Neujahrskonzert – Kleinode, Perlen und Katzengold

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Ob die Klimaaktivisten sich an den Schuhen des Dirigenten festpicken wollten? Oder vielleicht an seiner Partitur? Ob sie beim Betreten des Saals womöglich “Rettet die schöne blaue Donau!” geschrien hätten – oder “Schützt die Vögel des Waldes!” (die ja in dem Konzert ebenfalls musikalisch präsent waren, in Form des “Zeisserln”-Walzers)?

Nun, das Publikum des Neujahrskonzerts 2023 wird es nicht erfahren. Was es am Sonntagmittag aber schon gehört hat: Dass sechs Aktivisten eine Störaktion geplant hatten und diese durch das massive Polizeiaufgebot vor Ort verhindert worden war. Die Beamten hatten heuer nicht nur vor dem Musikverein gewacht, sondern auch im Haus selbst – eine Maßnahme, die Wiens musikalisches Exportprodukt Nummer eins dann tatsächlich vor einem Akt rabiater Öko-PR gerettet hat.

Musik wie aus der Spieldose

Ein Neujahrskonzert wie eh und je sollte es aber auch nicht werden. Ein Hauch von Abenteuer lag zumindest musikalisch in der Luft. Kaum zu glauben, aber: 14 der 15 Stücke auf dem offiziellen Programm feierten ihre Premiere beim Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker; Johann Strauß Vater wurde gar nicht gewürdigt, Sohn Johann vor dem Zugabenteil nur zweimal.

Hat sich die Entdeckungslust gelohnt? Jein. Das Neujahrskonzert 2023 bescherte dem Publikum eine Berg- und Talfahrt der Qualität.

Leider: Einerseits waren Stücke ins Programm gehievt worden, die einen eher verwechselbaren Eindruck hinterlassen. Etwa Josef Strauߒ Konzertwalzer “Heldengedichte”, der sein Heil in militärischen Klischees sucht und sich auch anderweitig auf dem Feld der musikalischen Gemeinplätze vergaloppiert. Eine fragwürdige Bereicherung des Traditionstermins im Musikverein auch der “Zeisserln”-Walzer desselben Strauß: So possierlich es ist, wenn ein Philharmoniker in ein Vogelpfeiferl bläst, so geschmackvoll Dirigent Franz Welser-Möst immer wieder an der Temposchraube dreht: Mit seinen Wiederholungen und vorhersehbaren Wendungen wirkt das Stück wie aus der Spieldose geschlüpft. Nicht ganz geglückt auch die Adaption von Josef Strauߒ Polka française “Heiterer Muth”. Schön an der Fassung von Gerald Wirth zwar: Wenn die Philharmoniker gemeinsam mit den Sängerknaben und deren weiblichem Pendant, den Wiener Chormädchen auftreten, erhöht dies den Frauenanteil frappant. Allerdings: Ob diese Polka wirklich einen Gesangstext gebraucht hat (Anna Mabo) und wie dieser lautet, das erfuhr man im Musikverein wegen des klangdominanten Orchesters leider nicht.

Andererseits: Es kamen im Laufe dieser Matinee auch Kleinode ans Licht. Die “Perlen der Liebe” von – wieder! – Josef Strauß etwa. Sie irritieren zwar ein wenig mit ihrem seltsamen Namen. Eine farbige Orchestrierung, findige Harmoniefolgen und freundliche Melodien machen diese “Perlen” aber zum Prachtbeispiel für einen Konzertwalzer, also für künstlerisch überhöhte Tanzmusik. Eine Bereicherung auch Carl Michael Ziehrers “In lauschiger Nacht”, ein Walzer, in dem sich gemütvolle Abendklänge mit forscher Fröhlichkeit mischen.

Thielemanns Rückkehr

Dass die zwei Konzertstunden kurzweilig verliefen, lag einerseits an einer klugen Dramaturgie mit flotten Polkas zwischendurch. Es lag aber auch am Stil des Dirigenten: Welser-Möst, der mit nur einer Hand die Publikumsklatscher im “Radetzkymarsch” präzis steuert, setzt bei seinem dritten Neujahrsauftritt auf zügige Tempi und animiert das Orchester zu einem peniblen Spiel mit knackigen, punktgenauen Akzenten. Vorteil: Die Walzer und Polkas spielen ihre rhythmischen Reize einbußenfrei aus. Nachteil ist nur leider, dass die Lyrik mancher Streicherlinie, die Intimität sanfter Kantilenen im engen Tempokorsett auf der Strecke bleibt. Letzten Endes dennoch Standing Ovations; 2024 wird Christian Thielemann sein zweites Wiener Neujahrskonzert leiten.

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