Interview – Wenn der Kopf nicht will, nützt alles nichts

0
27

Was haben ein stramm trainierter Körper, ein eng auf ihn abgestimmtes Material, ein flinkes Reaktionsvermögen und ein sauber gesteckter Kurs gemeinsam? Wenn der Kopf nicht mitmacht, nützt das alles gar nichts. Sehr früh nach der Aufnahme im Skigymnasium Stams machen die Lehrer ihren Schützlingen klar, dass nur die richtige Einstellung im Kopf, das “Mindset”, zum Sieg führen kann. “Ein eiserner Wille”, sagt einer der Trainer, “gehört zum Siegen dazu.”

Die (überwiegend) aus Herren bestehende Mannschaft weiß, wovon sie spricht. Denn der ÖSV rekrutiert einen Gutteil seiner Skiläufer direkt von der Schulbank in Stams auf die internationalen Pisten. Weltcup, Weltmeisterschaft, Olympia – was es da alles zu gewinnen gibt. Und wie unermesslich weit der Weg und hart der Druck bis dorthin sind! Das alles fängt der österreichische Dokumentarfilm “Stams” (jetzt im Kino) von Bernhard Braunstein ein. Der Regisseur begleitete die Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums über ein Jahr, ist dabei, wenn Körper geschunden, Kräfte gemessen, Siege errungen und Niederlagen verkraftet werden müssen. Das unausgesprochene Motto hier lautet: Unter Druck wird Kohle zu einem Diamanten. Eine Einstellung, die der Film eindringlich vermittelt. In Stams liegen Freude und Leid sehr eng beieinander, wie Regisseur Braunstein im Gespräch bestätigt.

Regisseur Bernhard Braunstein stellte “Stams” im Februar bei der Berlinale vor. – © K. Sartena

“Wiener Zeitung”: Der Titel Ihres Films verweist auf einen Ort, der für Insider keine Vorstellung braucht. Für alle, die keine Fans des Spitzenwintersports sind – was verbirgt sich hinter diesem Namen?

Bernhard Braunstein: Stams ist die Trainingsstätte des österreichischen Skisports. Es ist ein Internat in den Tiroler Bergen, das Schüler ab 14 Jahren aufnimmt, wenn sie die sehr anspruchsvolle Aufnahmeprüfung bestehen. Das Training ist hart, weil am Ende Spitzensportler dabei herauskommen sollen. Man kann sich auf die Disziplinen Biathlon, Nordische Kombination, Snowboard, Skifahren und Skispringen spezialisieren. Ich wollte im Film nicht die ganze Palette abdecken und habe mich daher auf die beiden größten Bereiche konzentriert: Ski Alpin und Skispringen.

Waren Sie auch einmal auf dieser Schule?

Nein! Aber ich hatte schon als Kind eine immense Leidenschaft für das Skifahren, ich war auch in so einem Skiclub und bin Rennen gefahren; es hatte einfach sehr viel Bedeutung für mich gehabt. Aber ich hatte niemals das Bedürfnis, ein Profi zu werden. Bei mir standen Lust und Leidenschaft im Vordergrund.

Ist das denn bei den Profis anders? Müssen die keine Lust und Leidenschaft für diesen Sport haben?

Doch schon. Aber die haben auch den Willen, siegen zu wollen und dafür hart zu kämpfen. Sie nehmen dafür einen sehr stark durchstrukturierten und getakteten Alltag in Kauf. Morgens geht es sehr früh los, schon vor dem Frühstück wird gelernt. Danach geht es in der Wintersaison sofort zum Training auf die Piste, die Unterrichtseinheiten finden dann nachmittags statt. Dann noch die Ski präparieren für den nächsten Tag, die Hausübung machen, essen, und um 22 Uhr ist Schluss. Da müssen alle im Internat sein. Das gilt übrigens auch, wenn man in Stams wohnt: Die Übernachtung im Internat ist verpflichtend, um die eng gesteckten Abläufe einhalten zu können.

Um ehrlich zu sein, klingt das nach einer Drill-Werkstatt sondergleichen: Die Eltern geben ihre Kinder dort ab und erhalten ein paar Jahre später Hochleistungssport-Maschinen zurück.

Man kann das sicher nicht verallgemeinern. Es gibt ja verschiedene Sportarten, in denen der Druck unterschiedlich hoch ist. Die Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf den Druck, und damit ist auch klar, dass viele Verletzungen passieren, vor allem durch diesen Druck und auch durch die Überbelastung. Aber manche kommen halt besser damit zurecht und manche nicht so gut. Es gibt Schüler, die kommen dahin und sind sehr fragil, zart und klein. Die wachsen dort sowohl körperlich muskulär, aber auch von der Persönlichkeit im Umgang mit diesen Belastungen in diese Rolle hinein. Jemand, der mit dem Druck besser umgehen kann, hat möglicherweise bessere Chancen, erfolgreich zu werden.

Womit wir bei der Kopfsache wären, die alles entscheidet.

Das ist der Dreh- und Angelpunkt. Wer mental stark ist, kann das auf den Sport übertragen. Dafür muss man sich Ziele stecken: Zunächst einmal, es überhaupt in einen ÖSV-Kader zu schaffen. Und dort dann gute Ergebnisse einzufahren. Und dann auf Weltmeisterschaften oder Olympia hinzuarbeiten. Das ist ein ungeheurer Aufwand und eine große Aufgabe für den Willen. Der Weg dorthin ist von oftmaligem Scheitern geprägt. Das ist ein zentraler Bestandteil meines Films: Zu erleben, alles zu geben und trotzdem nicht zu genügen.

Mir fiel auf, dass die Trainer mit ihren Schülern und Schülerinnen körperlich sehr eng sind; auch Mädchen werden dann oftmals von 20, 30 Jahre älteren männlichen Lehrern trainingsbedingt abgegriffen, auch an intimen Stellen, dass bei den #MeToo-Opfern schon die Sirenen heulen müssten.

Das ist ein guter Punkt. Es hat auch in der Sportwelt eine Sensibilisierung stattgefunden. Solche Einzeltrainings oder Massagen werden heute zum Beispiel nur mehr gemacht, wenn noch jemand im Raum ist. Aber es stimmt, es ist ein Riesenthema: Wer darf wen wo und wie anfassen?

In einer Szene sieht man, wie der Anzug einer Skispringerin millimetergenau angepasst wird – an ihr selbst, von ihrem männlichen Trainer. Da sind die Hände überall.

Es ist schwierig, ich kenne auch viele Sportlerinnen, die das Training gar nicht mehr so machen können, wie es vorgesehen ist, weil manche Dinge heute einfach nicht mehr gehen, gerade was Massagen oder Haltungskorrekturen angeht.

Der alpine Skisport ist verletzungsintensiv. Viele der Kinder haben schon schwere Verletzungen in jungen Jahren.

Weil es in diesem Sport um jeden Millimeter geht. So sind in den Skischuhen zwischen Fuß und Sohle keine weichen Einlagen mehr drin, damit die Kraftübertragung vom Bein auf die Piste direkter erfolgt. Das wirkt sich natürlich auf die Gelenke aus, diese sind Kräften bis zum 12-fachen des Körpergewichts ausgesetzt. Es ist auch das ein Grund, warum in meinem Film vor der Kamera viele Tränen fließen.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein