Manchmal kommt der Ruf nach Rettung der Welt ziemlich brachial daher – schnörkellos, plakativ und biblisch. Auch in der Kunst. Der norwegische Zeichner Arild Midthun und sein Landsmann, der Klimaforscher und Autor Bjørn H. Samset, greifen in ihrer Graphic Novel “Eva – Klima in der Krise” tief in die Kiste mit neu- und alttestamentlicher Symbolik. Schließlich geht es in ihrem im Panini-Verlag in deutscher Übersetzung erschienen Werk um nichts Geringeres als um die Apokalypse, um Schuld und vielleicht auch um Erlösung.
Der ungläubige Saulus, der von einer höheren Macht vom Pferd geworfen wird und fortan als Paulus für die gute Sache streitet, heißt in Samets und Midthuns Graphic Novel Eva. Die junge Frau fliegt als Influencerin um die Welt, um ihrer Fan-Gemeinde den Konsum zu predigen. Auf dem Weg zu einem Sponsorengespräch in New York wird sie beim Aussteigen aus dem Taxi von einer Diebin, die ihr die Designertasche entreißen will, zu Boden geworfen. Der Sturz wirft sie nicht einfach aufs New Yorker Pflaster, er katapultiert sie auf eine Meta-Ebene. Die Gestalten, denen sie dort begegnet und die der Verlag als “übergeordnete Wesenheiten” bezeichnet, zeigen ihr die Zukunft der Erde.
Drei Planeten-Varianten
Eine Erde in drei Varianten: Der Planet, aufgeheizt, teilweise unbewohnbar, ein trostloser Schauplatz brutaler Verteilungskämpfe zwischen denen, die alles verloren haben, und denen, die den letzten Rest Wohlstand mit Waffen verteidigen. Ein Planet, auf dem die Menschen mit all ihrer technischen Kreativität versuchen, das Leben erträglich zu machen, auf dem aber das Geld entscheidet, wer vor den Auswirkungen des Klimawandels geschützt wird und wer nicht. Und einen Planeten, auf dem es gelungen ist, den Klimawandel zu stoppen, auf dem die Menschen zu neuen Formen des Zusammenlebens miteinander und mit der Natur gefunden haben.

Die höheren Wesen sind sich uneins: Werden die Menschen weiter kurzsichtig und egoistisch handeln und die Sache vermasseln? Oder schlummert da doch noch das Gute im Menschen, das in einer extremen Krisensituation die Oberhand gewinnen kann? Sie einigen sich schließlich darauf, Eva – die Bibel lässt grüßen – einen Apfel zu überreichen. Den “letzten Apfel”, der für die Autoren nicht nur Symbol für die Erkenntnis, sondern für das Leben ist. Genau so einen Apfel hat die alte Eva abgelehnt, als ihn ihr die Stewardess im Flugzeug reichen wollte. Nein, kein Apfel vor der Landung, er könnte ihren Lippenstift ruinieren. Nun wird die neue Eva mitten im Trubel New Yorks wach mit der Erkenntnis, dass das Schicksal der Erde auch in ihrer Hand liegt – wie der Apfel.
Atomkraft als Comic-Lösung
Die Zukunft des Planeten hat in den vergangenen Jahren nicht nur das Autoren-Duo aus Norwegen beschäftigt. Auch in Frankreich haben sich ein Zeichner, Christophe Blain, und ein Wissenschaftler, Jean-Marc Jancovici, zusammengetan, um sich mit den Folgen und vor allem der Bewältigung der Klimakrise zu beschäftigen. Dass in ihrem Werk “Welt ohne Ende” die Atomkraft als Lösung des Problems präsentiert wird, überrascht nicht. Der französische Klimatologe ist schon lange ein Streiter für die Atomkraft, mit der aus seiner Sicht der weltweite Energiebedarf ohne schädliche Auswirkungen aufs Klima sichergestellt werden kann.
Der deutsche Illustrator Lukas Jülinger hat 2020 in seiner Graphic Novel “Unfollow”, wie “Welt ohne Ende” herausgegeben vom Berliner Reprodukt Verlag, einen Öko-Messias in den Mittelpunkt der Handlung und die Frage gestellt: “Ist die Rettung des Planeten vereinbar mit der Rettung der Menschheit?” Im Sommer vergangenen Jahres ist im Carlsen-Verlag die deutsche Ausgabe der Graphic Novel “Glauben Sie an die Wahrheit?” der Französinnen Leslie Plée und Doan Bui veröffentlicht worden. Die beiden Frauen schicken eine Journalistin durch die Welt von Verschwörungstheoretikern und versuchen auf humorvolle Weise zu ergründen, warum in dieser Szene unter anderem wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse über den Klimawandel als Lügen betrachtet werden.
In der 2021 vom Berliner Verlag Jacoby & Stuart publizierten “#KlimawandelChallenge” schicken die Autoren Bruno Pinto, Quico Nogueira und Nuno Duarte zwei junge Menschen aus Portugal auf Europareise. In ihrer Geschichte geht es darum, wie man in Europa voneinander lernen, wie man gute Ideen vernetzen und so den Klimawandel verlangsamen, vielleicht sogar stoppen kann. Dass das ein lohnendes Ziel ist, zeigen die Illustratoren am Rande einer Szene mit einem Protestschild, auf dem steht: “Wir retten die Erde, den einzigen Planeten, auf dem es Schokolade gibt.” Um Süßes geht es vordergründig auch in “Milch ohne Honig”, einer von der Comic-Autorin Hanna Harms sehr poetisch und grafisch mit Gelb, Schwarz und Weiß sehr karg in Szene gesetzten Geschichte über das Bienensterben. In dem im Carlsen-Verlag veröffentlichten Buch beschäftigt sich die junge Illustratorin mit der Gefahr, die von Kiesgärten und Pestizideinsätzen für Insekten und letztendlich für die Menschen ausgeht.
Deutliche Botschaften
Der Franzose Bruno Duhamel hat 2020 mit seinem auf Deutsch im Avant-Verlag erschienen Buch sogar den Francomics-Wettbewerb gewonnen. Duhamel erzählt die Geschichte einer 90 Jahre alten, blinden Frau, deren Haus an der Steilküste in der Normandie steht. Einige andere Küstenhäuser im malerischen Badeort wurden durch die voranschreitende Erosion bereits in die Tiefe gerissen. Den Vorschlag des Bürgermeisters, doch lieber ins Altenheim zu gehen, lehnt die alte Dame, für die das Haus Erinnerungen an ihren verstorbenen Mann bewahrt, resolut ab.
All diese und noch einige andere in den vergangenen Jahren zum Thema Klimawandel erzählte Graphic Novels sind sehr deutlich in ihrer Botschaft, manchmal im Kontrast zur vielseitigen zeichnerischen Kunst sehr einfach gestrickt. Das ist der Dringlichkeit des Problems geschuldet. “Die Geschichte ist ein Lehrstück mit klarer Botschaft und eindringlichen Bildern, die absolut jeder verstehen sollte. Und die Message ist klar: Unsere Zukunft liegt in unseren Händen!”, erklärt Steffen Volkmer vom Stuttgarter Panini-Verlag zu “Eva – Klima in der Krise”. “Unser Verhalten gegenüber der Umwelt ist ausschlaggebend, ob wir überhaupt eine Zukunft haben und wir müssen jetzt reagieren, sonst ist das in der Graphic Novel dräuende Weltuntergangsszenario kaum noch zu stoppen”, sagt er. Anders formuliert: Damit es auch wirklich jeder versteht, ist Kunst in diesem Fall mitunter brachial, schnörkellos, plakativ und biblisch.