Nachruf – Wayne Shorter, Mundstück des Modern Jazz

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Wayne Shorter eine Größe unter den Jazzsaxofonisten zu nennen, wäre eine Untertreibung. Der US-Amerikaner, 1933 in Newark nahe New York geboren, war ein prägender Faktor der Jazzgeschichte, und das über Jahrzehnte. Shorter war jemand, der die Evolution des modernen Jazz nicht nur miterlebte, sondern aktiv mitgestaltete, als geistreicher Komponist und als überragender Improvisator. Er erwies sich dabei als enorm flexibel: Shorter überzeugte nicht nur im reschen Party-Sound des Hard Bop der 50er Jahre, er glänzte ebenso in den schwummerigen, intellektuellen Klangschwaden des Modalen Jazz, er konnte sich in den 60ern an die Grenze zum Free Jazz spielen, ließ seine eruptiven, ziselierten Saxofonlinien in den 70er Jahren dann aber im Rahmen des Jazzrock erstehen. Dieser Wayne Shorter ist nun am 2. März im Alter von 89 Jahren in Los Angeles verstorben.

Wieviel Charakter der Klang von Shorters Sopran- und Tenorsaxofon besaß, hat sein Weggefährte, der Pianist Herbie Hancock einmal mit einem Bonmot beschrieben, das Martin Kunzler in seinem Jazz-Lexikon zitiert: “In seinem Fall hört man nicht einfach jemanden Saxofon spielen. Man hört einen Mann durch den Sound des Horns hindurchkommen.”

Es ist schwer zu glauben, dass dieser Stilist erst im Alter von 16 Jahren erstmals in ein Rohr blies – anfangs in eine Klarinette, unter dem Eindruck des Bebop, dieser rasanten Jazz-Avantgarde der 1940er Jahre, dann ins Tenorsaxofon. Nach seiner Ausbildung in Newark und in New York stieß Shorter relativ schnell zur Elite vor. Bereits in den 50er Jahren firmierte er als Musikdirektor und zentraler Komponist für Art Blakeys Jazz Messenger, es folgten arbeitsreiche Jahre bei Miles Davis.

Kryptische Klangmagie

Shorter stieg bei dem Jazzvisionär ein, als dieser gerade sein zweites, legendäres Quintett formte – mit Hancock am Klavier, Ron Carter am Bass und einer gewissen Lust am Free Jazz, ohne ordnende Strukturen je ganz über Bord zu werfen. Shorter lieferte auch in diesen Jahren Schlüsselkompositionen, darunter “Nefertiti” (1968) – ein Stück mit einer dahinkriechenden, kryptischen, magischen Melodie, dargereicht auf Akkorden, die nur selten einen funktionsharmonisch Sinn erfüllen, sondern vor allem als Farben gedacht sind.

Shorter begleitete Davis dann auch, als dieser mit den Alben “In A Silent Way” und “Bitches Brew” das Zeitalter des Fusion Jazz einläutete; er macht sich dann aber rasch selbstständig. Weather Report, gemeinsam gegründet mit Joe Zawinul, mauserte sich zu einer der erfolgreichsten Kombos des Jazzrock; das Album “Heavy Weather” ging 1977 eine halbe Million Mal über den Ladentisch und markierte damit einen der größten Verkaufserfolge des Saxofonisten, der in jenen Jahren auch mit Steely Dan, Gitarrist Carlos Santana und Singer-Songwriterin Joni Mitchell arbeitete.

Gleichwohl hat es sich Shorter in den Folgejahren nicht im Kommerz und Kitsch gemütlich gemacht wie so mancher Veteran der Fusion-Jahre. Der Charakterkopf, der insgesamt zwölf Grammys gewann und den renommierten Polar Music Prize, zeichnete sich im Spätherbst seines Lebens sogar durch besonderen Wagemut aus: Das prominent besetzte Wayne Shorter Quartet (mit Danilo Pérez, Brian Blade und John Patitucci) legte die Stücke seines Namenspatrons – dank eines verblüffend hohen Improvisationsanteils und einer feinnervigen Gruppendynamik – immer wieder unverhofft an. Freiheit und Neuland waren auch das, was Shorter stets an der Musik gereizt hatte. Das Wort Jazz, so pflegte er zu sagen, “bedeutet für mich nur: Trau dich!”

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