Interview – Leben, lieben, feiern

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corinne Eckensteins Theaterlaufbahn ist eng mit dem Dschungel Wien verbunden: Seit 2004, der Gründung des Theaterhauses für junges Publikum, waren ihre Inszenierungen ebendort regelmäßig zu sehen, seit 2016 leitet sie die Bühne im Museumsquartier, mit Ende dieser Spielzeit übergibt sie an ihre Nachfolgerin Anna Horn.

“Wiener Zeitung”:Fragen rund um Identität und Sexualität gehören seit langem zum Jugendtheater, allerdings werden diese Themen gerade äußerst vehement diskutiert und polarisieren. Wie beurteilen Sie diese Veränderungen?

Corinne Eckenstein. - © F. Kreis
Corinne Eckenstein. – © F. Kreis

Corinne Eckenstein: Mich haben diese Fragen immer schon beschäftigt: Wie geht man mit gesellschaftlichen Zuschreibungen um? Sich dem gesellschaftlichen Anpassungsdruck zu verwehren, sich nicht einordnen zu lassen, stand seit jeher im Zentrum meiner künstlerischen Arbeit. In den 1990er Jahren waren Lilly Axster und ich mit “TheaterFOXFIRE” das erste queer-feministische Kollektiv Wiens. Diese Themen waren irgendwie immer schon da, aber vielleicht noch nicht so im Alltag angekommen wie heute, sondern damals eher in der Popwelt verankert, denken Sie nur an Madonna, Michael Jackson, David Bowie oder um noch weiter zurückzugehen – an die 1920er Jahre. Es hat sich im Lauf der Zeit eigentlich gar nicht so viel geändert – und im Grunde ist es auch ganz einfach: Jede und jeder kann so sein, wie er und sie es will.

Vielen geht so eine tolerante Einstellung ab, gerade Transsexualität wird derzeit kontrovers diskutiert.

Das ist doch ein klassischer Generationenkonflikt: Die Erwachsenen arbeiten sich an dem Thema ab, den Jugendlichen ist es egal, sie machen das, was sie schon immer gemacht haben: Sie leben und feiern. Darum geht es doch: Um ein selbstbestimmtes Leben, in dem verschiedene Lebensentwürfe gleichberechtigt nebeneinander stehen dürfen. Es hängt jedoch sehr vom kulturellen Umfeld ab, in manchen Communitys ist Queerness immer noch höchst problematisch.

Welche Antworten findet der Dschungel Wien auf diese Fragen?

Wir haben mit “SKIN” ein international einzigartiges Performance-Festival entwickelt, das gerade zum vierten Mal stattfindet. In Aufführungen, Workshops und Partys geht es um Queerness, Feminismus und den daraus folgenden Fragen der Identität. Das Festival ist gewissermaßen meine Antwort auf die Lockdown-Maßnahmen während der Pandemie, die junge Erwachsenen in einer Lebensphase erwischt haben, in der man eigentlich ausgehen, sich ausprobieren und etwas erleben will. Unser Festival richtet sich an ein Publikum ab 15 Jahren, um diese Altersstufe machen Theater üblicherweise einen großen Bogen.

Warum ist das so eine schwere Zielgruppe?

In diesem Alter geht man meist nicht mehr mit den Eltern und noch nicht aus eigenem Antrieb ins Theater – da sind andere Dinge wichtig. Um für diese Altersgruppe interessant zu bleiben, muss man etwas anbieten, das die Jugendlichen betrifft, ohne sie zu belehren, mit verschiedenen ästhetischen und inhaltlichen Zugängen ein emotionales Erlebnis bereiten.

Über Diversität vor und hinter der Bühne wird derzeit viel diskutiert, beim Dschungel Wien ist das gelebte Praxis. Wie geht das bei Ihnen?.

Manche Theater engagieren einfach Menschen unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe – das ist Colouring. Diversität beruht indes auf Beziehungsarbeit. Das geht nicht von heute auf morgen. Vertrauen und Zusammenarbeit auf Augenhöhe muss erarbeitet werden, man kann das nicht verordnen oder vorspielen.

Wie reagiert der Dschungel Wien auf die digitalen Lebenswelten?

Die Stärke des Theaters liegt im realen Erlebnisraum, in der direkten Kommunikation und persönlichen Begegnung, es ist der größtmögliche Gegensatz zum Bildschirm. Wir platzen aus allen Nähten, unsere Aufführungen werden überrannt, wir schieben Zusatzvorstellungen ein, daraus schließe ich, dass wir etwas richtig machen.

Ihr Programm bietet auch viele Möglichkeiten der Partizipation.

Wir wollen möglichst vielen jungen Menschen Zugang zu Kunst zu ermöglichen, dabei geht es um Stärkung und Entfaltung der Persönlichkeit, um kulturelle Bildung im weitesten Sinn. Das sollte in den Lehrplänen verankert werden: Kulturelle Bildung besteht nicht aus einem obligatorischen Theaterbesuch pro Jahr, sondern ist eine lebenslange Beschäftigung mit sich selbst und der Welt, die einen umgibt.

Mit welchen Problemen hat der Dschungel Wien zu kämpfen?

Durch Inflation und Teuerungen bleibt zu wenig Geld für die künstlerische Arbeit. Wir sparen wirklich an allen Ecken und Enden, zuletzt gab es bei der Festivaleröffnung keinen Sekt.

Sie haben von 2016 bis zum Ende diese Saison den Dschungel Wien geleitet, warum haben Sie sich nicht noch einmal beworben?

Anders gefragt: Warum hat man mich nicht gefragt, ob ich weitermachen will? Ich war 19 Jahre beim Dschungel Wien, meine Arbeit spricht für sich. Offenbar wollte die Kulturpolitik eine Erneuerung, ich will das gar nicht werten und nehme es auch nicht persönlich. Ich habe mich entschieden, etwas Neues anzufangen.

Was werden Sie denn machen?

Ich habe schon Pläne, aber kann noch nicht darüber sprechen, es geht auf jeden Fall weiter.

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