Prozessauftakt in Ried: Die Staatsanwaltschaft plädiert auf ein eiskaltes Gewaltverbrechen, der Verteidiger auf Notwehr, zumal das Opfer davor geschossen hatte – und verlangt einen Lokalaugenschein.

OÖ. Ein 22-Jähriger, der seinen eigenen Vater mit neun Messerstichen getötet haben soll, steht  in Ried im Innkreis vor Gericht. Der Tat war ein Streit vorausgegangen, im Zuge dessen das Opfer zu einer Schusswaffe gegriffen hatte. Die Staatsanwaltschaft sieht im Tatablauf dennoch Mord, der Verteidiger hingegen eine Notwehrsituation. Der Angeklagte – ein kleines blasses Männchen mit Extrem-Undercut, weißem Rollkragenpulli, Tattoos und brav gefalteten Händen –  bekannte sich nicht schuldig.

Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn sei “nicht das Beste gewesen”, so der Staatsanwalt. Der Angeklagte habe bereits mit 14 Jahren begonnen, Drogen zu nehmen und Straftaten zu begehen, u.a. sei er wegen eines Raubüberfalls mit einer Axt verurteilt worden. Auch nach seiner bedingten Entlassung habe es Probleme gegeben, Gewalt gegen den Vater, Wegweisungen, Arbeitslosigkeit, Suchtgift. Der Vater, obwohl selbst Alkoholiker, habe immer versucht den Sohn von den Drogen wegzubringen und ihm “die Wad’ln virez’richten, wie man auf Innviertlerisch sagt”.

In den frühen Morgenstunden des 19. Jänners habe sich ein “familiärer Supergau” ereignet, so der Staatsanwalt: Weil der Angeklagte zu sehr unter Drogen stand, um zur Arbeit zu gehen, kam es zu einer Auseinandersetzung mit dem Vater, der 2,5 Promille intus hatte. Der Sohn soll den Vater geohrfeigt, dieser daraufhin ein Gewehr geholt haben – “um den Angeklagten aus dem Haus zu vertreiben”, ist der Staatsanwalt überzeugt – und zweimal in die Wand bzw. in die Luft geschossen haben.

Schließlich habe der 22-Jährige zu einem Messer gegriffen und den 59-Jährigen mit neun Stichen so schwer verletzt, dass er wenig später starb, so der Vorwurf. “Er reflektiert nicht, er sticht sofort zu, getrieben von Hass und Zorn”, sieht der Staatsanwalt eindeutig Mordabsicht und keine Notwehrsituation, weil der Vater “eindeutig erkennbar” nur in die Luft schießen habe wollen.

Völlig desolate Familienverhältnisse

Der Verteidiger sieht das erwartungsgemäß anders und zeichnete das Bild einer desolaten Kindheit: Sein Mandant sei ein ungewolltes Kind gewesen, der Vater Alkoholiker, der den Sohn geschlagen und ihm keine Zuneigung gezeigt habe, die Mutter sei viel weg und der Bub in der Betreuung von Au-pairs gewesen. Dennoch rede der 22-Jährige nie schlecht über seinen Vater. “Er tut mir einfach leid”, er sei nach wie vor “ein großes Kind”. Der 22-Jährige selbst sagte über seinen Vater: “Er war unberechenbar”, zumindest wenn er betrunken gewesen sei.

Der erste Schuss, der laut Staatsanwalt nur “ein Warnschuss” war, habe den Kopf der Mutter nur um zehn Zentimeter verfehlt, sagte der Anwalt. Danach habe der Vater nochmals auf die Mutter gezielt. Die körperlich beeinträchtigte Frau habe sich aber rechtzeitig in einer Nische versteckt. Der zweite Schuss sei in den Raum gegangen, in den Bereich eines Sessels, auf dem der Sohn normalerweise sitzt. Der Verteidiger sieht einen Lokalaugenschein und ein ballistisches Gutachten als “unausweichlich” an.

Lebenslang und Einweisung drohen

Die psychiatrische Sachverständige Adelheid Kastner attestierte dem Angeklagten in ihrem Gutachten eine kombinierte Persönlichkeitsstörung verbunden mit durchgehendem Substanzmissbrauch. Es liege u.a. ein “völliger Mangel an Einfühlungsvermögen” und eine niedrige Aggressionsschwelle vor. Im Falle eines Schuldspruchs im Sinne der Mordanklage drohen dem 22-Jährigen eine Freiheitsstrafe von zehn bis zu 20 Jahren oder lebenslang und zusätzlich eine Einweisung in ein forensisch-therapeutisches Zentrum.

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