Erdoğan zieht bei den NATO-Verhandlungen mit Schweden wieder alle Register

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Recep Tayyip Erdoğan zeigte sich – wieder einmal – als unberechenbares Gegenüber: „Ebnet den Weg der Türkei in die EU, danach ebnen wir den Weg für Schweden (in die NATO), so wie wir ihn für Finnland geebnet haben.“ Das sagte der türkische Präsident unmittelbar vor seinem Abflug von Istanbul in die litauische Hauptstadt Vilnius.

Dort, wo ab Dienstag der Gipfel der Verteidigungsallianz über die Bühne geht, hatte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg schon am Montag ein Treffen zwischen dem schwedischen Regierungschef Ulf Kristersson und eben Erdoğan organisiert. Das Ziel: Den türkischen Präsidenten dazu zu bringen, den Beitritt des nordischen Landes zu dem Militärbündnis nicht länger zu blockieren. Doch mit der jüngsten Volte Erdoğans dürfte alles noch komplizierter werden.

Erdoğan erhielt schon so viele Zugeständnisse – zuletzt von US-Präsident Biden

Denn bisher waren sich politische Beobachter einig, dass sich der „Pokerspieler vom Bosporus“ seine Zustimmung zu einem NATO-Beitritts Schweden durch andere Zusagen „erkaufen“ wolle. Etwa durch die Garantieerklärung durch US-Präsident Joe Biden, die dringend nötige Modernisierung der türkischen F-16-Kampfjet-Flotte zu ermöglichen – der Chef im Weißen Haus hatte dafür bereits Wohlwollen signalisiert. 

Dass Erdoğan die Causa nun auf eine ganz andere Ebene hievt, gibt ihr eine neue Dimension, die final auf dem NATO-Gipfel gar nicht zu lösen ist, weil es sich um die falsche Organisation handelt. Die Türkei ist zwar seit bald einem Vierteljahrhundert Beitrittskandidat (seit 1999), Aufnahmegespräche laufen seit 2005.

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Doch bald setzte eine Entfremdung ein. „Wir haben es mit einem Kontinent zu tun, der in jeder Hinsicht verrottet ist“, zog Erdoğan etwa 2017 gegen Europa vom Leder. Brüssel wiederum sah inakzeptable Entwicklungen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei. Die Folge: Die Gespräche liegen seit Jahren auf Eis.

Erdoğan braucht die EU, weil die türkische Wirtschaft am Boden liegt

Dass der Präsident nun wieder nach Europa schielt, dürfte wohl auch damit zu tun haben, dass die darniederliegende türkische Wirtschaft dringend einen Booster braucht. Und eine Wiederbelebung der Beitrittsgespräche könnte so einer sein und ausländische Investoren wieder verstärkt anlocken.

Bisher hatte Ankara sein NATO-Veto gegen Schweden damit argumentiert, dass die Regierung zu lax gegen mutmaßliche Terroristen vorgehe – gemeint sind Aktivisten und Sympathisanten der Kurden-Guerilla PKK. Doch nachdem die entsprechenden Gesetze verschärft worden waren, fiel dieses Argument nun mehrheitlich weg.

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In der Warteschleife Schweden hatte nach Beginn des Angriffskrieges Russlands in der Ukraine gemeinsam mit Finnland seine Bündnisfreiheit aufgegeben und Antrag auf Aufnahme in die NATO gestellt. Finnland, das eine mehr als 1.300 Kilometer lange Grenze mit Russland hat, ist seit April dieses Jahres 31. Mitglied des Verteidigungsbündnisses. Schweden hängt in der Warteschleife.

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