bloß ein Schmunzeln: “Wir haben schon in den 1960er-Jahren darüber nachgedacht und damit gearbeitet”, verweist sie u.a. auf den Informatiker Joseph Weizenbaum und den Komponisten John Cage.

“Jetzt hat man AI wieder herausgeholt, weil es für die Wirtschaft billiger ist als Manpower, und weil es so gut in die Zeit passt: vielfältig sein, fragmentiert sein. Mit doppelter Identität oder Identity Transfer hab’ ich aber schon in den 60ern und 70ern gearbeitet.” Maschinen-Kreativität werde menschliche Kreativität mit ihren unendlich vielen Impulsen aber nicht so leicht ersetzen, glaubt die Medienkunst-Pionierin: “Was Menschen können, werden Maschinen nicht schaffen. Aber wer weiß, was in 100 Jahren ist. Ich weiß nicht, ob sie es dann können – aber es wäre sehr traurig.”

Projektverwirklichungen “nun Jahrzehnte später”

Unter den Projekten, deren einstige Nicht-Realisierung sie besonders bedauert, nennt VALIE EXPORT vor allem die Groß-Installation “Bewegte Räume”, die Bewegungen aufgenommen und in andere Medien transferiert hätte, aber an der technischen Umsetzung scheiterte. “Es würden mir etliche weitere Projekte einfallen, die ich noch gerne machen würde. Ich schau jetzt mein ganzes Werkverzeichnis durch und bin dabei, manche der damaligen Ideen und Überlegungen noch umzusetzen – auch wenn es nun Jahrzehnte später ist.”

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