Dass Neo-ÖVP-Chef Stocker nun selbst die Koalitionsverhandlungen mit FPÖ-Chef Herbert Kickl führt, den er über Monate scharf kritisiert und auch eine Regierung mit ihm ausgeschlossen hatte, begründete er mit der geänderten Situation nach dem Scheitern der Gespräche mit der SPÖ. 

Es gehe nicht um Kickl oder ihn sondern darum, dass das Land eine stabile Regierung bekomme und man nicht mit Wahlkämpfen Zeit verlieren könne.

Der neue ÖVP-Chef begrüßte, dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen ein Gespräch mit Kickl angekündigt hat. Er erwarte sich, dass der FP-Obmann als Vorsitzender der stimmenstärksten Partei auch den Regierungsauftrag erhalte. Grundsätzlich liege es jetzt am Bundespräsidenten für die nächsten Schritte zu sorgen.

Stocker löst Nehammer ab

Stocker hat jetzt das Heft in der ÖVP in der Hand. Nachdem Nehammer Nehammer als ÖVP-Chef und Kanzler an den Verhandlungen einer Austro-Ampel gescheitert ist, steht der Niederösterreicher an der Spitze der Volkspartei. Aber: Stocker ist eine Übergangslösung in der Partei. Wie lange er im Chefsessel bleibt, ist noch unklar. Spätestens wenn es zu konkreten Gesprächen zwischen FPÖ und ÖVP kommt, wird sich die Volkspartei festlegen müssen, wer sie in die Regierung führt – als Vizekanzler unter einem Kanzler Herbert Kickl. 

“Der Verantwortung bewusst” 

Der ÖVP-Vorstand hatte seit 10.00 Uhr getagt. Zu Mittag machte sich Nehammer auf den Weg zu Bundespräsident Van der Bellen in die Präsidentschaftskanzlei, um seinen Regierungsbildungsauftrag zurückzulegen. Etwa zur gleichen Zeit wurde die Personalie Stocker bekannt.

Es sei ihm eine große Ehre und Freude, vom Vorstand einstimmig zum geschäftsführenden Obmann bestellt worden zu sein: “Ich bin mir der Größe der Aufgabe und Verantwortung bewusst,” erklärte Stocker.

 

Angriffe gegen Kickl

Freilich ist Stocker vielleicht nicht unbedingt der Richtige, wenn es darum geht, ein freundliches Signal an die FPÖ zu senden. Um nur eines von dutzenden ähnlich klingenden Zitaten Stockers zu nennen: “Herr Kickl, es will Sie niemand in diesem Haus. Auch in dieser Republik braucht Sie keiner”, adressierte er noch im Dezember im Parlament an den FP-Obmann.

In der Politik ist der Rechtsanwalt schon lange. Im Jahr 2000 wurde er in seiner Heimatgemeinde Wiener Neustadt Stadtparteiobmann, Vizebürgermeister und ÖVP-Gesicht bei Grätzlfesten – zu einer Zeit, als die zweitgrößte Stadt Niederösterreichs noch eine SPÖ-Bastion war. Als die ÖVP 2015 eine Koalition gegen die Sozialdemokraten bastelte und die Macht in der Stadt übernahm, wurde aber nicht er Bürgermeister, sondern Klaus Schneeberger, ÖVP-Klubchef im Landtag. 

Seit 2019 im Nationalrat

Nach vielen Jahren in der Kommunalpolitik kam Stocker erst im Jahr 2019 in den Nationalrat. Sein Draht zum mittlerweile abgetretenen Parteichef Karl Nehammer war schon damals ein sehr guter. Entsprechend machte ihn dieser dann auch 2022 zum Generalsekretär. Einer der Gründe: Stocker kenne die Partei und ihre Strukturen in- und auswendig und sei in den Landes- und Teilorganisationen bestens vernetzt. Das wird wohl auch der Grund sein, warum man ihm gerade jetzt die Zügel in die Hände gibt. Eine Dauerlösung an der Spitze wird Stocker aber wohl kaum werden – eher der Koordinator des Findungsprozesses für die neue Parteispitze.

Privat weiß man vom 64-Jährigen, dass er verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Kindern ist. Als seine Hobbys gelten das Fliegenfischen und das Spiel mit dem Tenorsaxofon.

Zur Person: Christian Stocker, geboren am 20. März 1960 in Wiener Neustadt, Volksschule und Gymnasium ebenda, Jus-Studium in Wien, Anwaltskanzlei in der Heimatstadt. Ab 2000 Stadtparteiobmann und Vizebürgermeister in Wiener Neustadt, seit 2019 Abgeordneter zum Nationalrat. Ab Herbst 2022 Generalsekretär der ÖVP

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