Ohne Peinlichkeit keine Satire, meint Rolf Miller. Der deutsche Kabarettist reist für sein aktuelles Programm “Wenn nicht wann, dann jetzt” wieder mit einer Figur an, die nur so strotzt vor Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Homophobie – und das ganze so schlecht kaschiert, dass es schon wieder lustig ist. Und gleichzeitig ertappt sich sein Publikum selbst dabei, wie es einen Ungustl sympathisch findet. Zu sehen am 3. Juni im Wiener Stadtsaal. Im Vorfeld erklärt Miller, warum seine Figur so ist, wie sie ist, warum nicht jede Pointe bei jedem Kabarettisten funktioniert und warum er keinen gesteigerten Bedarf an Fernsehauftritten hat.

“Satire ist immer auch Schadenfreude, das geht gar nicht ohne”, meint Rolf Miller.
– © Sandra Schuck
“Wiener Zeitung”: Herr Miller, kommt man als süddeutscher Bühnenkünstler gerne nach Wien?
Rolf Miller: Ja klar. Für mich ist es nicht anders als in Linz, Hamburg oder Kiel. Ich habe auch nie regional gedacht. Am Anfang meiner Karriere habe ich sogar tunlichst vermieden, in meiner näheren Umgebung aufzutreten, weil ich gedacht habe, es muss überall funktionieren. Und am Anfang bist du halt noch nicht so gut, und da wollte ich mich lieber dort blamieren, wo mich keine Sau kennt.
Wird man überall gleich gut verstanden?
Sprachlich kann es passieren, dass einmal das eine oder andere Wort nicht verstanden wird, aber das macht nichts, finde ich. Und thematisch hat jeder einen Vater und viele eine Tochter, und jeder kriegt Wladimir Putin mit, da ist es völlig wurscht, wo ich spiele. Bei mir geht es vor allem um zwischenmenschliche Themen, und die sind wirklich überall gleich. Corona kommt auch ein bisschen vor, aber damit will ich die Leute nicht zu sehr langweilen. Gerhard Polt hat einmal zu mir gesagt: “Das Gute bei dir ist, dass du das ansprichst, was peinlich und symptomatisch ist an der Gesellschaft.” Das ist mein Thema. Das wird durch meine Bühnenfigur dargestellt, die per se schon einmal peinlich ist, und was er an Rettungs- und Erklärungsversuchen bringt, ist auch noch einmal peinlich. Und das, worüber er redet, ist erst recht peinlich. Mein Hauptsujet ist also Peinlichkeit. Das unterscheidet mich nicht von den großen Vorbildern. Mit so einer Figur, wie ich sie spiele oder wie sie Gerhard Polt oder Olli Dittrich spielt, möchte ich nicht auf Urlaub fahren. Loriot hat ja letztendlich auch nur die Peinlichkeiten herausgearbeitet und Schwächen und die Ängste. Und die Leute lachen schadenfroh darüber aus dem sicheren Zuschauerraum. Das funktioniert in Wien genauso wie in Stuttgart oder Bozen.
Gibt es für Ihre Figur reale Vorbilder?
Die ist eine Mischung aus allem, was mir im Leben so begegnet ist, das beginnt schon in der Kindheit mit meinem Vater, meinen Kumpels, meinem Bruder und auch mir selbst. Dass ich nur Halbsätze spreche und so viel wie möglich verdrehe und Wörter falsch verwende, das begegnet uns ja selbst im täglichen Leben auch oft. Der Unterschied ist halt: Die anderen halten sich die Ohren zu – ich schreib mir das auf und mache ein Programm daraus. Und ich präsentiere am Abend auf der Bühne genau das, was die Leute untertags nicht hören wollen, und da lachen sie dann darüber. Als Konzentrat natürlich, und da ist die Kunst, dass es nicht zu unglaubwürdig ist, weil es zu inflationär wird. Ich muss es so authentisch wie möglich herüberbringen, und das ist die größte Herausforderung bei meiner Arbeit als Kabarettist. Übertreiben darf man dabei auch nicht. Der beste Gag nützt nichts, wenn er nicht glaubwürdig rüberkommt. Das geht so weit, dass manche Gags bei einem Josef Hader funktionieren, aber bei einem Alfred Dorfer nicht und umgekehrt, weil es dafür einfach einen bestimmten Charakter braucht. Manchmal muss das Motto lauten: “Kill your darlings”, und da muss man einfach die besten Gags in die Tonne treten, weil man selbst nicht der geeignete Interpret dafür ist.
Sie haben die unvollendeten Pointen angesprochen. Sind Ihnen die irgendwann passiert oder gehören die von vornherein zum Konzept?
Ich habe die Leute immer beobachtet, wie die reden – und wann die Leute lachen. Und so Sätze wie “Da helfe ich gerne, wenn Not gebraucht wird am Mann” oder “Da sind wir dem ganzen Schritt schon ein Stück näher” sind für mich wunderbare Pointen. Um die herum baue ich dann die richtige Geschichte auf. Es sind also zuerst die Satzfesten da, die ganzen Unfertigkeiten, und daraus entsteht dann erst das Programm. Das ist der umgekehrte Weg, wie ihn viele Kollegen gehen. Die Geschichte ist mir nicht so wichtig – weil die Figur ist die Geschichte, der Typ, so wie er ist. So wie bei den Figuren eines Gerhard Polt, wo man nach dem zweiten Halbsatz schon lacht, obwohl man noch gar nicht weiß, worum es überhaupt geht. Aber es kommt bereits der Charakter rüber, der einem schon voll auf den Sack geht. Drei, vier Halbsätzen reichen, um einen Charakter gut darzustellen. Auf der Bühne lachst du dann darüber. Aber wenn du dem im echten Leben begegnest, dann schaust du, dass du Land gewinnst. Und genau so denke ich beim Schreiben. Ich führe die Figur vor. Satire ist immer auch Schadenfreude, das geht gar nicht ohne.
Haben Sie dir Rückkehr aus dem Corona-Loch geschafft?
Sehr gut sogar. Ich habe jetzt so viel Publikum wie selten zuvor. Ich glaube, das liegt auch daran, dass das Fernsehen in den vergangenen Corona-Jahren immer dieselben Künstler gezeigt hat. Auch, weil nur Leute eingeladen werden, wo ja keine Gefahr besteht, dass ein Shaming im Spiel sein könnte. Da gibt es dann Kabarettsendungen, wo eine halbe Stunde nicht gelacht wird. Und das ist den Zuschauern einfach zu eintönig geworden, die laufen jetzt wieder weg hin zur Bühne, zu den Live-Auftritten. Das Publikum schaut jetzt wieder genauer, wo es hingeht und kehrt dem stupiden, monotonen Einbahnstraßenkabarett im Fernsehen den Rücken. Es ist wie ganz früher, die Leute stöbern wieder in Programmheften. Das kommt mir jetzt zugute. Früher war es so: Wenn du nicht im Fernsehen warst, sind die Leute nicht gekommen. Jetzt ist es genau umgekehrt. Ich stehe seit 32 Jahren auf der Bühne und habe jetzt so viel Publikum wie nie zuvor, obwohl ich so selten im Fernsehen bin, und wenn, dann nur in den Regionalsendern. Was Schöneres hätte ich mir vor Corona nicht wünschen können. Ich habe aber auch Fernsehen nie gerne gemacht, mir genügen die paar kleinen Sendungen im Jahr. Was ich auf keinen Fall mehr machen werde, ist eine Fernsehsendung ohne Live-Publikum im Saal. Das fand ich nämlich ganz schlimm, als wir das gemacht haben und die künstlichen Lacher draufgelegt wurden – und zwar nicht in der Postproduktion, sondern zeitgleich, während wir gespielt haben. Da hat einer immer irgendeinen Knopf gedrückt, und du bist jedes Mal erschrocken. Das ist wie im Autokino, wo ich auch gespielt habe, wenn plötzlich einer hupt. Da erschrickst du jedes Mal dermaßen. Aber TV-Kabarett ohne Publikum finde ich noch schlimmer. Seit den Corona-Ausweichprogrammen weiß ich eine Live-Bühne noch mehr zu schätzen. Es ist alles besser als das, was wir während Corona machen mussten.
Zurück zu Ihrer Figur: Deren Frauenbild teilen Sie ja wohl nicht.
Nein, da kann ich mich austoben. Privat bin ich da relativ modern. Aber selbst wenn ich eine Figur spiele, die ich als frauenfeindlich vorführe, kriegen manche TV-Redakteure schon Panik: Wenn ich das zeige, und das wird missverstanden, dann ist er der Frauenfeind, weil er mich, der einen Frauenfeind spielt, zugelassen hat. Das ist der wahre Grund, warum Leute wie ich, die praktisch das machen, was schon immer das Kabarett ausmacht – das auf brutale Weise zu überhöhen -, dass man da Schiss hat, sowas zu zeigen. Wir leben in einer hypermoralischen Zeit, aber da hat es schon immer solche Wellen gegeben. Beispielsweise würde ein Harald Schmidt heute nach der zweiten Sendung abgestellt werden.
Siehe die Debatte um Lisa Eckhart.
Das war ja ein ganz spezieller Gag, wo sie gesagt hat, dass es den Juden scheinbar doch nicht ums Geld geht, sondern um Sex. Da hat sie drei Juden aufgezählt, Harvey Weinstein, Woody Allen und Roman Polanski, und der Fehler war, das sie auf alle Juden geschlossen hat. Wenn sie das aber nicht macht, funktioniert der Gag nicht. Jetzt hat sie zwei Möglichkeiten: Entweder sie bringt ihn und vertraut ihrem Publikum, dass es schon versteht, dass sie eben nicht alle Juden meint. Oder sie müsste es eben anders sagen, aber dann ist es keine satirische Pointe mehr. Und sie hat sich entschieden zu riskieren, missverstanden zu werden. In Wahrheit ist es undenkbar, dass sie Antisemitin ist. Aber mit dem Gag hat sie natürlich etwas riskiert. Das muss dann jeder Künstler selber wissen, wie weit er da geht. Wenn ich an so eine Stelle komme, dann überlege ich mir das schon sehr genau, auch um mich selber zu schützen.
Es ist jedenfalls ein Spannungsfeld da zwischen guten Gags und politischer Korrektheit.
Ich finde, es gibt eine politische Inkorrektheit, die okay ist, und es gibt eine politische Inkorrektheit, die nicht okay ist. Es gibt also zwei politische Inkorrektheiten, sonst könnte man ja wirklich alles machen auf der Bühne und jeden beleidigen und immer sagen, es ist Satire. Satire darf eben nicht alles. Ich kann nicht über ein auf dem Boden liegendes Opfer auch noch Witze machen. Es gibt einfach Dinge, die als Satire nicht geeignet sind. Es ist ja gerade die Kunst und das, was es so interessant macht: dass man versucht, böse und schwarzhumorig zu sein, ohne aber nur zu beleidigen. Ansonsten sehe ich dann auch nicht den Humor darin.
Kommt eigentlich im aktuellen Programm “die Ding” wieder vor?
Ja klar. Frauen haben generell keinen Namen, das hat es noch nie gegeben, das war immer schon “dem Schwager seine” oder “dem Jürgen seine” oder “dem Achim seine”. Und “die Ding” war meistens meine Frau. Frauen zählen für meine Figur einfach nichts. Frauen sind für ihn so minderwertig, dass er sich nicht einmal ihre Namen merken will und kann. Er ist ein absoluter Frauenfeind, und er weiß aber, dass ihm das auf den Kopf fällt, wenn er nicht aufpasst, und deswegen versucht er sich da geschickt auszudrücken – also geschickt in seinem Horizont. So ganz blöd ist er ja auch nicht. Und er hat schon auch etwas Liebenswertes, deshalb verzeiht man ihm gewisse Sachen. Da wird es ja für den Zuschauer ganz bitter, wenn er ihn ein bisschen sympathisch findet. Da muss er eigentlich über sich selbst erschrecken, wenn er plötzlich einem anderen Rassismus, Homophobie und Frauenfeindlichkeit nachsehen kann. Da wird es dann ganz böse, finde ich. Vielleicht hätte der Adolf ja ein lieber Opa sein können. Thomas Gottschalk hat einmal in seine Late-Night-Show Franz Schönhuber eingeladen, der ungefähr einem Jörg Haider entsprochen hat. Und der kam dann auch noch sympathisch rüber! Da wirds dann richtig interessant. Man sieht, das Leben ist nicht nur schwarz/weiß, wir haben alle unsere Facetten. Die Satire funktioniert eben auch genau deswegen, weil es nie nur negativ ist, sondern weil wir selbst den größten Ungusteln manches verzeihen.