“Es ist ein bisschen riskant, aber ich liebe Herausforderungen”, sagt Franz Welser-Möst am Donnerstag vor Journalisten und meint damit das Programm des Neujahrskonzerts 2023. Das besteht am Sonntag fast nur aus unbekanntem Material der Familie Strauß und ihres Umfelds: 14 der 15 Stücke sind noch nie beim globalen TV-Ereignis der Wiener Philharmoniker erklungen.
Die Ursache für diese Novitätenflut ist der Forschergeist von Franz Welser-Möst, und dass ihm der ersten Corona-Lockdown unverhofft Zeit verschafft hat. Der Dirigent nutzte die Wochen, um sämtliche gedruckten Noten der Walzer-Familie Strauß und Josef Lanners zu durchforsten. Eine Auswahl der dabei ausgegrabenen Entdeckungen wird am 1. Jänner im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins den Ton angeben (ab 11.15 in ORF 2), darunter Eduard Strauß Polka schnell “Wer tanzt mit?”, Josef Strauß Walzer “Perlen der Liebe” sowie “Glocken-Polka” und Galopp aus Joseph Hellmesbergers Ballett “Excelsior”.
Neu ist am Sonntag auch, dass die Philharmoniker den Termin wieder ohne Corona-Beschränkungen abhalten können. Nach dem Konzert 2021 unter Riccardo Muti ohne Publikum und dem nachfolgenden mit Daniel Barenboim vor halb leerem Saal freut sich Orchestervorstand Daniel Froschauer, wieder vor vollem Haus spielen zu können. Zugleich musizieren die Philharmoniker natürlich für Millionen Menschen vor TV-Bildschirmen, berichtet ORF-Generaldirektor Roland Weißmann: Das Konzert wird in fast 100 Länder übertragen. Auch der öffentliche Rundfunk der Ukraine ist zugeschaltet, aber keine russische TV-Station. Froschauer nennt das Neujahrskonzert einen Botschafter des “Friedens und der Liebe” – gut möglich, dass er damit auch ein wenig auf den Ukrainekrieg anspielt, der in der Pressekonferenz unerwähnt bleibt.
Zu vermelden ist heuer auch ein weibliches Debüt: Erstmals sind neben den Wiener Sängerknaben auch die 2004 gegründeten Wiener Chormädchen dabei; gemeinsam singen sie in Josef Strauß “Heiterer Muth”.
Unklar ist dagegen, wann das Konzert erstmals in weiblicher Dirigentenhand liegen könnte. Froschauer auf die Frage: “Wir werden eine Dirigentin haben, wenn die Zeit kommt.” Die Philharmoniker, so Froschauer, würden den Termin nur Dirigenten übertragen, die zumindest seit zehn Jahren mit dem Ensemble arbeiten. Eine – durch alle Orchesterreihen geschätzte – Frau dürfte es in dem Kreis bisher nicht geben. Welser-Möst stärkt Froschauer in der Sache den Rücken: Das Walzerrepertoire sei wegen seiner vielen Tempowechsel haarig, der Dirigent hier stark exponiert. Das könne ohne Expertise übel enden. “Ich habe viele Leute erlebt, die in etwas reingejagt und ruiniert wurden”, sagt der 62-Jährige, der als Jungdirigent selbst einen Karriereknick hinnehmen musste – und am Sonntag sein mittlerweile drittes Neujahrskonzert leiten wird.