“Sonne und Beton” – In der Dauerdröhnung

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In Gropiusstadt im Berliner “Problemkiez” Neukölln ist die Hölle los, anno 2003. Da irrlichtern 14-jährige Buben ziellos durch ihren Großstadtalltag; eine Lebensperspektive entwickeln die wenigsten hier im sozialen Brennpunkt. Ein paar von ihnen beschließen, die neuen Computer ihrer Schule zu stehlen und zu verhökern, denn die Kohle brauchen sie für ihre Dauerdröhnung aus Drogen und Alkohol.

Dem Film zugrunde liegt der Roman “Sonne und Beton” des 1988 geborenen Autors Felix Lobrecht. Dieser hatte ihn aus Versatzstücken eigener Erlebnisse und Erzählungen 2017 veröffentlicht, das Buch wurde zum Renner. David Wnendt hat es nun verfilmt (derzeit im Kino) und liefert einen rasanten Jugendfilm ab.

David Wnendt, ein Spezialist für das Verfilmen von Romanvorlagen.

– © Katharina Sartena

“Wiener Zeitung”: Herr Wnendt, was hat Sie an dieser Buchvorlage interessiert?

David Wnendt: Als das Buch erschien, habe ich es regelrecht verschlungen. Da wird so genau beschrieben, wie das Leben mit 14 ist. In dem Alter sind Mädchen ferne Sehnsuchtspunkte und die Probleme, die sie haben, scheinen unendlich groß und existenziell zu sein. Keiner versteht einen, die Erwachsenen können alle nicht helfen. Die Eltern verstehen die Jungs nicht mehr, und für die Mädels sind die Jungs noch zu unreif. Jungs in dem Alter sind ziemlich auf sich allein gestellt. Die große Stärke des Romans ist, wie authentisch, glaubwürdig und sensibel er dieses Lebensalter beschreibt. Die Figuren sind differenziert und realistisch dargestellt. Lukas und seine Freunde sind keine Engel, sie können rau, grob und frech sein, sie bauen viel Mist und doch sind sie verletzlich und fähig, Zärtlichkeit zu zeigen.

Worauf haben Sie bei der Besetzung besonders geachtet?

Bei der Besetzung spielte Glaubwürdigkeit eine große Rolle. Die Hauptfiguren sind 14 bis 15 Jahre alt und genau in diesem Alter wollten wir auch die Darsteller finden. Die ganze Geschichte von “Sonne und Beton” gewinnt an besonderer Kraft, wenn man dieses spezielle Lebensalter sensibel und authentisch porträtiert. In dem Alter stehen die Jungs genau auf der Schwelle zum Erwachsenwerden, sie sind noch halbe Kinder. Gerade der Darsteller für Lukas brauchte etwas Zartes und Unschuldiges. Es sollte wehtun, ihn mit einer Zigarette im Mund zu sehen.

Der Ort, an dem alles spielt, ist ein sozialer Brennpunkt: Gropiusstadt in Berlin Neukölln. Der Stadtteil gilt seit Jahrzehnten als Problembezirk. Wieso ist das so?

Das ist ganz im Südosten der Stadt. Ich kenne viele, die noch nie da waren, weil man tatsächlich ein ganz schönes Stück zurücklegen muss, bis man da ist. Dort ist es jetzt sehr grün, die bauen ganz viele Spielplätze, Freizeitanlagen, Sportplätze . . . Man bemüht sich, den Kiez lebenswerter zu machen. 2003 war manches sicherlich problematischer. Es gab kaum Angebote für die Jugendlichen. Es war die Zeit, in der Problemschulen wie die Rütli Schule täglich in den Schlagzeilen waren. Nicht alles hat sich verbessert. Bis heute gibt es krasse Typen, die in Gropiusstadt wohnen. Es gibt weiter Armut und damit auch weiter Probleme. Es liegt immer noch eine Aggressivität in der Luft.

Haben Sie in der Gegend recherchiert, bevor Sie da gedreht haben?

Ja, natürlich. Das erste Mal war ich mit Felix Lobrecht dort, als wir gemeinsam am Drehbuch arbeiteten. Er hat mir die Orte gezeigt, die im Roman beschrieben werden. Danach war ich öfters da, zum Beispiel mit meinen Kindern, um eine kleine Fotosafari zu machen. Wir haben vor Ort gecastet und so Kontakt zu den Leuten aufgebaut und Motive für den Dreh gefunden.

Sie gelten als Spezialist für Roman-Verfilmungen. Was ist so reizvoll, eine Geschichte von einem Medium in ein anderes zu übertragen?

Auf jeden Fall hat man eine Art Rohstoff in Form eines Romans. Das ist ein bisschen wie ein Steinbruch, aus dem man gewisse Stücke herausbricht und andere dort belässt. Eine Schwierigkeit der Verfilmung ist, dass man die Gedanken der Protagonisten in Bilder übersetzen muss. Manchmal kann ich den inneren Monolog in Dialoge verwandeln, manchmal braucht es Voice Over, manchmal andere dramaturgische Kniffe. Das hat auch Felix Lobrecht überrascht, dass der ganze Prozess so lange dauert. Er dachte am Anfang, wir verwandeln den Roman in zwei Wochen in ein Drehbuch, das dann in vier Wochen verfilmt ist. Er war dann doch sehr überrascht, dass alles am Ende fünf Jahre gedauert hat und nicht vier Wochen.

Worauf haben Sie besonderen Wert gelegt und welche Stücke des Steinbruchs haben Sie zurückgelassen?

Wir haben im Drehbuch einige Figuren gestrichen. Andere haben wir zu einer Figur zusammengelegt. Was mit Gino passiert, ist im Buch angedeutet, im Film haben wir es direkt gezeigt. Es gab viele Kürzungen, aber insgesamt sind wir dem Roman sehr treu geblieben. Der Film ist kein schwerer Problemfilm, aber auch keine reine Komödie. In der Inszenierung habe ich die jungen Figuren ernst genommen, aber auch die lustigen und leichten Momente gesucht. Dies ist ein wichtiger Kontrapunkt, denn die Welt von “Sonne und Beton” ist rau und manchmal brutal. Die Gewalt im Film wird nicht zelebriert, aber schonungslos, realistisch und aus der Perspektive der Jungs gezeigt. Wir erleben aus ihrer Sicht, wie viel sie einstecken müssen.

Welche Rolle spielt das Setting der Geschichte im Jahr 2003?

Der Film lässt das Jahr 2003 wie einen fernen Spiegel auferstehen: Michael Schumacher wird zum sechsten Mal Weltmeister, Lance Armstrong gewinnt die Tour de France, der Bundeskanzler heißt Gerhard Schröder. Es ist eine Welt, die von heute betrachtet seltsam weit weg und seltsam heil wirkt. Aus unserer Perspektive scheint da alles in Ordnung gewesen zu sein. Doch der Schein trügt. Schon damals zeigen sich die Risse, die zu den heutigen Verwerfungen führen. Einer dieser Risse verläuft durch die Gropiusstadt. Hier liegen die Wurzeln für Probleme, die in den letzten Jahren in Deutschland immer schlimmer geworden sind. Hier wird schon 2003 eine soziale Frage aufgeworfen, die bis heute nicht beantwortet wurde. Das Viertel ist voll von Kindern mit ausländischen Roots, die keine Chance haben, sich in die Mehrheitsgesellschaft zu integrieren. Es sind die Hilflosigkeit, die Angst und der latente Rassismus der deutschen Erwachsenen, die einer Lösung der sozialen Probleme im Wege stehen. Vieles hat sich bis heute enorm zugespitzt.

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