Für viele Tiere wie Bären, Rehe oder Robben ist die sogenannte Keimruhe überlebenswichtig. Nun haben Wissenschaftler herausgefunden, dass auch menschliche Embryonen in eine ähnliche Entwicklungsruhe versetzt werden könnten. Doch was steckt dahinter?

Mehr als 130 Säugetierarten sind in der Lage, die Entwicklung ihrer Embryonen zu pausieren, um beispielsweise sicherzustellen, dass ihre Jungen im Frühling oder Frühsommer geboren werden, wenn die Bedingungen günstiger sind.

Eine neue Studie von Nicolas Rivron vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien und Aydan Bulut-Karslıoğlu vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin deutet darauf hin, dass auch beim Menschen eine solche Pause möglich sein könnte.

Eine Art “Pausetaste”

Die Wissenschaftler entdeckten eine Art „Pausetaste“ für den menschlichen Embryo. Ähnlich wie bei vielen Säugetieren geschieht dies im Blastozystenstadium, also kurz bevor sich der Embryo in der Gebärmutter einnistet. Während dieser Phase wird die Entwicklung gestoppt und kann für Wochen oder sogar Monate pausiert werden, bevor sie fortgesetzt wird.

Da ethische Bedenken bestehen, derartige Experimente direkt an menschlichen Embryonen durchzuführen, experimentierten die Forscher stattdessen mit menschlichen Stammzellen und künstlichen Embryo-Modellen, sogenannten Blastoid-Modellen. Dabei entdeckten sie, dass eine Veränderung des sogenannten mTOR-Signalwegs die Entwicklung der Zellen verlangsamt und eine Pause einleiten kann.

“Entwicklungsverzögerung”

„Als wir menschliche Stammzellen und Blastoide am mTOR-Signalweg behandelten, beobachteten wir eine Entwicklungsverzögerung“, erklärt Aydan Bulut-Karslıoğlu. „Das bedeutet, dass auch menschliche Zellen eine ähnliche Reaktion wie die Keimruhe zeigen können.“ Nicolas Rivron ergänzt, dass dies möglicherweise ein Überbleibsel des evolutionären Prozesses ist, der beim Menschen nicht mehr aktiv genutzt wird.

Diese Erkenntnis könnte insbesondere für die Reproduktionsmedizin von großer Bedeutung sein. Bei künstlichen Befruchtungen, wie der In-vitro-Fertilisation (IVF), könnten Paare von dieser Forschung profitieren. „Eine schnellere Entwicklung erhöht nachweislich die Erfolgsrate der IVF. Durch die Verstärkung der mTOR-Aktivität könnte dieser Prozess beschleunigt werden“, erklärt Rivron.

Gleichzeitig könnte eine durch die Keimruhe erzeugte Pause ein größeres Zeitfenster bieten, um die Gesundheit des Embryos zu überprüfen und den Zeitpunkt der Einnistung optimal mit der Mutter zu synchronisieren, um die Chancen auf eine erfolgreiche Schwangerschaft zu erhöhen.

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