Nachruf – Vito von Eichborn brachte die Fliege in die Bücherregale

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Verleger sind Geschäftsleute. Sie bringen Bücher an den Leser. In seltenen, beglückenden Fällen darf man, nach kurzem Zögern, ob es angebracht ist, einen Verleger auch als genial bezeichnen.

Vito von Eichborn also: Wer Literatur liebt und das Buch selbst als eine Art künstlerisch wertvollen Gegenstand betrachtet, den man mit physischem Genuss in die Hand nimmt, trauert um diesen – ja, wie soll man ihn nennen? Verleger ist ja viel zu tief gegriffen in seinem Fall. Darf man “Büchermacher” sagen?

Denn genau das war der am
7. Dezember 1943 in Magdeburg geborene und unlängst, am 6. März 2023 in Malente, gestorbene Vito von Eichborn: Ein besessener Büchermacher, der begriff, dass man Bücher nicht nur liest, sondern auch anschaut und in die Hand nimmt, wozu es keiner dieser verschmockten bibliophilen Ausgaben bedarf, nur des geeigneten Papiers und vielleicht der Fadenheftung. Was bei Eichborn herauskam, hatte schon in seiner Erscheinungsform Stil.

Unterhaltung soll sein

Eichborn war Journalist und Lektor des Fischer Verlags, ehe er 1980 zusammen mit Matthias Kierzek, einem Miteigentümer der Fuldaer Verlagsanstalt, in Frankfurt am Main den Eichborn Verlag gründete. Der Verlag mit dem Markenzeichen Fliege folgte einer scheinbar vielversprechenden Idee: Auflagestarke Bücher im Unterhaltungsbereich sollten das Segment mit anspruchsvoller Literatur- und diffizilen Sachbüchern finanzieren.

Eichborn verlegte, was seiner Überzeugung entsprach. Ihm gefiel “der reine Blödsinn wie der subversiv-anarchische Witz, die Literatur, wenn sie nicht blutleer ist, wie die nützliche Information, wenn sie zugleich unterhaltsam ist”, sagte er in einem Interview im Nachrichtenmagazin “Der Spiegel”. Das war ein Bildband der Prostituierten Domenica, eine Neufassung der Bibel und Parodistisches, aber auch die Essays von Noam Chomsky. 1989 übernahm Eichborn die von Hans Magnus Enzensberger im Greno-Verlag herausgegebene Reihe “Die Andere Bibliothek” des Greno-Verlags, in der, gezielt gegen Bestseller-Strategien gerichtet, Romane, Essays und Briefliteratur entlegener Autoren erschien, verbunden durch ein einheitliches Konzept der Aufmachung. Christoph Ransmayrs “Die andere Welt” war der wahrscheinlich einzige Breitenerfolg der Reihe – und auch er wider alle Erwartungen. Finanziert wurde das ehrgeizige Konzept mit den Comics von Walter Moers über das “Kleine Arschloch” und Cartoons von Erich Rauschenbach.

1995 freilich verkaufte Eichborn seine Verlagshälfte an seinen 50:50-Partner Kierzek: Er hatte sich mit ihm über die Verlagslinie zerstritten und musste obendrein hohe private Schulden tilgen.

Den Plan, als Hotelier in der Dominikanischen Republik zu arbeiten, gab er zum Glück für die Buchbranche schnell auf. Bis zum völligen Ausstieg 1997 betreute er Moers weiter im Eichborn-Verlag, der seinen Namen behielt. Anschließend wurde er Geschäftsführer beim Rotbuch Verlag und bei der Europäischen Verlagsanstalt. Dann beauftragte die Senator Film Eichborn mit dem Kauf eines Verlags. 1999 erwarb er den Europa Verlag. Nachdem die Mutterfirma Konkurs anmelden musste, brach auch der Verlag zusammen. Eichborn arbeitete freiberuflich weiter und verlegte hauptsächlich Regionalia.

Der Verlag, der bis heute seinen Namen trägt, wurde durch Vito von Eichborns Nachfolger weitergeführt. 2011 musste er Insolvenz beantragen und wurde schließlich von der Kölner Verlagsgesellschaft Bastei Lübbe übernommen.

Die Fliege war und ist das Symbol des Eichborn-Verlags: Irgendwie lästig, überall dabei, sehr eigenständig und auf ihre Weise ein Wunder. Nur mit der Spezies stimmte es nicht ganz. Denn Vito von Eichborn war kein Insekt, er war ein Genius unter den Verlegern.

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