Landscape-Art – Die Birke als Waffe

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Wien, Schweizergarten, wenige Schritte vom nun “Belvedere 21” geheißenen Stahlpavillon entfernt. Als “Museum des 20. Jahrhunderts” war er Wiens Haupteinflugloch für die Internationale Moderne. Mitte der 1980er Jahre durfte dieses Bundesmuseum eine Landschaftsinstallation von Ian Hamilton Finlay nebenan auf Boden der Stadt Wien begründen.

Das Mumok hat die Restaurierung vorbereitet, darf aber nicht ans Werk, weil sich das Stadtgartenamt Birken verboten hat. – © Haider

Als das Museum moderner Kunst (Mumok) ins Museumsquartier übersiedelte, konnte es naturgemäß aus dem Schweizergartenboden nichts mitnehmen. Die neuen Direktorinnen im Belvedere, Agnes Husslein und Stella Rollig, zeigten daran kein Interesse. Nun wurden die deplorablen Überreste ein Zankapfel zwischen dem Bund und Gartenamt der Stadt Wien.

"Black & White" von Ian Hamilton Finlay im Schweizergarten im Jahr 1990. - © Mumok / Wachter
“Black & White” von Ian Hamilton Finlay im Schweizergarten im Jahr 1990. – © Mumok / Wachter

“Bin erschüttert”

Das Mumok als Noch-immer-Eigentümer ließ die 2013 von Metalldieben von den zehn Kunststeinstelen abmontierten Tafeln neu gießen. Die Wörter darauf fügen sich zu einem Gedicht – englisch auf der einen Seite, deutsch in der Übertragung von Ernst Jandl auf der anderen Seite des kurzen Pfads, zusammen auch ein ironischer Reflex auf die Sphingen- und Löwenalleen der Antike.

Zehn Birken standen neben den zehn Stelen, das sind Bäume mit einer “Black & White”-Rinde. Neun davon wurden schon gefällt. Sie nachzusetzen, weigern sich die Stadtgärtner mit der Begründung, die Spezies Birke sei nicht auf ihrer Liste der 30 Bäume für Wien, überdies berge Pollenflug “ein hohes Allergie-Risiko für die Parknutzer”, so die Amtsauskunft.

“Ich bin erschüttert über den aktuellen Zustand des ‚Black & White‘ landscape feature in Wien”, meldete sich der Literarhistoriker Stephen Bann aus Glasgow. Er sieht “einen bedauerlichen Mangel an Interesse an einem Werk, das an vorderster Front der Erneuerung von Landschaft und Garten als zentralen Merkmalen der zeitgenössischen Kunst stand.”

Die mit alten und neuen Avantgarden vertraute Kulturstadträtin Veronika Kaup-Hasler weist auf laufende Verhandlungen zwischen Mumok und Gartenamt hin. Den Kunstfreunden rät sie zu Geduld. Die Installation als Ganze in einen fernen Park zu übersiedeln, würde die dem Werk zugrunde liegende “in situ”-Idee zerstören. Bis die erste Garnitur Birken ihre volle Größe erreichte, dauerte es drei, vier Jahre.

Rang eines Literaturdenkmals

Der Dichter, Garten- und Landschaftskünstler Ian Hamilton Finlay (1925-2006) hatte schon früh einen Namen in der internationalen Bewegung der “Konkreten Poesie”. Ebenso wie Ernst Jandl, mit dem Finlay befreundet war und mit dem er 20 Jahre lang einen intensiven Briefwechsel führte (deutsch-englisch 2017 im Folio Verlag veröffentlicht).

Jandls Geburtshaus steht am Landstraße Gürtel, Ecke Jacquingasse, also direkt am Schweizergarten. Finlays “landscape feature” ist darum mehr als aus dem Lagerkatalog einer Galerie zugekaufte Call-art. “The work includes an acknowledgment of Viennese concrete poetry”, schrieb Finlay in einem Begleittext. Der Titel “Black & White” weist auf ein Schriftbild hin und sichert der Kunst-Natur-Installation auch den Rang eines Literaturdenkmals.

Seinen ersten Auftrag auf dem Kontinent hatte der Schotte 1975 in Stuttgart bekommen, wo die Konkrete Poesie mit dem Philosophen und Kommunikationsästhetiker Max Bense ihren wichtigsten Theoretiker hatte.

Poesie-Arkadien

Finlays metaphernreiche und ironische Beschwörungen klassischer Formen in Stein in Verbindung mit der lebendigen Natur erinnern an die romantisch-klassizistischen Parks in Wörlitz, Bad Muskau, Laxenburg. Ehe 1985 Dieter Ronte, damals Direktor im “Zwanzigerhaus”, dem Land-art-Pionier Finlay den Auftrag für den Schweizergarten gab, besichtigte er in Otterlo in Holland den Park des Kröller-Müller-Museums (mit der zweitgrößten Van-Gogh-Sammlung der Welt), wo Finlay Bäume aus steinernen Sockeln griechisch-römischer Art wachsen ließ.

Eva Badura, Kuratorin bei Ronte, besuchte Finlay in dessen Landhaus in Stonypath bei Edinburgh. Weil er damals an Agoraphobie litt, konnte Finlay nicht reisen. In Stonypath war bereits sein Poesie-Arkadien “Little Sparta” im Wachsen. 2004 wurde es von britischen Kunstkritikern und Künstlern zu “the nation’s premier artwork” gewählt. In der Tate Modern in London füllen 172 Werke von Finlay einen eigenen Raum.

In Wien ist noch ein zweitens “konkrete” Finlay-Gedicht petrifiziert: “all/alone” im “Deserteursdenkmal” vor dem Bundeskanzleramt am Ballhausplatz. Man muss hinaufklettern, um es lesen zu können. Aus der zarten Gedichtstruktur legitimierte der ostdeutsche Bildhauer Olaf Nicolai die X-Form seiner massigen Betonpyramide. Trotz ihres Gewichts ist sie leichter transferierbarer als ein Land-art-Monument, aber im Regierungsbezirk besser vor Vandalen geschützt als Finlay im Schweizergarten.

Wo auch, wer kennt es, auf Gemeindeboden 1966 das “Staatsgründungsdenkmal” ein Gastrecht bekam. Auf einer amtlichen Webseite wirbt die Stadt Wien für das von ihren Gärtnern ungeliebte Kind: “In addition to the other works of art distributed throughout the park, an installation by the famous Scottish artist Ian Hamilton Finlay is located near the 20er Haus, the former Museum of Modern Art.”

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