Schulbeginn: Niemand ist mit Österreichs Schulsystem zufrieden.

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WZ | Ina Weber

Jeder versucht, den anderen seinen Job zu erklären und reibt sich auf. Viele Eltern sind verärgert, weil sie das Gefühl haben, dass ihr Kind nicht bestmöglich begleitet wird, Lehrer sind ausgebrannt. Was kann man tun, damit die Gemeinschaft besser wird?

Alexia Weiss

Es braucht ein System, das einen Paradigmenwechsel vollzieht und alle anderen rundherum als Team sieht. Es braucht eine Kommunikation auf Augenhöhe mit den Eltern. Viele Pädagog:innen wollen das Beste für die Schüler:innen, aber es gibt immer noch genügend, bei denen man spürt, dass sie wissen, dass sie am längeren Ast sitzen. Diese Art der Kommunikation muss der Vergangenheit angehören. Wenn das Beurteilen durch standardisierte Tests durchgeführt werden würde, würde das auch den Druck von den Lehrer:innen nehmen. In den Volksschulen etwa ist der Druck auf die Lehrer:innen durch die frühe Trennung so groß, weil viele ein Zeugnis mit lauter Einsern verlangen.

WZ | Ina Weber

Du schreibst in deinem Prolog, dass du ein System siehst, in dem wir „die Kinder an die Hand nehmen, in den Mittelpunkt stellen und jedem einzelnen von ihnen die besten Chancen bieten“. Jetzt könnte man sagen, dass dem wohl jeder sofort zustimmen würde. Auch Politiker:innen. Es gibt aber keine allgemeingültigen Messmethoden dafür. Wie könnte ein Qualitätsmanagement aussehen?

Alexia Weiss

Durch standardisierte Überprüfungen, bei denen Kinder gesichert über Kompetenzen verfügen. Und Politikern kann man nur sagen, schaut euch die Realität an. Wenn eine Volksschullehrerin 25 Kinder unterrichtet, von denen 17 Deutsch nicht als Muttersprache haben, Kinder mit verschiedensten Entwicklungsständen, Kinder mit nicht diagnostiziertem ADHS — wie soll das gehen? Während sie den einen Deutsch beibringt, sollen sich die anderen still beschäftigen? Die Klassen sind zu groß. Die Kinder bräuchten Muttersprachen-Unterricht. In Schweden bekommt jedes Kind auch Unterricht in der jeweiligen Muttersprache. Das ist ein enormer Schatz für die Gesellschaft. Auch sollte jede:r Pädagoge:in das Fach Deutsch als Fremdsprache belegt haben.

WZ | Ina Weber

Dein genau skizziertes Bild der Schule von morgen ist eine Anleitung für die Politik. Glaubst du, Politiker:innen lesen dein Buch? Wie war das Feedback?

Alexia Weiss

Es hat zunächst niemand von den Parteien Kontakt aufgenommen. Ich habe allerdings den Bruno-Kreisky-Preis für mein Buch erhalten. Danach hat sich die SPÖ bei mir gemeldet und wir haben ein sehr konstruktives Gespräch geführt. Ich gehöre keiner Partei an, freue mich aber, wenn meine Anregungen bei welcher Partei auch immer auf fruchtbaren Boden fallen.

WZ | Ina Weber

Jetzt hat sich aber doch einiges getan: Bildungsminister Polaschek hat ein „Kurssystem“ für die Schulen angekündigt, mehr Verwaltungspersonal, Schulsozialarbeiter und eine Reform der Lehrerausbildung. Sind damit all deine Wünsche erfüllt?

Alexia Weiss

Nein. Es ist immer nur ein kleines Herummurksen, nie der Wurf. Das System ändert sich von der Struktur her nicht. Das sind kosmetische Korrekturen. Es klingt immer super, was alles in die Lehrpläne aufgenommen wird, doch damit kommen wir nicht weiter. Wenn man mit den Lehrer:innen spricht, heißt es auch nur, der Lehrplan wird weiter überfrachtet, das muss man dann alles bei den Kindern durchpeitschen, dabei würden sie beispielsweise viel lieber Projektarbeiten machen. Wir müssen das Denken korrigieren. Jedes Kind sollte seinen individuellen Stundenplan haben.

WZ | Ina Weber

In allen Schultypen bilden bei den Lehrer:innen die Über-Fünfzigjährigen die größte Gruppe. Gepaart mit der Tatsache, dass dieser Beruf sehr anstrengend ist, könnte das auch ein Grund für den Reformstau sein? 

Alexia Weiss

Das sehe ich nicht so. Viele Lehrer:innen hätten gerne andere Bedingungen und es sind oft die sehr Erfahrenen, die Mut zur Veränderung hätten. Worüber wir aber sicher reden müssen, ist, dass sich der Arbeitsalltag an den Schulen ändern müsste. Dass Lehrer:innen nur Zeit an der Schule verbringen, wenn sie im Klassenzimmer stehen, sollte der Vergangenheit angehören. Das ist kein Job mehr, wo man am Nachmittag die Schule verlässt und zu Hause weiter arbeitet. Dadurch leiden Pädagog:innen auch unter entgrenztem Arbeiten. 

WZ | Ina Weber

Wer mit Schule und Kindern zu tun hat, hat meist viel zu kritisieren. Doch gibt es etwas, das gut läuft?

Alexia Weiss

Es klingt hart, aber nein. Ich sehe nichts. Was ich sehe, sind frustrierte Lehrer:innnen, die motiviert anfangen und ausgebrannt aufhören. Ich sehe verzweifelte Eltern, weil die Kinder es nicht schaffen und sie ihnen nicht helfen können. Und ich sehe verzweifelte Eltern, die das Beste für ihr Kind wollen und sehr viel Geld in Nachhilfe stecken müssen und ihre Familienzeit am Wochenende für Schularbeiten opfern müssen. Die Kinder selbst sind vielleicht anfangs motiviert, doch das nimmt mit den Jahren ab, dann ist die Freude weg. Nein, ich sehe niemanden, der mit dem Schulsystem zufrieden ist. 

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