Der Yale-Historiker Timothy Snyder warnt davor, die von US-Präsident Donald Trump angestrebten “Friedensgespräche” mit Russland zur Beendigung des Kriegs in der Ukraine für bare Münze zu nehmen. “Trump versteht nichts von Machtpolitik – oder er will keinen Frieden”, schreibt Snyder in einem Kommentar in der aktuellen Online-Ausgabe der linken deutschen Wochenzeitung “Der Freitag”.
Die USA und Russland führten keinen Krieg gegeneinander, ruft der Historiker in Erinnerung. “Russland führt Krieg gegen die Ukraine, sie ist aber nicht eingeladen zu diesen Gesprächen. Die russische Regierung spricht ihrerseits im Allgemeinen nicht von Frieden. Sie präsentiert die Gespräche mit den USA als geopolitischen Coup, was nicht dasselbe ist.”
“Grauenvollen Verhandlungstaktik”
Snyder fragt angesichts der “grauenvollen Verhandlungstaktik” der USA, ob Amerikaner und Russen nicht vielmehr auf derselben Seite stünden. So würde etwa kein Verhandlungsführer so wie Trump sagen, dass er es eilig habe. Die Trump-Administration habe Russland stattdessen Zugeständnisse zu Territorium, NATO-Mitgliedschaft, Zeitpunkt von Wahlen, sogar zur Existenz der Ukraine gemacht – “Streitfragen, die für die Ukraine nicht nur essenziell seien, sondern elementar für ihre Souveränität”.
Trump sei außerdem dabei, den als Kriegsverbrecher angeklagten russischen Präsidenten Wladimir Putin zu rehabilitieren. Außerdem rät Snyder seinen Lesern: “Betonen Sie die Abwesenheit der Ukraine. Es ist eine Binse der Weltgeschichte und Common Sense: Wer nicht am Tisch sitzt, steht auf der Speisekarte.” Zu den Vorläufern dieses Umgangs in Europa zählten die Münchner Abkommen 1938 – durch das sich Nazi-Deutschland die Sudetengebiete einverleibte – und der Molotow-Ribbentrop-Pakt 1939 zwischen Hitler-Deutschland und der Sowjetunion.
Die Ukraine sei ein souveräner Staat, der auch eine eigene Friedensformel habe, betonte Snyder. Es sei sehr wahrscheinlich, dass Russland und die USA versuchen würden, “die Ukraine zu bestimmten Handlungen zu nötigen, durch Zwang oder Erpressung, und es muss klar sein, dass dies in jedem Abkommen über die Ukraine ohne die Ukraine impliziert ist. Kein Abkommen zwischen Russland und den USA ist rechtlich anwendbar auf die Ukraine.”
Dass Trump wirklich Frieden will, zweifelt Snyder mehrfach an. “Wäre es der Trump-Administration ernst damit, schnell Frieden zu schaffen, dann würde sie Russland unter Druck setzen und die Unterstützung für die Ukraine beschleunigen.” Zugleich seien diese Gespräche für Russland eine Gelegenheit, um seine Propaganda zu verbreiten. Der Historiker kritisiert aber auch amerikanische Propaganda: Ein Großteil der militärischen Unterstützung für die Ukraine bleibe in den Vereinigten Staaten, halte Fabriken am Laufen und entlohne amerikanische Arbeiter. “Die Behauptung, dieser Krieg komme die USA teuer zu stehen, ist ein Punkt, an dem sich die Putin’sche und die Trump’sche Propaganda überschneiden, und sie scheint auf Trumps Obsession abzuzielen, dass er abgezockt wird. Die wirtschaftlichen Kosten trägt, natürlich, die Ukraine.”
Schlimmer Verdacht: Haben Putin und Trump koloniale Pläne?
In Hinblick auf das angestrebte Rohstoff-Abkommen zwischen den USA und der Ukraine schreibt Snyder: “Es könnte sogar gut möglich sein, dass die USA intendieren, die Androhung russischer Gewalt zu nutzen, um sich ukrainisches Vermögen anzueignen.” Er schließt seinen Kommentar mit drei Interpretationsmöglichkeiten der russisch-amerikanischen Gespräche: “Die Amerikaner wollen aufrichtig Frieden, aber sind unfassbar inkompetent. Zweitens: Die Inkompetenz ist gewollt; das Spiel ist manipuliert, um eine Übereinkunft zwischen Russland und den USA zu treffen, die für die Ukraine nicht akzeptabel ist. Drittens: Putin und Trump haben bereits gemeinsame Pläne für die koloniale Beherrschung der Ukraine ausgearbeitet, und die Gespräche dienen nur der Tarnung.”