Neben den herkömmlichen, mit verschiedener Schwerpunktsetzung von den darauf spezialisierten Verlagen herausgegebenen wohlbekannten Reiseführerbüchern hat sich ein anderes, eher noch junges Genre an Reiseliteratur zu etablieren begonnen: Bücher, in denen klassische Reiseziele mit Blicken abseits des touristischen Mainstreams betrachtet werden, zumeist verfasst von einheimischen Autorinnen und Autoren, die sozusagen als eine Art “Native Writers in Residence” eine subtilere Sicht auf “Land und Leute” zu vermitteln vermögen. Ein solches Buch legt nun auch Elisabetta De Luca vor. Sie zeigt ihr ganz persönliches “Rom abseits der Pfade”. Die Autorin, die offenbar davon ausgeht, dass ihre Leserschaft über die herkömmlichen Sehenswürdigkeiten ohnehin Bescheid weiß, schaut eben ganz bewusst in Ecken, die man in der Hauptstadt Italiens als normaler Tourist wohl eher nicht finden würde.
Zu Beginn setzt De Luca dem “Remus” ein Denkmal. Jenem “Remus”, der – nach einem der beiden Zwillinge benannt, die Rom der Legende nach gegründet haben sollen – als Nachtzug gemeinsam mit seinem Zwilling “Romulus”, der den Wiener Südbahnhof (schon zu Zeiten, als dieser noch nicht Hauptbahnhof hieß) am Morgen verließ, jahrzehntelang die eisenbahntechnische Direktverbindung Wiens zur Ewigen Stadt herstellte. Ihn nimmt sie zum Ausgangspunkt für erste Betrachtungen einer Annäherung an diese faszinierende Stadt, wobei sie den vielfältigen Möglichkeiten ebendieser Annäherung breiten Raum widmet. Und sie liefert mittendrin ein Kulinarikrezept samt einem Hinweis, wo dieses Schmankerl auf stimmige Art und Weise verkostet werden kann – ein Stilmittel, das, wie der Testleser später bemerken soll, sich durch alle Kapitel dieses Buches zieht.

“Meines Erachtens kann man die Gegenwart nur dann begreifen, wenn man auch die Vergangenheit kennt. Und die ist im Falle Roms ja eigentlich die Gegenwart.” Diese Erkenntnis stellt die Autorin in die Einleitung des Kapitels “Tempi mai passati”. In einem kurzen, epochenübergreifenden geschichtlichen Abriss kommt De Luca bald zur Feststellung, dass viel von den Strukturen des Lebens im antiken Rom bis herein in unsere Zeit im Leben der einheimischen Bevölkerung Spuren hinterlassen hat. Die Regionalität des Grätzels bestimmt auch heute noch viele Handlungsweisen, etwa beim Einkaufen zum täglichen Bedarf. Die regional-einheimische Sicht auf das Leben inmitten von Geschichte und Sehenswürdigkeiten in den verschiedenen Teilen der römischen Innenstadt liefert die Autorin gleich mit dazu, samt Episoden aus dem dafür reichhaltig Stoff bietenden Künstlermilieu.

Elisabetta De Luca führt ihre Leserschaft in versteckte Ecken der italienischen Hauptstadt.
– © Verlag Braumüller / Mani Hausler
Da darf dann auch ein kleiner Seitenhieb auf das Fotografierverhalten vieler Zeitgenossen nicht fehlen. Die Kirche trägt naturgemäß auch ihren beträchtlichen Anteil zur Jahrhunderte währenden urbanen Entwicklung Roms bei. Auch jüngere Aspekte werden aufgegriffen, etwa der von Benito Mussolini aus dem Boden gestampfte Stadtteil “EUR”. Und wiederum gibt es, mitten in den Fließtext hineingestreut, Tipps zum Besuch eines Kaffeehauses oder einer kleinen, vom Mainstream links liegen gelassenen Sehenswürdigkeit.
“Caput mundi” – quasi als Hauptstadt der Welt erschien Rom vielen Sehnsuchtsreisenden, nicht nur Johann Wolfgang von Goethe. Rom ist nach wie vor eines der weltweit beliebtesten Reiseziele, stellt die Autorin fest. So weist alsbald einer der vorhin erwähnten Tipps darauf hin, wo Wolfgang Amadeus Mozart in Rom residierte, gefolgt von einem kurzen Abriss über sein Wirken in der Ewigen Stadt und einem längeren über den Niederschlag der Eindrücke aus Rom in das Werk Goethes. Vom deutschen Dichterfürst ist es dann nicht mehr weit zu Johann Gottfried Herder, und nach einem diesbezüglichen Tipp wendet sich die Autorin den unterschiedlichen Möglichkeiten zu, in Rom Unterkunft zu finden, was anschließend in eine ausgiebig längere Beschreibung der Wohnsituation der Einheimischen mündet.
Auf diese Art und Weise führt Elisabetta De Luca ihre interessierte Leserschaft durch die reich mit Schwarzweiß-Fotos bebilderten einzelnen Kapitel ihres Rom-Buches. Diesen allen hier einzeln nachzuspüren, hätte sich die Autorin zwar verdient, würde aber den Rahmen sprengen. Keinesfalls unerwähnt bleiben darf aber, dass sich “Mamma Roma” – ausgehend von Pasta und deren Bedeutung – ausführlich der Kulinarik und der in Rom gepflogenen Kultur von Essen und Trinken widmet, auch nicht, dass dem dabei immer stärker in den Fokus kommenden alten jüdischen Ghetto erhöhte Aufmerksamkeit gezollt wird. Jeglicher Hinweis, dass besonders dieses Kapitel mit vielfältigsten Tipps zum Aufsuchen der unterschiedlichsten Lokale durchsetzt ist, ist eigentlich überflüssig . . .
In weiteren Kapiteln wendet sich die Autorin weiteren Themenkreisen zu. “Sanus per acquam” widmet sie den unzähligen Brunnen, die seit Jahrhunderten Rom zumeist von weit her mit Wasser versorgen. Wie kultig sich Roms Brunnenvielfalt dabei darstellt, braucht hier nicht eigens zitiert zu werden. In “I Giardini di Roma” stellt sie Gärten und andere Grünanlagen der Ewigen Stadt vor und beschreibt deren Geschichte und das Leben mit und in ihnen, und dem die Stadt in weiten Bögen durchfließenden Tiber zollt sie in “Il Tevere” Tribut. Weitere Kapitel thematisieren Trastevere, das Dorf in der Stadt, die klassischen Sieben Hügel sowie Rom als Mythos.
All diese Kapitel bieten, wie schon erwähnt, neben vielen stimmigen Schwarzweiß-Fotos zahlreiche Tipps, vor allem für Lokalbesuche, und gelegentliche – von der Autorin “Exkurs” genannt – nähere Erläuterungen zu besonderen Einzelheiten. Auch dem Vatikan ist schlussendlich ein eigenes Kapitel gewidmet, ehe De Luca in einem Abschiedskapitel noch einmal ihre eigene Dualität des Lebens in zwei Kulturen aufgreift und betrachtet.
Ihr Buch macht jedenfalls Lust, in den nächsten Zug nach Rom zu steigen, auch wenn dieser längst nicht mehr “Romulus” oder “Remus” heißt. Das 320-seitige Druckwerk sollte dabei auf jeden Fall mit ins Handgepäck.