Yoshitomo Nara – “Ich bin nicht so ein ernsthafter Künstler, wie Sie vielleicht meinen”

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Die Albertina Modern ist ein mystischer Ort, vor allem ihr Untergeschoss. Um dort hinzugelangen, muss man eine tiefrote Treppe hinuntersteigen, vorbei an einer beleuchteten Reklametafel. Auf ihr prangt ein Bild von einem süßen Mädchen, adrettes blaues Kleid, akkurater Pagenschnitt und einem grimmigen Blick, der so gar nicht dazu passen will. Wütend starrt sie auf die großgedruckten Buchstaben Yoshitomo Nara.

“All My Little Words” ist seit gut zehn Jahren die erste große Ausstellung innerhalb Europas des 63-jährigen, weltbekannten japanischen Künstlers. Kuratorin Elsy Lahner und Generaldirektor Klaus Albrecht Schröder zeigen sich bei der Pressekonferenz dementsprechend stolz, nun erstmals in der Albertina 600 seiner Werke präsentieren zu können – darunter eine graue Skulptur, eine schwarz-weiße Vase und vor allem zahlreiche Zeichnungen.

Spiel mit Traditionen auf grantig: “Cup Kid” von Yoshitomo Nara. – © Courtesy Pace Gallery / Yoshitomo Nara

Malen mit Punk

Über vier Räume kann man, einem Zeitstrahl folgend, Naras Schaffen aus rund 40 Jahren verfolgen. Der Beginn: 1984. Man sieht ein braunrotes Blatt Papier, zwei Kanten sind abgeschnitten, ein Kind reitet auf einem Holzpferd, grobe Linien, vieles nur nüchtern angedeutet.

Klare Ansage: "Fuck U", 2015. - Collection of the artist Courtesy Pace Gallery / © Yoshitomo Nara
Klare Ansage: “Fuck U”, 2015. – Collection of the artist Courtesy Pace Gallery / © Yoshitomo Nara

Das Ende der Ausstellung: ein Raum ganz in Blau. In der Mitte steht ein kleines weißes Häuschen, es sieht ein bisschen aus wie ein Hühnerstall. “My Drawing Room” (Mein Zeichenraum”) heißt die Installation und soll Naras Ateliersituation nachempfinden. “Das ist ein Haus, in dem ich als Kind gerne gelebt hätte”, sagt der Künstler bei der Pressekonferenz. Im Hintergrund läuft Musik, “Nobody’s Fool” von Dan Penn oder Joni Mitchells “Both Sides Now.” Die Playlist kann man auch nach dem Besuch auf Spotify nachhören.

Nara entwickelt schon früh eine Leidenschaft für Musik, hört viel aus den 1960er Jahren und entdeckt schließlich, er ist gerade 18, den Punk. “Da wollte ich dann kurz nur mehr Punk hören”, sagt er. Nach der Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe in Japan im Jahr 2011 findet er wieder zu seinen introvertierten Liedern aus den 1960ern zurück, versteht sie nun anders. Häufig kommen Textzeilen oder Songtitel in seiner Arbeit vor, bei seinen Werken visualisiert er gekonnt, was er in Musikstücken hört und fühlt.

Yoshitomo Nara hat bei der Form und Präsentation seiner Kunstwerke in der Albertina Modern selbst mitgearbeitet. Er hatte das Gefühl, seine Aufgabe sei es gewesen, “die Ordnung etwas außer Kraft zu setzen.” Das macht es folglich auch für die Kuratorin, Lahner, zu einer “sehr besonderen Hängung.”

Wütende Mädchen

Naras “Angry Girls”, seine “zornigen Mädchen”, sind über alle vier Räume verteilt und fallen einem sofort auf. Mit wütenden Mienen drohen sie, manchmal haben sie Vampirzähne oder Messer in der Hand. Auf anderen Bildern scheinen sie wiederum lieblich, vielleicht sogar ein wenig gutgläubig.

Ihr Aussehen erinnert an japanische Comic-Figuren, an Mangas; zeigen eine ähnliche Deformation des Körpers: übergroße Augen, kleine Münder, runde Gesichter. Nara spielt mit ihrem infantilen Aussehen und zeigt damit eine Ambivalenz zwischen Kindlichkeit und Widerstand auf. “Fuck U” steht über einer von ihnen, sie zeigt einem geradewegs den Mittelfinger. Für Nara sind die Mädchen jedoch weder eindeutig männlich noch weiblich.

Die “Angry Girls” reflektieren zudem Gefühle aus Naras Kindheit, inspiriert vor allem durch die Einsamkeit, die ihm seit jungen Jahren vertraut ist und während des Studiums in Düsseldorf wieder aufkam. Er wächst als Schlüsselkind in der japanische Präfektur Aomori auf, ist dort viel allein, spielt mit einer zugelaufenen Katze, erfährt man etwa aus der Presseinformation.

“Die Quelle meiner Arbeit sind die Gefühle, die ich als Kind hatte”, sagt Nara. Und diese übersetzt er schonungslos auf die Leinwand, von Verletzlichkeit bis hin zu Revolution und Aufmüpfigkeit. “I don’t care a Fuck about everything”, steht da einmal. Was er sich dabei gedacht habe, fragt ein Journalist. “Da habe ich mich wohl geärgert”, sagt Nara.

Man merkt seinen besonderen Sinn für Humor. Das sagt er übrigens auch über sich selbst: “Ich bin nicht so ein ernsthafter Künstler, wie sie vielleicht meinen.” Seine Kunst ist hingegen äußerst ernsthaft. Sie beschäftigt sich mit gesellschaftspolitischen Anliegen, bleibt dabei antihierarchisch, stemmt sich gegen Normen der Konsumgesellschaft -und wirkt dabei unverfälscht.

Interviews gibt Yoshitomo Nara nicht besonders freudig, er spricht auch nicht gern vor Publikum. Das überlässt er lieber seinen Bildern.

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