Die Kritik an CDU-Chef Friedrich Merz nimmt zu.
Wenn die CDU am Montag knapp drei Wochen vor der deutschen Bundestagswahl zu ihrem Bundesparteitag zusammenkommen wird, ist Harmonie Pflicht. Der Streit über den richtigen Kanzlerkandidaten hat die Union 2021 den Wahlsieg gekostet. Aber seit die CDU/CSU-Bundestagfraktion vergangenen Mittwoch erstmals mit AfD-Stimmen eine Resolution für eine radikale Wende in der Asylpolitik im Bundestag durchsetzte, ist die Harmonie nur noch vordergründig.
Im Hintergrund gibt es Kritik, dass die Strategie zu riskant sei, mit der CDU-Chef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz versucht, potenzielle AfD-Wähler zu locken.
Operation “Werben um AfD-Wähler”
Als die Chefin des Meinungsforschungsinstituts Allensbach, Renate Köcher, dem CDU-Bundesvorstand Mitte Jänner ihre Zahlen präsentierte, sagte sie nach Teilnehmern zufolge, dass sich acht Prozent der Wähler vorstellen könnten, entweder die AfD oder die CDU zu wählen. Das hat in der Unionsspitze den Wunsch verstärkt, gezielt um diese Wähler zu werben. Denn CDU/CSU stecken seit Wochen bei rund 30 Prozent in Umfragen fest – deutlich weniger, als sich Merz erhofft. Dies ist eine Erklärung dafür, dass er das Thema Migration nach der tödlichen Messerattacke im bayerischen Aschaffenburg erst mit einem Fünf-Punkte-Plan und den dann folgenden Abstimmungen im Bundestag so hoch zog – und dabei das Risiko einging, erstmals mit der AfD einen eigenen Antrag und Gesetzentwurf durchzusetzen.
Am Freitagabend sprach Merz AfD-Wähler auf einer CDU-Veranstaltung im thüringischen Erfurt deshalb auch gezielt an. Es sei “ein legitimes demokratisches Wahlverhalten”, die AfD zu wählen. Aber die Proteststimmen für diese Partei seien am Tag nach der Wahl nichts mehr wert. “Ich werde mit dieser Partei keine Gespräche führen, keine Regierung bilden. … Die Probleme lösen wir.” Mit dem Vorgehen im Bundestag wollte Merz nach Aussage aus der Parteispitze beweisen, dass die Abkehr der CDU von der im Osten verhassten Merkel-Union glaubhaft sei.
Operation “Ich verliere in der Mitte”
Aber es gibt Kritiker dieses Kurses in der Partei – nicht nur Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther oder die frühere CDU-Kanzlerin Angela Merkel. Denn Allensbach-Chefin Köcher hatte auch darauf verwiesen, dass für die Union in der politischen Mitte noch viel mehr zu holen sei: Zehn Prozent könnten sich vorstellen, SPD oder CDU zu wählen, sieben Prozent FDP oder CDU und immerhin sechs Prozent Grüne oder Union. “Mit seinem Manöver hat Merz die Tür für diese Wähler wohl zugeschlagen”, fürchtet ein hoher CDU-Politiker, der nicht genannt werden will.
Ob dies wirklich so ist, werden die kommenden Umfragen zeigen. Die CDU-Spitze verweist auf Umfragen, nach denen auch viele SPD-oder Grüne-Wähler einen härten Kurs in der Asylpolitik durchaus richtig finden. Aber gemeinsames Abstimmen mit der AfD und das teilweise Einreißen der Brandmauer zu der Partei gilt besonders im Westen bei viele Mitte-Wählern als Tabu. SPD und Grüne versuchen nun, mit einer besonders lauten Empörung gegen Merz zu mobilisieren.
Das Dumme für den Kanzlerkandidaten: Berichte über einen harmonischen Abend in der Wohnung des CDU-Politikers und früheren Kanzlerkandidaten Armin Laschet mit Merz und der Grünen Außenministerin Annalena Baerbock ausgerechnet am Abend vor der umstrittenen Bundestagsabstimmung stoßen mögliche AfD-Wechselwähler wieder ab. Am Ende könnten alle verprellt werden.
Vertrauensverlust
Genüsslich attackieren die bisherigen Regierungsparteien nun die Glaubwürdigkeit des in Umfragen klar führenden Unions-Kanzlerkandidaten. Merz habe seine Zusage von November gebrochen, auch keine zufälligen Mehrheiten mit der AfD im Bundestag zu riskieren. Tatsächlich hat der CDU-Vorsitzende die Argumentation geändert: “Machen wir uns denn von der AfD abhängig, ob wir unsere Anträge in den Deutschen Bundestag einbringen oder nicht? Und wenn die Ja sagen, sagen wir Nein zu unseren eigenen Anträgen? Leute, das kann nicht richtig sein”, sagte er nun in Erfurt. Aber Merz muss mit dem Vorwurf in die heiße Wahlkampfphase gehen, dass man ihm nicht mehr trauen könne. SPD und Grüne schüren Zweifel, dass Merz trotz aller Dementis am Ende doch mit der AfD Politik machen würde.
Schwierige Koalitionsbildung
Genau dies erschwert eine Koalitionsbildung mit Merz nach der Wahl. Trotz der giftigen Atmosphäre im Bundestag gibt er sich mit Blick auf die deutliche Führung in den Umfragen gelassen. “Ich bin mir ganz sicher, dass wir nach der Bundestagswahl mit den demokratischen Parteien der politischen Mitte in diesem Land, in diesem Hause hier vernünftige Gespräche führen können”, sagte er nach dem Scheitern des Migrations-Gesetzesentwurfs der Union.
Doch in SPD und sogar bei den Grünen ist die Neigung nach Aussagen mehrerer Spitzenpolitiker spürbar gesunken, mit Merz zu regieren. Das geht so weit, dass einzelne Abgeordnete schon ankündigen, den CDU-Chef auf keinen Fall zum Kanzler wählen zu wollen.
Dazu kommt, dass Merz die Erwartungen an eine Asylwende nach seinem Amtsantritt so in die Höhe geschraubt hat, dass dies auf Wähler möglicherweise nicht mehr glaubhaft wirkt. Denn eine Koalitionsregierung mit nötigen Kompromissen scheint unausweichlich. Merz kündigte zwar an, an Tag eins seiner Kanzlerschaft die Grenzen für Flüchtlinge schließen zu wollen. Aber dazu müsste er erst einmal zum Kanzler gewählt werden – im Falle eines Wahlsiegs ausgerechnet von den Parteien, die den Weg der Union kategorisch als Bruch des Grundgesetzes und des Europarechts einstufen.