Ein NATO-Gipfel mit einem Berg von Hindernissen

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Im buchstäblich letzten Moment vor Beginn des NATO-Gipfels im litauischen Vilnius wollen sie es noch einmal versuchen: Schwedens Premier Ulf Kristersson und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan werden sich heute, Montag, treffen, um rechtzeitig bis zum Gipfelstart am Dienstag einen Durchbruch präsentieren zu können.

Noch immer blockiert die Türkei Schwedens Beitrittsgesuch zur NATO. Ihren Widerstand gegen den Beitritt Finnlands zum mächtigsten Militärbündnis der Welt hat die Führung in Ankara längst aufgegeben – das skandinavische Land ist seit April NATO-Mitglied, während Schweden weiter warten muss.

Dabei wäre die Aufnahme Schwedens ein Signal der Stärke für das Bündnis. Schwedens Armee würde die Verteidigungsfähigkeit im Nordosten Europas erheblich forcieren. Doch die Türkei – und in ihrem Windschatten Ungarn – verweigert weiter die Ratifizierung der schwedischen Aufnahme mit dem Argument: Stockholm gewähre kurdischen Extremisten der verbotenen PKK Unterschlupf. Mittlerweile aber hat Schweden seine Antiterrorgesetze verschärft, seine Verfassung geändert und sogar erstmals einen Kurden verurteilt, der Geld für die PKK gesammelt haben soll.

Die nächste Blockade

Für die NATO allerdings noch schlimmer: Die Türkei blockiert auch noch immer die neuen Verteidigungspläne, die die NATO-Staats- und Regierungschefs beim Gipfel in Vilnius beschließen wollen. Diese hochgeheimen Pläne beziehen sich auf konkrete militärische Vorgangsweisen, kurzfristige Kampfbereitschaft und Stationierungen entlang der NATO-Ostflanke.

Bei dieser türkischen Blockade geht es aber, wie aus NATO-Kreisen zu vernehmen ist, weniger um Inhaltliches als um geografische Bezeichnungen. So etwa besteht die Türkei darauf, dass die internationalen Gewässer zwischen den Dardanellen und dem Bosporus im Text als „Türkische Meerengen“ bezeichnet werden.

Ukraine bleibt draußen

Und große Uneinigkeit innerhalb des Bündnisses gibt es auch bei der Frage, ob die Ukraine ein Beitrittsangebot zur NATO erhalten soll oder nicht. Weil dies alle NATO-Staaten einstimmig beschließen müssten, wird es eine offizielle Einladung beim Gipfel in Vilnius deshalb nicht geben.

➤ Mehr lesen: Nach Zustimmung von Türkei: Finnlands Weg in die NATO ist frei

Stattdessen soll der Ukraine offenbar die Bildung eines speziellen Ukraine-NATO-Rates angeboten werden. „Solch ein Gremium könnte als eine Art Pfad in Richtung einer späteren Beitrittseinladung gesehen werden“, meint der Ex-Spitzendiplomat bei der NATO und nunmehrige Mitarbeiter beim European Council of Foreign Relations (ECFR), Camille Grand. Überhaupt, so der Experte, seien Sicherheitsgarantien für die Ukraine eines der wichtigsten Themen bei diesem Gipfel.

Sollte es bei dem hochrangigen Treffen, zu dem auch US-Präsident Joe Biden anreisen wird, zu keiner Beseitigung der türkischen Blockaden kommen, wäre dies für das Militärbündnis eine schwere Blamage. Die Befürchtung der Gipfelteilnehmer: Russlands Präsident Wladimir Putin könnte dies als Zeichen der Schwäche der NATO deuten.

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