Rainald Grebe hat es nicht leicht. Seine 2014 diagnostizierte Vaskulitis (Entzündung der Blutgefäße) hat ihm fast ein Dutzend Schlaganfälle beschert. Und trotzdem steht der deutsche Musikkabarettist weiter auf der Bühne, zum Beispiel am 22. März mit seiner Kapelle der Versöhnung im Wiener Stadtsaal. Der 51-Jährige macht es sich aber auch nicht leicht. So hat er sich 2017 mit dem Autobahnklobetreiber Sanifair angelegt, weil dieser Geld für die Benutzung der Toiletten verlangt. Über seine gescheiterte Klage spricht er im Interview ebenso wie über Jugendsünden und die Schwierigkeit, klimaschonend auf Tour zu gehen.
“Wiener Zeitung”: Mit der Kapelle der Versöhnung gastieren Sie demnächst im Wiener Stadtsaal. Warum heißt die eigentlich so?
Rainald Grebe: Wir haben damals einen Bandnamen gesucht. Ich habe gesagt, ich gehe einmal um den Block und wenn ich wiederkomme, dann habe ich einen Namen. Und die Kapelle der Versöhnung in Berlin ist ja eigentlich unser Proberaum, da habe ich mir gedacht: Das passt ja irgendwie. Ich bin aus dem Westen, die anderen sind aus dem Osten, wir machen das. Erst spalten, dann versöhnen – das war immer so die Losung. So wie im Kabarett allgemein.

In Ihrem alten Lied “Ich bin der Präsident” sprechen Sie die “Neger” an, zwar als Zitat auf Heinrich Lübke, aber trotzdem. Und vor gar nicht allzu langer Zeit haben Sie Indianerkopfschmuck getragen. Wäre das heute noch möglich, ohne gleich einen Shitstorm zu ernten?
Den Kopfschmuck setze ich nicht mehr auf oder zumindest nur dann, wenn ich etwas explizit zu diesem Thema mache. Die Diskussion ist so hochgekocht, dass man das nicht mehr einfach aus Spaß machen kann, so wie es damals war. Ich habe ja schon viele Abende über Karl May gemacht, die werde ich auch weiterhin machen, aber dass man den einfach aufsetzt und er bedeutet nix – das ist vorbei. Es gibt heute mehr Debatten darüber, was man sagen darf und was nicht. Vor allem aus meiner Warte als alter weißer Mann. Früher haben wir Witze gemacht und gedacht, das geht einfach so. Und jetzt beschweren sich gewisse Gruppen darüber. Im Prinzip ist das ja nicht schlecht. Aber es macht natürlich die ganze Sache schwieriger. Wenn ich sehe, dass Amazon jetzt Leitlinien für identitätspolitisches Besetzen von Rollen in den Serien hat, dass etwa Schwule nur noch von Schwulen gespielt werden dürfen. Da ist die Wurzel des Spielens in Gefahr. Beim Federschmuck hat man mir gesagt, wenn ich damit in den Social Media auftauche, klickt das kein junger Mensch an, das ist quasi verboten. Man muss auf jeden Fall sehr viel bedenken. Als junger weißer Mann mit Anfang zwanzig habe ich – ohne groß nachzudenken – eine Nummer gemacht, in der ich Frauen auf der Bühne an die Brüste gefasst habe. Ich habe gedacht, das wäre cool – bis mir zwei Theatermitarbeiter den Vogel gezeigt haben. Dann ist mir klar geworden: Das geht doch nicht! Aber so war halt die Zeit damals, man hat so was einfach gemacht.
Was hat die Corona-Pandemie für Sie speziell bedeutet mit Blick auf Ihre Vaskulitis-Erkrankung?
Corona war für mich gar nicht so das Thema, ich hatte es auch nicht. Dafür hatte ich elf Schlaganfälle mit Krankenhausaufenthalten, das war ziemlich schlimm. Dann ist auch noch unser Trommler Martin Brauer gestorben – es war also so ein Todesjahr für mich und die Kapelle der Versöhnung. Damit muss ich erst einmal klarkommen.
Verarbeiten Sie das im aktuellen Programm?
Eine Aufarbeitung in dem Sinn gibt es nicht. Aber es geht um Rollatoren, die ich gebraucht habe. Ich bin dem Tod jetzt ein paar Mal von der Schippe gesprungen, ich finde, das ist ein guter Antrieb. Der Tod gehört für mich zum Alltag dazu. Ich war jetzt wieder vier Tage im Krankenhaus, bin abhängig von Tabletten, von der Schulmedizin vollgedonnert, das ist mein Leben. Und dass ich jetzt ständig als Patient behandelt werde, das macht natürlich etwas mit mir, diese nicht mehr normale Leben, das ich führe.
Hat das Ihren Blick auf das Leben verändert?
Klar. Aber nicht so sehr. Man würde denken, jetzt, wo ich jederzeit wieder einen Schlaganfall kriegen könnte, müsste ich total nervös sein. Aber das bin ich eigentlich nicht. Ich versuche schon, das gewohnte Leben von vorher zu führen, nur geht das halt nicht immer.
Die Diagnose Vaskulitis bekamen Sie im Jahr 2014, die ersten Schlaganfälle kamen 2017. An die Öffentlichkeit gegangen sind Sie damit 2021, mitten in der Pandemie. Warum eigentlich?
Ich habe fast immer das Private auch öffentlich gemacht. Das war für mich nichts Neues. Ich kann gar nicht anders. Aber ich habe jetzt schon so oft darüber gesprochen und das halt auch angeheftet bekommen – ich muss jetzt eher sehen, dass ich wieder fit werde und lebe. Ich habe jetzt zum Glück ein Jahr lang nichts gehabt. Das Tückische an dieser Krankheit ist, dass ich damit auftreten kann, ich komme vom Krankenhaus auf die Bühne und kann ganz normal arbeiten. Ich habe auch keine Schmerzen. Es ist also nicht so schlimm, dass ich gar nichts mehr machen oder nicht am Leben teilhaben könnte – und das versteht vielleicht nicht jeder. Von außen ist es schwer vermittelbar: Schlaganfälle und das Hirn wie ein Sieb, aber trotzdem auf die Bühne gehen. Aber das ist halt mein Leben.
Gab es auch negative Reaktionen? Wurden Sie nicht mehr gebucht?
Es gab einen Vorfall im vorigen Jahr in der ausverkauften Philharmonie Köln, da habe ich fünf Minuten vor Vorstellungsbeginn gesagt, es geht einfach nicht. Bis dahin war alles ganz normal, aber dann ist mir plötzlich der Text nicht mehr eingefallen, so wie damals beim Schlaganfall. Ich hatte so Kopfkäse, wie soll ich das beschreiben? Wenn das öfter passiert wäre – was aber bisher nicht der Fall war -, dann wäre es wohl schlimm geworden, dann hätte man mich vielleicht nicht mehr gebucht.
Hätten Sie einen Plan B?
Natürlich habe ich über Berufsinvalidität nachgedacht, dass ich vielleicht dann nur noch schreibe, wenn ich nicht mehr auftreten kann. Ich habe auch mein Testament gemacht, eine Patientenverfügung. Nur wenn ich nach dem nächsten Schlaganfall so blöde im Kopf sein sollte, dass ich auch nicht mehr schreiben kann, dann weiß ich nicht.
Hat sich eigentlich Coca Cola bei Ihnen gemeldet? Das Cover Ihres Albums “Popmusik” erinnert ja stark an deren Schriftzug.
Ja, und wir haben kurz mit einem Anwalt gesprochen, ich hätte den Prozess auf mich genommen. Aber Coca Cola hat die angedrohte Klage dann zurückgezogen.
Dafür haben Sie 2017 – erfolglos – gegen die Bezahl-Toiletten von Sanifair an deutschen Autobahnen geklagt.
Ich habe in zwei Instanzen verloren und da viel Geld gelassen, damit ist es abgehakt. Ich bin jetzt auch manchmal Kunde, ich pinkle nicht in die Büsche.
Bereuen Sie es angesichts des privaten finanziellen Verlustes?
Nein. Ich habe auch gute Zuschriften bekommen von besorgten Erdenbürgern. Und ich habe damals auch viel erfahren durch meinen Anwalt, der hat einiges zutage gefördert. Es gibt da schon merkwürdige Verbindungen zur Politik – Jan Böhmermann könnte daraus eine ganze Sendung machen. Und das Thema ist ja aus dem täglichen Leben gekommen. Unsere Band hat sich ja auch immer beschwert damals über diese Bezahl-Toiletten. Da wollte ich das nicht nur auf der Bühne behandeln, sondern auch abseits davon Ernst machen und habe eben den Rechtsweg beschritten. Das war eine wichtige Erfahrung.
Apropos Touren: Kann man als Band klimaschonend reisen?
Das ist schon ein Thema bei uns. Wir fahren ja viel herum und haben überlegt, ob wir einen E-Bus kaufen sollen. Aber das funktioniert nicht gut, wenn man Auftritte in ganz Deutschland, auch irgendwo auf dem Land, hat. Und man kann auch nicht das ganze Equipment mit dem Zug transportieren. Bei Großveranstaltungen habe ich schon den CO2-Abdruck berechnen lassen, für das gute Gewissen. Und einmal haben wir Bäume in Panama gepflanzt als Ausgleich. Aber ich bin da noch nicht sehr weit, glaube ich.
Sie haben aber auch in Deutschland schon Bäume gepflanzt.
Ja, das ist ein Forstprojekt in Brandenburg, wo eine Kiefernmonokultur als Mischwald aufgeforstet wird. Aber ich bin jetzt kein Superökologe, sondern eher Verbraucher.
Was halten Sie von Klimaklebern?
Es ist halt so: Die kleben sich wo an, und ich kann weiter fliegen, mit dem Auto fahren, Plastik verbrauchen. Es ist ein bisschen stellvertretermäßig. Wobei: Ich bin voriges Jahr privat nach Griechenland mit dem Zug gefahren. Das war, nun ja, lang.