“Le nozze di Figaro” – Das Beste aus vielen Welten

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Von einem neuen Wiener Mozart-Stil wollte Philippe Jordan bei seinem Amtsantritt als Musikdirektor der Wiener Staatsoper zwar nicht sprechen, wohl aber von einem gemeinsamen Verständnis, das es zu erarbeiten gelte, einer kontinuierlichen Herangehensweise. Seit der Premiere von “Le nozze di Figaro” am Samstag wird klarer, wie es um das Selbstverständnis dieses neuen Wiener Mozart-Ensembles steht. Mit der zweiten von drei Da Ponte-Opern setzten Dirigent Jordan und Hausregisseur Barrie Kosky die Linie, die sie im Dezember 2021 mit dem “Don Giovanni” begonnen hatten fort – vor allem musikalisch.

Dieser Mozart ist vor allem eines: höchste Handwerkskunst – mit allen Facetten, die dieser Begriff bereithält. Philippe Jordan zeigte sich auch beim “Figaro” als facettenreicher, profunder Gestalter, dem es gelingt, die Struktur einer Partitur in brodelnder Leichtigkeit plastisch in den Raum zu stellen. Seine Interpretation ist dabei trotz der gestalterischen Deutlichkeit nie rein technisch. Extreme auszuloten oder bedrohliche Tiefenschichten aufzustöbern, das ist nicht sein Weg. Dennoch verfängt sich sein Mozart nur selten an der bloßen Oberfläche – er ist der ideale Balanceakt zwischen Ratio und Emotion, Humor und Ernsthaftigkeit, Entschlossenheit und Innehalten. Vor allem aber rückt Jordans Mozart die Sänger in den Mittelpunkt des musikalischen Geschehens.

Glühende Eleganz

Das vokale Ensemble, das sich hier herausbildet, wächst zusammen. Stilistisch liefern auch sie eine ideale Mischung aus eleganter Lyrik und geballter Expression – jede und jeder einzelne. Aus der Aufführungspraxis heraus pendelt sich dieser Mozart zwischen dem Trend zu schlanken Barockstimmen und dem zum großen dramatischen Fach ein. Bei Hanna-Elisabeth Müller als nachdenkliche Gräfin etwa, die mit glühender Eleganz besticht. Oder bei Patricia Nolz, die als ins Verliebtsein verliebter Cherubino mit jugendlichem Lodern überzeugt: bei Andrè Schuen als sonor-virilem Grafen, der die Qualen des Begehrens als allzu menschliches Leid verkörpert; oder bei Peter Kellner, der als Figaro durch vokale Klarheit und Entschlossenheit punktet. Die Susanna von Ying Fang konnten Premierenbesucher leider nur szenisch erleben, aufgrund einer Stimmbandblutung konnte sie die Partie nicht singen – das tat aus dem Orchestergraben sehr kurzfristig Maria Nazarova. Eine Behelfslösung mit Tücken, die erstaunlich gut funktionierte – und die Premiere rettete.

Zeilos elegente Bilder und ein Wiener Mozart-Ensemble: Hanna-Elisabeth Müller (Gräfin Almaviva), Ying Fang (szenisch als Susanna), Andrè Schuen (Graf Almaviva), Peter Kellner (Figaro) und Wolfgang Bankl (Antonio). - © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Zeilos elegente Bilder und ein Wiener Mozart-Ensemble: Hanna-Elisabeth Müller (Gräfin Almaviva), Ying Fang (szenisch als Susanna), Andrè Schuen (Graf Almaviva), Peter Kellner (Figaro) und Wolfgang Bankl (Antonio). – © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Musikalisch ist dieser “Figaro” insgesamt zwar keine neue Perspektiven aufzeigende Klang-Revolution, wohl aber ein substanzvoller, fein gebauter, mitunter berührender Balanceakt, der das beste aus vielen möglichen Mozart-Welten in sich vereint.

Mozarts Schalk

Dass der Schalk Mozarts und damit sein komponierter Witz in dieser Produktion zünden, liegt auch an der Inszenierung. Die Regie von Barrie Kosky ist bei dieser zweiten Mozart-Premiere noch deutlicher als bei der ersten, klar Dienerin der Musik, sieht sich als deren optisch Verlängerung, nicht als eine Um- oder Neudeuterin. Was Kosky dabei mit Jordan verbindet? Sie sind beide exzellente Handwerker; verstehen es, mit Details zu punkten und diese direkt aus der Partitur heraus zu entwickeln. Kosky hat seinen mitunter übergehenden Ideenschatz im “Figaro” angenehm sparsam eingesetzt, konzentriert sich auf subtile Personenführung, kostet Pointen aus ohne die Figuren dafür bloßzustellen und erzählt damit kurzweilig, pointiert und doch ernsthaft auf vielen Erzählebenen vom ewigen Drama der Liebe und des Begehrens.

Vokal und szenisch präsent: Peter Kellner als Figaro und Patricia Nolz als Cherubino. - © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Vokal und szenisch präsent: Peter Kellner als Figaro und Patricia Nolz als Cherubino. – © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Die Figuren, die er dabei auf die klassische Bühne von Rufus Didwiszus und in die samtigen Kostüme von Victoria Behr stellt, sind zutiefst heutig und legen in einem modern historischen Setting die Modernität in Mozart frei. Auch wenn Kosky im vierten Akt die gestalterische Luft ausgegangen sein mag, darin liegt die wahre handwerkliche Kunst des Inszenierens: die Sicht auf den zeitlosen Kern eines Werkes nicht zu verstellen. Klingt so banal, wie es selten ist.

Bis Juni 2025 hat Philippe Jordan noch Zeit, an seinem Wiener Mozart-Projekt zu feilen – kommende Saison wieder mit Barrie Kosky und “Così fan tutte”. Dann verlässt Jordan die Staatsoper. Das Wiener Publikum hat beschlossen, den Musikdirektor bis dahin ausgiebig mit der besonders süßen Abschiedsliebe zu feiern.

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