Komponistenporträt – “Frankenstein!!” und noch viel mehr

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Wann gibt es das schon? Ein echtes Erfolgswerk der Musik nach 1945 nämlich, ein humorvolles zumal, dem das breite Publikum ebenso zustimmt wie die Kritik: Das Publikum, weil es die Melodien nachsummen kann, die Kritik, weil die Harmonik des Werks weit komplexer ist, als sie sich anhört. Richtig dissonant ist sie sogar. “Frankenstein!! Ein Pandämonium für Chansonnier und Orchester” nach (natürlich nur vorgeblichen) Kinderreimen von H.C. Artmann hat den österreichischen Komponisten Heinz Karl Gruber, der sich seinen Vornamen zu HK abkürzt und sich zeitweise auch “Nali” nannte, an die internationale Spitze der Neuen Musik katapultiert. Am heutigen 3. Jänner feiert der Komponist, Chansonnier und Dirigent, der auch als Kontrabassist Orchestermusiker war, seinen 80. Geburtstag.

Geboren wurde 1943 in Wien. Er war Sängerknabe, studierte an der Wiener Musikhochschule Kontrabass, Horn, Elektronik, Filmmusik, Tanz, Zwölftontheorie und Komposition bei Alfred Uhl, Erwin Ratz und Gottfried von Einem. 1968 gründete er mit Kurt Schwertsik und Otto M. Zykan das Ensemble MOB art & tone ART, in dem er gleichzeitig sang und schauspielerte. Parallel war er bis 1969 Kontrabassist des Tonkünstler-Orchesters und von 1969 bis 1995 Mitglied des ORF Radiosymphonieorchesters. Auch dem Ensemble “die reihe” ist Gruber eng verbunden, was ebenso für das Ensemble Modern und die London Sinfonietta gilt.

Überprüfen der Position

Gruber begann als Zwölftöner. Doch Mitte der 1960er Jahre wurden er und seine Freunde Schwertsik und Zykan zunehmend skeptisch, ob die zunehmende Komplexität der Musik, die eine zunehmende Distanz zum Publikum bedeutete, tatsächlich zukunftsträchtig sein kann. Gruber, Schwertsik und Zykan begannen daraufhin, formale und harmonische Modelle der Vergangenheit gleichsam unter Anführungszeichen zu setzen und damit eine neue Kommunikationsebene mit dem Publikum herzustellen. Vereinfacht gesagt: Sie komponierten postmodern, ehe die Postmoderne auch in der Musik auf breiter Basis Einzug hielt.

Grubers “Frankenstein!!”, 1978 von Simon Rattle uraufgeführt, bewies, dass der Spagat zwischen Verständlichkeit und Komplexität funktionierte. Dazu trug zweifellos die Rezitation durch Gruber selbst bei, der den Chansonnier mit nasal krähender Stimme ausstattete – seinem Markenzeichen in dieser Funktion.

Konzerte und Opern

“Frankenstein!!” ist bis heute Grubers größtes Erfolgswerk – mit dem Nachteil, dass dieses Stück alle anderen überschattet, und das nicht nur, was Aufführungszahlen betrifft. Irgendwie erwartete man von Gruber, dass jedes seiner Werke grotesk verrenkte, aber nachsingbare Melodien bizarr aufplustern würde. Zwei Violinkonzerte, ein Cello- und ein Trompetenkonzert (“Aerial”) sind indessen, trotz häufiger Aufführungen viel weniger ins Bewusstsein des Publikums gedrungen.

Echte Schmerzenskinder sind hingegen die Opern: “Gomorra”, 1993 in der Volksoper uraufgeführt, “Geschichten aus dem Wiener Wald” nach Ödön von Horváth, 2014 bei den Bregenzer Festspielen uraufgeführt, und “Gloria von Jaxtberg oder Das Gegenteil von Wurst ist Liebe”, 1994 Huddersfield uraufgeführt, hätten das Zeug zu Repertoireopern – und sind doch keine geworden, vielleicht, weil das Amalgam aus Zwölftönigkeiten, süffigen Melodien und üppiger Instrumentierung zwar die Hand des Meisters erkennen lässt, das Besondere aber, das “Frankenstein!!” aus der Masse der Neuen Musik hervorhebt, letzten Endes doch vermissen lässt. Vielleicht kommt noch die Stunde dieser Opern – dann nämlich, wenn man bereit ist, ihre lyrischen Schönheiten und die Wucht des dramatischen Zugriffs zu erkennen.

Oder müssen es wirklich immer groteske scheinbare Kinder- und Volkslieder sein? Egal, im Grunde: HK Gruber gehört zu der an den Fingern zweier Hände abzuzählenden Komponisten der Musik des 20. und des bisherigen 21. Jahrhunderts, die auf einen Dauerbrenner in ihrem Schaffen verweisen können, der kein simples Mach-, sondern ein brillantes Meisterwerk ist. Dass es höchste Zeit wäre, “Gomorra” und die “Geschichten aus dem Wiener Wald” wieder zur Diskussion zu stellen, sei dabei freilich mit allem Nachdruck angemerkt.

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