Ich bin sehr glücklich Wien verlassen zu können – with the feeling of achievement”, mit dem Gefühl, etwas erreicht zu haben, so eröffnete Christophe Slagmuylder die Präsentation seiner fünften und letzten Spielzeit als Intendant der Wiener Festwochen. Der 56-jährige belgische Kulturmanager löste im Frühjahr vorzeitig seinen Vertrag auf, mit dem Schweizer Theatermacher Milo Rau ist bereits ein würdiger Nachfolger gefunden.
Die Festwochen 2023 sind zugleich Slagmuylders Abschied aus Wien und zeigen zugleich seine “Vision für die Festwochen”. Slagmuylder präzisiert: “Es geht um Exzellenz und Experiment, um Offenheit und einen Dialog mit verschiedenen Generationen, internationalen wie lokalen Künstlerinnen und Künstlern.”
Bühnenerfindungen
Von 12. Mai bis 21. Juni finden 36 Produktionen an 20 Spielorten statt – von einem Spielplatz in der Donaustadt bis zum Burgtheater und erstmals auch in der Volksoper, hier gastiert die Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker. Die Hälfte der Inszenierungen entstehen auf Anregung der Festwochen als Eigen- oder Koproduktion.
Zu den Höhepunkten des diesjährigen Spielplans gehört wohl Alban Bergs “Lulu” in einer Inszenierung von Marlene Monteiro Freitas. Die kapverdische Künstlerin ist bekannt als Choreografin, “Lulu” wird ihre erste Opern-Inszenierung, musikalisch dargebracht vom RSO, für dessen Erhalt sich Slagmuylder während der Pressekonferenz ausdrücklich aussprach.
Weiteres programmiertes Highlight dürfte Milo Raus Tragödienüberschreibung “Antigone im Amazonas” sein. In der Aufführung geht es explizit um die Forderungen der Landlosen-Bewegung in Brasilien. Ursprünglich war “Antigone im Amazonas” für 2020 geplant, damals hielt die indigene Aktivistin Kay Sara eine flammende Online-Rede, nun wird sie höchstpersönlich im Burgtheater auftreten.
Erstmals ist mit “Extinction” in Wien eine Arbeit von Julien Gosselin zu sehen. Gosselins expressionistische Bühnenerfindungen, die sich anhand literarischer Vorlagen entzünden, waren bislang vor allem in Frankreich zu sehen. Nach “Sturm und Drang – Geschichte der deutschen Literatur I” an der Berliner Volksbühne, taucht er im zweiten Teil in “Extinction” mit Schnitzler und Bernhard in die österreichische Literatur ein.
Slagmuylder hob in seiner Präsentation Mariano Pensottis “La Obra” besonders hervor, dabei wird es um Erinnerungskultur gehen. Der britische Realitätserforscher Alexander Zeldin begeisterte mit seinen Sozialdokumentationen bereits bei den Festwochen, in “The Confessions” setzt er sich mit dem Leben seiner Mutter auseinandersetzen und den radikalen Brüchen, die ein Frauenleben im 20. Jahrhundert aus den Angeln heben konnte. Rund um weibliche Biografien entfaltet sich auch Susanne Kennedys Inszenierung “Angela (a strange loop)”, in dem die deutsche Regisseurin das Allgemeingültige einer weiblichen Existenz auf die Bühne bringen will, zu erwarten ist ein bildmächtiges Spektakel der Marke Kennedy & Selg. Im Vorjahr zeigte das Duo eine gigantische Neu-Deutung von Philipp Glass Oper “Einstein on the beach”.
Außerdem gibt es ein Wiedersehen mit dem britischen Theatermacher Simon McBurney (“The Master and Margarita”, “The Encounter”). McBurney setzt sich in seinem jüngsten Projekt “Drive Your Plow Over the Bones of the Dead” mit dem enigmatischen Roman “Gesang der Fledermäuse” der polnischen Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk auseinander.
Aus dem Zürcher-Schauspielhaus gastiert Wu Tsangs intermediale Interpretation von “Pinocchio”. William Kentridge wird mit “Sibyl”eine Kombination aus Kurzfilm und Kammeroper vorstellen.
Neu im Festwochen-Spektrum ist eine Kabarettreihe, die von Maria Muhar kuratiert wird: “COMISH” bietet im Metropol Namen wie Toxische Pommes, David Scheid oder Erin Markey auf.
Im Porgy & Bess wird die sechsteilige Konzertreihe “Elective Affinties” angeboten. Slagmuylders Fazit zur Festwochen-Ausgabe 2023: “We have it all.”.