Staatsoper – “Die besten Künstler stellen Fragen”

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Ihre Weihnachtsgrüße hat sie in der Vorwoche in den sozialen Netzen gepostet: Ein Handyvideo zeigt Rachel Willis-Sørensen mit einer Ukulele in den Händen und einem amerikanischen Evergreen auf den Lippen – es ist der “Christmas Waltz”, den Frank Sinatra mit einer üppigen Orchesterbegleitung eingespielt hatte. Zugegeben: Im Vergleich damit klingt die Fassung von Willis-Sørensen ziemlich handgestrickt. Doch gerade das lässt die Frau im Bild charmant aussehen und wesentlich leutseliger, als man es ihr angesichts ihres Berufs zutrauen würde: Rachel Willis-Sørensen ist eine Opernsopranistin, noch dazu eine weltweit gefragte. Sie arbeitet an Häusern wie der New Yorker Met, singt Divenpartien wie Violetta Valery oder Mimì. Doch die US-Amerikanerin schwebt nicht auf einer Eitelkeitswolke oder braucht für ihr Ego einen Flugzeughangar. Wer Willis-Sørensen – der Zweitname rührt daher, dass sie in Dänemark verheiratet war und dort dreifache Mutter wurde – im Café für ein Interview trifft, landet rasch bei privaten Themen.

Etwa bei der erwähnten Ukulele. “Die hat mein Vater selbst gemacht”, erklärt Willis-Sørensen; die Vorgeschichte führt etliche Jahre zurück: “Ursprünglich wollte er eine Gitarre kaufen, die 5.000 Dollar kostete. Aber er hatte fünf Kinder, und meine Mutter sagte ihm, er könne sich das nicht leisten. Also hat er angefangen, selbst Instrumente zu bauen.” Eines Tages hat er die begehrte Gitarre dann wirklich angefertigt – und im Vorjahr seiner Tochter eine Ukulele geschenkt.

Entspannte Wien-Wiederkehr

Ende 2021 war Willis-Sørensen auch an der Wiener Staatsoper zu Gast und dort für die “Fledermaus”-Abende rund um Silvester gebucht. “Ich war nervös, die Rosalinde ausgerechnet hier zu singen”, sagt sie. Doch die Nervenbelastung endete unverhofft rasch. Nach der ersten Aufführung musste die Spielserie abgesagt werden: zu viele Covid-Fälle im Ensemble. Jetzt verkörpert die US-Sängerin die Figur erneut am Wiener Silvesterabend, ist nun aber hoffnungsfroh gestimmt und gelöst. “Diesmal ist der Druck viel geringer. Es singt fast die gleiche, tolle Besetzung, und wir haben mit Yoel Gamzou einen lieben Dirigenten”, erzählt Willis-Sørensen im Gespräch – das sie übrigens nicht auf Englisch, sondern auf Deutsch führt. Seit zwei Deutschland-Aufenthalten, unter anderem als Ensemblemitglied der Semperoper Dresden, beherrscht sie die Sprache fließend. Das hilft ihr nicht nur auf der Operettenbühne; sie kann damit auch in einem Interview Pointen landen. Etwa, wenn es um ihre Statur von 1.83 Meter geht und ihren markanten, aber lyrischen Ton: “Ich bin so groß – man hört Wagner, bevor ich anfange zu singen.”

An der Staatsoper wird ihr Timbre bald noch in einer Partie erklingen: Ab 19. Jänner schlüpft Willis-Sørensen in die Rolle der Mimì, wirkt also für einige Termine in der alten “Bohème” des Hauses mit – Abende, die rasch und ohne Zutun eines Regisseurs geprobt werden. Hat das vielleicht auch Vorteile? Öffnet es Sängern Freiräume? Willis-Sørensen: “Ja, in einer alten Inszenierung hast du mehr Platz.” Andererseits: “Du hast nicht viel Zeit, um dich einzuleben. Man wirft etwas auf die Bühne, und hoffentlich geht’s!”

Wenn Willis-Sørensen in einer Neuinszenierung mitwirkt, läuft aber auch nicht immer alles glatt. Es sei schon okay, sagt sie, wenn ein Regisseur nicht ihre Ideen von einer Rollengestaltung teile. Er sollte dann aber das Gespräch suchen. Doch leider: “Manche wollen sich nicht erklären, sondern einfach nur, dass du etwas tust. Aber die besten Künstler stellen immer Fragen. Auf kurze Sicht mag das mühsamer sein, auf lange ist es der bessere Weg. Dann kann der Sänger den springenden Punkt einer Regie verstehen und vielleicht auf subtile Weise selbst etwas einbringen.”

2023 bekommt die Sopranistin, nach “Bohème” und “Fledermaus”, Abwechslungsreiches auf den Bühnen zu tun: Einerseits wird sie drei Verdi-Figuren mimen, anderseits in einer Premiere von Strauss’ “Arabella” in Berlin eine Protagonistin des deutschen Repertoires verkörpern. Sind solche Wechsel mühsam? Nein, nützlich, meint Willis-Sørensen. “Es schont die Stimme, gerade weil du aufpassen musst. Wenn die Herausforderungen unterschiedlich sind, musst du fit bleiben, clever atmen, auf dich achten.”

Schweigsam die Kinder hüten

Wie unangenehm vokale Blessuren sind, weiß sie aus einer Erfahrung: Eine Schwellung auf den Stimmbändern zwang sie für einige Zeit zum Schweigen – auf der Opernbühne und bei ihren Kindern. Wobei: In der Familie hatte das überraschend positive Folgen. Willis-Sørensen tippte tagelang Wörter in einen Computer, ließ diesen für sich reden: “Meine Kinder haben noch nie so gut aufgepasst wie zu der Zeit. Faszinierend! Je leiser du wirst, desto mehr wird zugehört.” Das Stimmproblem löste sich schließlich auf unverhoffte Art: “Die Ärzte haben zu einer Operation geraten, ich habe die Schwellung aber durch Hypnose und Homöopathie wegbekommen.”

Hat Willis-Sørensen keine Bedenken, aus dem Nähkästchen der Privatsphäre zu plaudern? Machen einen stolze Enthüllungen (etwa über eine 30-Kilogramm-Diät 2018) nicht zugleich auch verletzlich? Ja, antwortet die Amerikanerin, hängt jedoch gleich ein “aber” dran: “Meine Presseagentin hat mir bei meinen ersten Videos geraten, keine komische Stimme oder einen Akzent aufzusetzen; sie wollte das Persönliche herausnehmen. Doch das gelang mir nicht immer – und genau für diese Momente bekam ich die meisten positiven Reaktionen.” Kurz: “Ich denke, Menschen freuen sich über Authentizität”, sagt Willis-Sørensen, die es auch als ihre Aufgabe sieht, jungen Sängern Mut zu machen. “Das habe ich geschafft, weil die Leute wissen, dass ich ehrlich bin.”

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