Die Kirche steht für eine liberale Demokratie auf der Basis der Menschenrechte und der Freiheit. 

Das hat Kardinal Christoph Schönborn bei einem Pressegespräch Montagnachmittag in Wien betont. In diese liberale Gesellschaftsform “kann das Christentum Elemente einbringen, die für ihre Zukunft entscheidend sind”, zeigte sich Schönborn überzeugt. Und er nannte explizit die Würde jedes Menschen und die Transzendenz-Offenheit jedes Menschen. Nachsatz: “Diese Dimensionen werden für die Zukunft sehr wichtig sein.”

Der Wiener Erzbischof zeigte sich besorgt ob der weltweiten Zunahme an totalitären Regimen und plädierte zugleich für eine deutliche Präsenz des Christentums auch in der Öffentlichkeit. Das beinhalte etwa auch die Anbringung von Kreuzen in öffentlichen Einrichtungen. Schönborn: “Das hat überhaupt nichts Exklusives. Das Kreuz richtet sich nicht gegen jemanden, sondern ist ein Zeichen, das große Zeichen der Versöhnung, die Vertikale und die Horizontale. Und warum sollen wir uns dieses Zeichens schämen?”

Warnung vor Beliebigkeit

Eine liberale Grundhaltung dürfe allerdings nicht mit einer “Grundhaltung der Beliebigkeit” verwechselt werden, so Schönborn im Blick auf den gesellschaftlichen Diskurs, ebenso aber auch im Blick auf den Dialog der Religionen: “Man kann das sehr schön in dem Bild von der weitgespannten Brücke ausdrücken, einer Brücke zwischen den Menschen, zwischen den Religionen.” Die Voraussetzung für eine weitgespannte Brücke seien tiefe Fundamente.

Auf die zunehmenden Vereinsamungstendenzen in der Gesellschaft angesprochen, zitierte der Kardinal einmal mehr André Heller mit seinem Wort von der “Welt-Muttersprache Mitgefühl”. Es brauche mehr Mitgefühl bzw. Interesse aneinander.

Schönborn warnte vor einer weiteren Verrohung der Sprache und des Umgangs miteinander und plädierte eindringlich für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt. Er verwies auf die Nachkriegszeit. Bei allen Fehlern sei man sich bewusst gewesen: “Aufbauen können wir dieses Land nur gemeinsam.” Und so gelte: “Auch die heutige Krise bewältigen wir nur gemeinsam.”

 Kirchenreform braucht glaubwürdige Christen

 Auf notwendige Kirchenreformen angesprochen, zeigte sich Schönborn überzeugt: “Eine Erneuerung der Kirche braucht vor allem glaubwürdige Christen.” Als Beispiel verwies der Wiener Erzbischof u.a. an die Flüchtlingshelferin Maria Loley, die dieser Tage ihren 100. Geburtstag gefeiert hätte: “Das, was sie sagt, lebt sie auch. Das, was sie lebt, ist glaubwürdig. Das haben viele Menschen gespürt, unabhängig, ob sie jetzt engagierte, aktive Christen waren oder nicht.” Als weitere Beispiele nannte der Wiener Erzbischof den Benediktinermönch David Steindl-Rast und den Jesuiten P. Georg Sporschill.

 Schönborn räumte ein, dass ihn die rückläufige Entwicklung der Mitgliederzahlen der katholischen Kirche sehr schmerze. Es gebe aber sehr viele Menschen, die auf der Suche sind nach dem Sinn und Antworten auf die großen existenziellen Fragen. Und hier habe das Christentum ein großes Angebot, “wir haben tiefe Ressourcen”.

 Darauf angesprochen, dass er vermeintlich die Erneuerung der Kirche eher von neuen Gemeinschaften als traditionellen Pfarren erwarte, sprach Schönborn von einem “Mythos”, an dessen Entstehung er selbst vielleicht nicht ganz unschuldig sei. “Es stimmt, dass ich eine echte Sympathie für die neuen Gemeinschaften habe, denen ich auch selber viel verdanke”, sagte er. Aber er sei “absolut nicht der Überzeugung, dass die Volkskirche oder sagen wir der Katholizismus überholt ist”. Schönborn brach in diesem Zusammenhang eine Lanze für kirchliches Brauchtum und Volksreligiosität.

 Auf die vielen Reformprozesse in der Kirche angesprochen, räumte Schönborn ein, dass die Gefahr bestehe, zu sehr mit sich selbst beschäftigt zu sein. Eindringlich appellierte der Erzbischof an die Pfarrgemeinden, offen zu sein für Hinzugezogene bzw. neue Mitglieder. In der Frage der Mission als Grundauftrag Jesu gebe es in der Kirche in Österreich “noch viel Luft nach oben”.

 Frauen und Zölibat

Auf das beim Synodalen Prozess heftig diskutierte Frauenthema und den Zölibat angesprochen, sagte der Kardinal: “Ich bin als Ordinarius für die katholischen Ostkirchen für eine ganze Reihe von verheirateten Priestern mit ihren Familien zuständig. Das ist ein Thema, das dutzende Male abgehandelt worden ist. Und die Antwort darauf ist klar: Die Möglichkeit, verheiratete Priester zu haben, ist eine Möglichkeit, die es in der Kirche gibt, auch in der katholischen Kirche.” Er habe schon Verheiratete zum Priester geweiht, “mit der Erlaubnis von Rom”.

Die Frauenfrage sei weltweit sicher “eine der brennenden Fragen für die Kirche und für die Gesellschaft insgesamt”, betonte Schönborn: “Und sie ist nicht vom Tisch. Sie wird auch nicht vom Tisch sein, weil Geschlechtergerechtigkeit ein nach wie vor berechtigtes und notwendiges Thema ist.”

Not in Syrien

Schönborn sprach sich auch einmal mehr für eine Aufhebung der internationalen Sanktionen gegen Syrien ausgesprochen. Wie er bei einem Pressegespräch am Montagnachmittag in Wien sagte, sei es ihm unbegreiflich, dass die Sanktionen immer noch aufrechterhalten werden, sie würden nur die Bevölkerung treffen. “Ich war selbst in Syrien und bin sehr informiert über die Lage vor Ort”, so Schönborn wörtlich.

Auf den Krieg im Heiligen Land angesprochen und darauf, ob Papst Franziskus nicht zu sehr Palästina zugeneigt sei, sagte Schönborn: “Ich brauche nicht dem Papst Noten zu geben, aber ich glaube, es ist immer richtig, die Not dort zu sehen, wo sie ist. Und sie ist zweifellos auf beiden Seiten.” Und beides müsse angesprochen werden, “weil es auf beiden Seiten Menschen sind, die es sehr schmerzlich betrifft”.

Auch zu den Beziehungen zur Russisch-orthodoxen Kirche wurde Schönborn befragt. Derzeit sei die Lage sehr schwierig, räumte Schönborn ein: “Ich bedaure sehr, dass es im Moment praktisch keine Möglichkeit gibt, im Dialog mit Moskau zu sein. Aber das wird nicht so bleiben.”

Vermutlich kein neuer Kardinal in Wien

Dass Papst Franziskus den nächsten Wiener Erzbischof wieder zum Kardinal ernennt, ist laut Schönborn alles andere als eine ausgemachte Sache. Zur Journalistenfrage, ob ein neuer Kardinal aus Österreich nicht wünschenswert sei, meinte Schönborn beim Pressegespräch wörtlich: “Da müssen Sie den Papst fragen.” Die traditionellen Kardinalssitze in Europa gebe es in der Form nicht mehr. Franziskus komme aus Lateinamerika “und ich vermute, seine Einschätzung des Gewichts der Kirche in Europa ist vermutlich ein bisschen anders, als wir es erwarten würden”, sagte Schönborn, der einen künftigen Kardinal für Wien dennoch nicht ausschloss: “Vielleicht wird es ja in Österreich eine sehr charismatische oder faszinierende Gestalt geben, die den Papst bewegt, dass er sie zum Kardinal ernennt.”

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