Die Nutrigenetik ist ein Forschungsfeld an der Schnittstelle von Genetik und Ernährung. Ziel ist es, die individuellen Bedürfnisse eines Menschen zu erkennen und diese durch personalisierte Nahrungsergänzung und Ernährung zu bedienen.
Kaffee am Morgen getrunken senkt das Risiko, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben – zumindest wenn es nach einer kürzlich erschienenen und im Netz gehypten US-Studie geht. Ein gutes Gefühl für Kaffee-Enthusiasten! Kaffee, es wurde viel diskutiert, ist also doch gesund. Krebshemmende Wirkung habe er laut Studien zudem auch. Und: Er kurbelt die Kollagenproduktion an. Ja, sagt der österreichische Molekularbiologe und Biotechnologe Dr. Daniel Wallerstorfer, der Kaffee habe diese guten Eigenschaften. Er setzt jedoch ein lautes ABER dahinter. Denn ob die Benefits der Kaffeebohne ihre gesundheitsfördernde Wirkung zeigen können, hängt von unseren Genen ab.
Nicht jeder verarbeitet Nährstoffe gleich
Nicht jeder Körper reagiert gleich auf den Wachmacher. Verantwortlich dafür sind die sogenannten Koffein-Gene. Sind diese defekt (bei 16 Prozent der Menschen ist das der Fall), kann der Wirkstoff sich negativ auf Schlaf, Herzinfarktrisiko, psychische Gesundheit und sogar Fruchtbarkeit auswirken. „Bei Menschen mit nicht voll funktionsfähigen Kaffee-, also CYP1A2-Genen, kann sogar bereits die morgendliche Tasse ausreichen, um das Herzinfarktrisiko zu erhöhen“, so Wallerstorfer. Ist das Gen hingegen intakt, hat das Heißgetränk das Potenzial, sogar das Krebsrisiko zu minimieren. „Eine allgemeingültige Konsumempfehlung kann es daher nicht geben“, so Genexperte Wallerstorfer, Gründer des Salzburger HealthTech-Unternehmens NovoDaily.
Was ist die Nutrigenetik?
Unsere Gene enthalten den Bauplan für unseren Körper. Sie beeinflussen, wie wir bestimmte Nährstoffe verarbeiten. Manche Menschen haben genetische Varianten, die es erschweren, z. B. Omega-3-Fettsäuren effizient zu nutzen. Hier setzt die Nutrigenetik an: Durch eine DNA-Analyse sollen Defizite erkannt und gezielt ausgeglichen werden. Überdosierung soll vermieden werden. Zudem sollen die Ergebnisse helfen, die Ernährung an die persönliche Stoffwechselkapazität anzupassen, um Energieeffizienz und Gewichtsmanagement zu verbessern.
Wie funktioniert die Nutrigenetik?
Die Grundlage sind genetische Tests, die über eine DNA-Speichelprobe durchgeführt werden. Diese Analysen identifizieren genetische Varianten (Polymorphismen), die Einfluss auf die Verarbeitung von Nährstoffen haben. Ergänzt wird dies oft durch Informationen zu Lebensstil, Ernährung und Umweltfaktoren, um eine ganzheitliche Empfehlung zu geben. Kaffee ist nur eines von vielen Beispielen. Was einen Menschen gesund und schlank hält, kann für einen anderen zur Gesundheitsfalle werden. Gewissheit bringe laut dem Experten nur eine Genanalyse. Das Set von NovoDaily kommt handlich verpackt per Post nach Hause. Mit einer Lanzette nimmt man sich selbst ein paar Tropfen Blut ab. Die Speichelprobe erfolgt mittels Wattestäbchen. Das Kit wird ins österreichische Labor zurückgeschickt, wo die Proben analysiert werden. Nach etwa drei Wochen kommt eine Mail mit Link. Die ersten Ergebnisse sind da: 900 Lebensmittel sind im persönlichen Online-Account gelistet und bewertet. Haferflockenbrei, mein tägliches Frühstück, ist mit vier grünen Punkten bewertet und macht mich schlank. Allerdings stehen dort auch sechs rote Punkte und daneben ein rot leuchtendes „sehr ungesund für dich“. Obst und Gemüse leuchten durchgehend grün. Champagner, Sekt und Milchprodukte sind für mich zwar nicht ganz so gesund, aber machen mich schlank. Pizza soll ein wahres Diätfutter für mich sein. Brot und Gebäck sind allerdings nicht meine Freunde. Kurzum: Ich bin der Typ gesunde, ausgewogene, pflanzenbasierte Ernährung, der mit den richtigen Lebensmitteln angeblich auch mal „cheaten“ darf.
UND: Ich verfüge über intakte Kaffeegene und soll daher bis zu drei Tassen pro Tag guten Gewissens genießen.
Abnehmen: DNA macht‘s schwer
Weitere vier Wochen später bringt die Post ein prall gefülltes Paket. Dessen Inhalt: Personalisierte in Salzburg hergestellte Nahrungsergänzung sowie zwei dicke Booklets mit der Auswertung meiner „Abnehmgene“ („Shape) und einer umfangreichen Nährstoffanalyse („Nutrition“). Hätte ich mit nicht einmal 50 Kilo nicht mein Idealgewicht, wären die Ergebnisse des Abnehmtests niederschmetternd. Ich bin der „starke Hungertyp“, der „schwache Sättigungstyp“, der „häufige Snacktyp“ und der „starke Fettorgantyp“. Kalorienreduktion zeigt nur mittelmäßige Erfolge beim Abnehmen, genauso wie Sport. Zum Glück muss ich nicht abspecken! Falls doch mal ein paar Kilo runter müssen, dürfte ich maximal 1.010 kcal pro Tag zu mir nehmen. Um mein Gewicht zu halten, dürfen es rund 1.500 kcal sein. Rezepte für jedes Ziel findet man ebenfalls im Buch.
Was alles (nicht) funktioniert
Wesentlich abwechslungsreicher liest sich die Lektüre über meinen Nährstoffbedarf. In einfachen Worten und lebhaft illustriert wird erklärt, dass ich ein Problem mit der Verstoffwechselung von Folsäure, Vitamin D und Omega-3 habe. Aufgrund meiner Gene, so steht geschrieben, sind mehrfach ungesättigte Fettsäuren, also die gesunden Fette wie Omega-3, nicht so gesund für mich wie für andere. Viel Omega-3, so heißt es ja, reguliert den Cholesterinspiegel. Je mehr Omega-3 eingenommen wird, umso höher steigen die guten HDL-Werte an – zumindest bei Menschen mit „normalen Genen“. Sind – wie bei mir – beide „Omega-3-Gene“ (APOA1-Gene) defekt, schlägt Omega-3 ins Negative um. Je höher die Einnahme, desto schlechter die HDL-Werte. Die guten Fette sind zwar besser für mich als die ungesunden gesättigten Fettsäuren, und ich soll Fisch, pflanzliche Öle, Nüsse & Co. essen. ABER: Ich sollte nicht zusätzlich Omega-3-Kapseln einnehmen. Stattdessen wird Phytosterol, das Cholesterin der Pflanzen, empfohlen, und dieses ist jetzt in perfekter Menge in meiner personalisierten Nahrungsergänzung, an der mein Name steht, enthalten. Genauso wie Folat. Das kann mein Körper nämlich besser aufnehmen als Folsäure. Jedoch ist in den meisten Nahrungsergänzungsmitteln nicht die aktive Form Folat (so kommt sie auch in der Natur vor) enthalten, sondern Folsäure, da diese Form viel stabiler ist und günstiger produziert werden kann. Jedoch, so die Auswertung, sei Folsäure für mich als Nahrungsergänzung teilweise wirkungslos.
Eine rundum Analyse
Es wurde nicht nur analysiert, wie ich Nährstoffe aufnehme, sondern auch, wie meine Entgiftung und mein Immunsystem arbeiten. Mein körpereigenes Detoxsystem funktioniert super, mein Immunsystem allerdings ist zu aggressiv programmiert. Eine Autoimmunerkrankung war bereits ein guter Hinweis darauf. Was mir bis dato jedoch nicht bewusst war: Ich kann der genetischen Programmierung einfach entgegenwirken. Z. B. mit einem Verzicht auf gesättigte Fettsäuren, Alkohol und Arachidonsäure (eine Omega-6-Fettsäure, die in Schweineschmalz, Lachs, Thunfisch, Geflügel und Milchprodukten enthalten ist) sowie mit der Einnahme von MSM. Der organische Schwefel wirkt (ähnlich wie Omega 3, das ich ja nicht einnehmen sollte) entzündungshemmend sowie antioxidativ. Tatsächlich habe ich das Gefühl, dass sich nach nun sechswöchiger Einnahme die starken Rötungen auf meiner Gesichtshaut gemildert haben. Meine Haut ist generell viel strahlender. Ist es MSM? Vermutlich ist es der Mix aus den 21 maßgeschneiderten Nährstoffen.
Das große Fazit:
Die personalisierte All-in-one-Nahrungsergänzung fühlt sich gut an und vereinfacht die tägliche Einnahme von Supplements. Der Nutrition-Check hat mir zudem sehr viel über meinen Körper verraten.
Trotz der umfangreichen Infos blieb allerdings eine bohrende Frage zurück. Was bedeuten die schlechten Abnehmgene für mein weiteres Leben? Müsste ich nicht übergewichtig sein? Die Antwort von Dr. Wallerstorfer erreicht mich prompt: „Das Programm“, erklärt der Genforscher, „basiert auf Studien von übergewichtigen Menschen, die mit diversen Abnehmstrategien versucht haben abzunehmen. Die Erfolge waren je nach Gen-Funktion unterschiedlich und somit lässt sich aus diesen Studien ablesen, wie effektiv weniger essen, Sport, weniger Fett usw. zum Abnehmen sind.“
Die tatsächlichen Dickmachergene werden nicht analysiert. Dafür reiche ja ein Schritt auf die Waage. „Das Programm sagt also nicht, ob Sie gefährdet sind, zuzunehmen, sondern gibt Ihnen einen Leitfaden, welche Strategie aufgrund Ihrer Genetik zu besseren Abnehmerfolgen führen sollte“, so der Molekularbiologe. Sein Rat an mich: „Behalten Sie das Booklet auf, sollte das Gewicht im höheren Alter mal zum Problem werden. Ihre Gene ändern sich nicht, also ist das auch in 20 Jahren noch aktuell. Sie befolgen die Empfehlungen nur, wenn das Gewicht ein Problem für Sie darstellt. Jetzt oder in der Zukunft.“ Also wird das Büchlein im Schrank verstaut und ab nun noch genauer aufs Gewichtsmanagement geachtet.