Internationale Pressekommentare befassen sich am Samstag mit dem Streit beim Treffen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj mit US-Präsident Donald Trump und US-Vizepräsident JD Vance im Weißen Haus. 

“Neue Zürcher Zeitung”:

“Trumps Tiraden führten den Europäern nun nochmals deutlich vor Augen, wo der amerikanische Präsident und seine Regierung wirklich stehen. Offenkundig hegt Trump mehr Sympathien für den russischen Diktator und seine Geschichtsklitterung als für eine unabhängige Ukraine.

Im Gegensatz zu seiner ersten Amtszeit ist er mit dieser Weltsicht nicht mehr alleine im Weißen Haus. Vizepräsident Vance hat bereits früher erwähnt, dass ihm das Schicksal der Ukraine egal sei. Wenn die Europäer wirklich einen stabilen Frieden in der Ukraine wollen, müssen sie vermutlich selbst die Führungsrolle übernehmen, ohne auf eine amerikanische ‘Rückversicherung’ hoffen zu können.

Bereits vor der Eskalation im Oval Office schien klar, dass Trump in den Verhandlungen eine zweifelhafte Strategie verfolgt. Während er der Ukraine das Messer an den Hals setzte, hat er von Russland bisher keinerlei Konzessionen für einen Frieden gefordert.”

“The Telegraph” (London):

“Das westliche Bündnis scheint auf der Kippe zu stehen. Was eigentlich eine Versöhnung zwischen Präsident Donald Trump, Vizepräsident JD Vance und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj hätte sein sollen, endete in einem heftigen Wortwechsel im Oval Office, bei dem die Amerikaner Selenskyj vor der Weltöffentlichkeit beschimpften. Es war eine erschreckende Szene, die jeden in Großbritannien und Europa beunruhigt haben dürfte, der um die Sicherheit des Kontinents besorgt ist.

Eine derartige Zurschaustellung von Aggression durch das Weiße Haus gegenüber einem westlich orientierten Staatsoberhaupt, geschweige denn gegenüber einem Verbündeten, der sich in einem existenziellen militärischen Kampf befindet, ist beispiellos. Trump und Vance waren zweifellos im Unrecht – sachlich, geopolitisch und moralisch. Die Art und Weise, wie sie ihre Argumente vortrugen, hat die Brüche in der westlichen Koalition deutlich gemacht und Wladimir Putin einen Propagandasieg beschert.”

“De Standaard” (Brüssel):

“Der öffentliche Streit zwischen zwei Präsidenten, von denen einer sich in einem Krieg gegen Russland verteidigt, signalisiert das Ende des Westens. Die Ukraine und Europa müssen es nun ohne militärische Unterstützung der USA mit Russland aufnehmen. Fortan ist es angemessener, von ‘Donald Trumps Regime’ zu sprechen als von Trumps Präsidentschaft.

Am Freitagabend erlebte die Welt live den ersten großen Zusammenprall zwischen der realen Welt und der fiktiven, verlogenen und durchgeknallten Version, die Trump aus ihr macht. Welche dieser Welten auf kurze Sicht gewinnen wird, ist ungewiss. (…)

Jetzt hängt alles von Europa ab. Dies ist ein Moment der Wahrheit, eine Charakterprüfung wie seit 70 Jahren nicht mehr. Die Ukraine Putin und Trump zu überlassen, würde bedeuten, dass sich Europa in die Rolle eines Vasallen zurückzieht. Es gibt also keine Wahl.”

“De Telegraaf” (Amsterdam):

“Der ukrainische Präsident war ungewöhnlich konfrontativ und erklärte den Amerikanern, dass sie Moskau zu viel Vertrauen schenken würden und Präsident Wladimir Putin seine Versprechen schon oft gebrochen habe. Die Kritik kam schlecht an. Trump drohte sogar damit, sich ganz aus dem Friedensdialog zurückzuziehen. (…)

Wolodymyr Selenskyj macht mit seiner Haltung und seinen Vorwürfen offenbar mehr kaputt, als der britische Premierminister Keir Starmer und der französische Präsident Emmanuel Macron Anfang der Woche aufzubauen versucht haben. Es ist unklar, welche Folgen dieses Gezeter für die Sicherheitsgarantien haben wird, die die Ukraine zu erhalten hofft.”

“El País” (Madrid):

“Der Schlagabtausch von Wolodymyr Selenskyj mit Donald Trump und JD Vance im Oval Office des Weißen Hauses, live und vor Journalisten, ist das beeindruckende Symbol für das Ende einer Ära. Es handelt sich um die brutale Bestätigung des abrupten Kurswechsels der USA, sowohl inhaltlich als auch in der Form, im Vergleich zu den vergangenen 80 Jahren.

Die Bedeutung ist klar. Wir erleben nicht nur eine amerikanische Abkehr von Europa, eine Kluft bei den Interessen und Werten. Die Europäer sind mit der Bereitschaft der USA konfrontiert, uns im Einvernehmen mit anderen imperialistischen Mächten großen Schaden zuzufügen. (…) Es ist eine willkürliche imperialistische Macht, die Unterwerfung, Huldigung und die Akzeptanz ausbeuterischer Praktiken fordert. Eine, die mit Russland, Weißrussland und Nordkorea in der UNO stimmt. Das ist es, was hinter dem Austausch im Oval Office steckt.

(…) Wir Europäer stehen auf dem Speiseplan der imperialistischen Mächte. Falls noch Zweifel an der Dringlichkeit bestanden haben sollten, ist eine eindeutige Botschaft aus dem Oval Office angekommen. Wir müssen unseren Platz in der Welt mit Mut völlig neu überdenken.”

“Corriere della Sera” (Mailand):

“Diese Runde hat nur einen Gewinner: Putin. Der verbale Schlagabtausch und die ‘Entlassung’ von Selenskyj aus dem Weißen Haus. Der gescheiterte Mineralien-Deal. Die Absage der Pressekonferenz. Es hätte nicht schlimmer kommen können. Die Ukraine läuft Gefahr, ihren wichtigsten, unersetzlichen Verbündeten zu verlieren. Europa sieht seine schlimmsten Befürchtungen wahr werden: Allianzen sind für Trump austauschbar. Nachdem er Kiew seinem Schicksal überlassen hat, ist nun die atlantische Achse an der Reihe?

Selenskyj ist kein Heiliger, er hat Fehler gemacht. Jedes Land hat das Recht zu hinterfragen, ob er die Hilfsgelder gut ausgegeben hat. Aber Trumps Umgang mit ihm ist betäubend, nicht zuletzt, weil er nach einer Prozession europäischer Staats- und Regierungschefs ins Weiße Haus kam. Sie alle flehten Trump an, der Ukraine eine Sicherheitsgarantie zu geben, und versuchten auf verschiedene Weise, ihn an die NATO zu binden. Das Ergebnis ihrer Bitten ist, nach dem großen Finale vom Freitag zu urteilen, ein Fiasko für die Ukraine.”

“Le Figaro” (Paris):

“In Moskau kann Wladimir Putin seinen Augen und Ohren kaum trauen: Wer hätte auf ein solches Abdriften der Kontinente gewettet, bei dem Amerika näher an Russland heranrückt? Ungeachtet dessen, was er als seine Interessen ansieht, hat Donald Trump mit seiner Ausrichtung auf den Kreml wenig zu gewinnen. Er bittet mit voller Geschwindigkeit um Frieden, aber der andere will den Sieg und hat viel Zeit.

Der Amerikaner spielt das Spiel eines Zaren, der vom unvermeidlichen Niedergang des demokratischen und kapitalistischen Westens überzeugt ist (…). Eine Gewissheit, die auch sein chinesischer Amtskollege teilt, dessen Bündnis mit Moskau Washington zu brechen hofft, während es die Stärke ihres ideologischen Pakts unterschätzt. Das Problem: Wenn der Chef des Weißen Hauses sein Ziel verfehlt, geht das gleichermaßen zulasten Europas wie der USA.”

“Kyiv Independent” (ukrainisches Nachrichtenportal):

“Lassen Sie das sacken. Der Präsident einer kriegsgebeutelten Ukraine, ein Verbündeter der USA, ist zum ersten Staatsführer der Geschichte geworden, der aus dem Weißen Haus geworfen wurde. Kein Diktator, kein in Ungnade gefallener Politiker – der Präsident der Ukraine, eines Landes, das unter der schlimmsten Invasion des 21. Jahrhunderts leidet. Das Land, dem die US-Regierung geschworen hat, Frieden zu bringen.

In einem hässlichen Schlagabtausch haben der Präsident und sein Vizepräsident gemeinsam Selenskyj eine Rüge dafür erteilt, ‘nicht dankbar’ genug zu sein für die Hilfe zugunsten der Ukraine. (…) Aber es scheint, dass Dankbarkeit gegenüber dem amerikanischen Volk gar nicht das ist, worauf Trump und Vance aus waren. Sie wollten, dass er um Gnade winselt und vor Trump auf die Knie fällt. Den Ring küsst.

Sicherlich hätte Selenskyj besser daran getan, sich zusammenzureißen und seine Reaktionen zu kontrollieren, aber fairerweise muss man sagen, dass er in eine Situation gebracht wurde, in der er nicht gewinnen konnte. Hätte er Trump und Vance (….) mit ihren Attacken gegen die Ukraine widerspruchslos weitermachen lassen, wäre er sowohl in der Heimat als auch im Ausland als schwach wahrgenommen worden. Schwäche zu zeigen, kann sich ein Land im Krieg nicht erlauben.

(…)

Der Präsident der Vereinigten Staaten hat sich an die Seite Russlands gestellt in einem Krieg, den es selbst begonnen hat gegen seinen demokratischen Nachbarn – dessen einziger Fehler es war, eine Demokratie bleiben zu wollen. Trump hat sich dafür entschieden, lieber mit einem mörderischen Tyrannen gemeinsame Sache zu machen als mit einem demokratisch gewählten Staatsführer.

(…)

Die Amerikaner sollten aufstehen und ihrer politischen Führung eine klare Botschaft senden: Wir unterstützen nicht, was ihr tut – also hört auf, es in unserem Namen zu tun. Wir wollen keine Allianz mit Russland, und wir wollen die Ukraine nicht verraten. Und offen gesagt, wir schämen uns. Erhebt die Stimme jetzt, bevor es zu spät ist. Amerikas Präsident mag sich für eine Seite der Geschichte entschieden haben. Dem amerikanischen Volk steht es noch frei, die seine zu wählen.”

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