Interview – “Ich habe eine große Lust am Geheimnis”

0
37

Hier einer der erfolgreichsten Romane der letzten Jahre. Dort einer der renommiertesten Schauspieler Österreichs. Zu dieser Konstellation kommt es jetzt im Kino. Karl Markovics spielt eine Hauptrolle in “Was man von hier aus sehen kann” (ab 29. 12.), der Verfilmung des Bestsellers der Kölner Autorin Mariana Leky.

Die Story spielt in einem verwunschenen Winkel Deutschlands, im Westerwald. Dort lebt eine Frau namens Selma (Corinna Harfouch), die seltsame nächtliche Erlebnisse hat: Gelegentlich träumt sie von einem Okapi. Doch jedes Mal, wenn ihr das Tier im Schlaf erscheint, wird am nächsten Tag ein Mensch aus dem Ort sterben. Was die Dörfler natürlich in Aufregung versetzt. Zum rechtschaffen verhaltensauffälligen Personal der Geschichte zählt auch der lokale Optiker, den Karl Markovics porträtiert.

Im Kino: Bestseller-Verfilmung mit Markovics, Luna Wedler (links) und Corinna Harfouch. – © StudioCanal / Constantinfilm

Als Buch wurde “Was man von hier aus sehen kann” zum Hit: mehr als 700.000 verkaufte Exemplare und Übersetzungen in 22 Sprachen. Leser und Kritiker waren begeistert. “Ein leicht schrulliger, sehr komischer, enorm unterhaltsamer Roman über das Erwachsenwerden, die Provinz, die Liebe und das Sterben”, lobte “Deutschlandfunk Kultur”.

Jetzt startet also die Filmversion (Regie: Aron Lehmann). Karl Markovics erzählt im “Wiener Zeitung”-Gespräch, was es mit seiner Rolle auf sich hat. Er spricht auch über sein Talent zum “Nicht-Gedanken-Machen”, seine Arbeit mit Kultregisseur Terrence Malick oder seine Leidenschaft für die Regie. Und über sein ehrgeizigstes Projekt: Markovics möchte eine Science-Fiction-Miniserie realisieren, die den schönen Titel “Die Raumpfleger” tragen soll.

“Wiener Zeitung”: Herr Markovics, in “Was man von hier aus sehen kann” spielen Sie einen Optiker ohne Namen, der eine große Liebesfähigkeit besitzt, seine Liebe aber nicht zu artikulieren vermag. Porträtieren Sie gern Charaktere, die ein wenig aus dem Rahmen fallen?

Karl Markovics: Ja. Nicht eindeutig definierbare Figuren mag ich sehr – Menschen, die etwas zurückhalten oder die gebrochene Charaktere sind. Ich habe eine große Lust am Geheimnis und am Rätsel. In dem Sinn, dass sich viele Personen ja selbst ein Rätsel sind. Antihelden interessieren mich und auch stille Helden wie in diesem Fall. Meine Figur, der Optiker, demaskiert ja erst sehr spät in der Geschichte seine wahre Eigenart.

Kannten Sie den Roman von Mariana Leky, bevor Sie Ihren Vertrag für die Verfilmung unterschrieben?

Nein, tatsächlich nicht. Ich glaube, das ist ganz gut gewesen. Denn erst nachher, als ich die Rolle bereits zugesagt hatte, wurde mir bewusst, was das für ein enormer Bestseller war. Nahezu alle Leute, denen ich von dem Projekt erzählte, sagten: “Nein, also so was, das Buch wird verfilmt, das habe ich gelesen und dreimal verschenkt!” Diese Breitenwirkung des Romans war mir nicht bewusst. Für mich war das prägende Moment von Anfang an das Drehbuch. Ich habe den Roman nachher gelesen – und ich bin froh, dass ich nicht vor der Aufgabe stand, aus so einem Text ein Drehbuch zu machen. Ich finde es erstaunlich, auf welche Art die Umsetzung vom Roman in den Film gelungen ist.

Sind Literaturverfilmungen eine besondere Herausforderung für Sie? Schließlich müssen Sie dort Figuren porträtieren, die alle Leser des Buches schon vor dem inneren Auge haben.

Nein. Dem entziehe ich mich komplett. Das sind Gedanken, die ich mir nicht mache. Worin ich wirklich gut bin, das ist das Nicht-Gedanken-Machen. Wenn man zu jenen zählt, die sich tendenziell viele Gedanken machen, ist es bei der Übernahme einer Rolle eher eine günstige Eigenschaft, sich nicht mit Gedanken über diese Rolle zu belasten. Weil das eben eine Last wäre. Die einzigen Rollen, auf die ich mich wirklich vorbereitet habe, waren jene von realen Vorbildern, die in jedermanns Gedächtnis sind. Wie zum Beispiel der Briefbomben-Attentäter Franz Fuchs in dem semidokumentarischen Spielfilm “Franz Fuchs – Ein Patriot” von Elisabeth Scharang. Doch ich mache so etwas eher ungern. Ich bin eher jemand, der über eine Figur sagt, ich behaupte. Und ich behaupte es auf eine Art, dass sich niemand Gedanken macht, ob die Rollengestaltung auch anders möglich wäre.

Sie haben sich mit Filmen wie “Atmen” oder “Nobadi” auch als Regisseur einen Namen gemacht. Haben diese Erfahrungen Ihren Blick auf Regisseure verändert?

Absolut. Ich bin, glaube ich, ein besserer oder ein angenehmerer Schauspieler geworden für andere Regisseure. Wenn ich mich in die Hände eines Regisseurs oder einer Regisseurin begebe, dann sage ich, der Film ist grundsätzlich deine Verantwortung – bis auf einen gewissen, nicht verhandelbaren Moment in meiner Rolle. Interessanterweise habe ich mich früher als Schauspieler häufiger eingemischt, bis ich mir dann dachte, mach’s selber besser. Das hat mich in meinem Wunsch bestärkt, Regie zu führen, denn ich kann ja nicht immer nur sagen, das hätte ich anders gemacht. Seitdem ich diese Aspekte in meinen eigenen Projekten auslebe, bin ich als Schauspieler, was Diskussionen über die Inszenierung betrifft, durchaus zurückhaltender geworden.

Ihre Karriere als Schauspieler reicht inzwischen weit über den deutschen Sprachraum hinaus. Im Drama “Resistance” spielten Sie beispielsweise den Vater von US-Schauspieler Jesse Eisenberg. Und US-Kultregisseur Terrence Malick engagierte Sie für seinen Film “Ein verborgenes Leben”. Kann man so eine internationale Laufbahn planen?

Im Prinzip schon – aber ich bin kein besonders planender Mensch. Ich lasse mich selbst gern überraschen und habe bis jetzt auch immer wieder das Glück gehabt, überrascht worden zu sein. Natürlich sind solche internationalen Engagements leichter geworden durch den Oscar-Erfolg von “Die Fälscher”. Der hat es möglich gemacht, dass Caster und Casterinnen auf einen aufmerksam wurden. Man wird dann immer wieder für eine Rolle vorgeschlagen, und tendenziell kommt es bei einem von fünf Projekten vor, dass man den Regisseuren oder Produzenten sozusagen ins Bild passt.

Terrence Malick, der gern mit Megastars wie Brad Pitt oder Jessica Chastain arbeitet, gilt als einer der großen Geheimnisvollen des US-Arthaus-Kinos. War die Arbeit mit ihm so außergewöhnlich, wie es seinem Ruf entspricht?

Die Arbeit war tatsächlich so, wie ich es bei keinem anderen Regisseur erlebt habe. Es herrschte fast eine Probenatmosphäre; es gab nur die Handkamera, die irgendwann selbstverständlich wurde, mit relativ wenig Team rundherum, und einem Terrence Malick, der beim Dreh immer so nah bei mir saß wie Sie jetzt beim Interview. Während die Kamera lief, hat er mir noch so Sachen zugeflüstert: “Schau auf deine Uhr, Karl”, oder: “Iss noch ein Stück Speck.” Wahrscheinlich hätte mich das bei jedem anderen Menschen irritiert, aber die Ruhe, die väterliche Sicherheit, das Suchen nach einem Moment, den er nicht geschrieben hat, das war bei Malick schon sehr besonders. Ich wurde dabei nie nervös. Terrence Malick gibt einem das Gefühl, nichts falsch machen zu können.

Gibt es Projekte für Ihre nächste Regie?

Ja, die gibt es, aber über die möchte ich noch nicht reden, weil ich keine Ahnung habe, ob auch nur eines davon realisiert wird. Über ein Projekt spreche ich aber doch, weil ich es unbedingt machen will, es aber eine Menge Geld kostet. Die Story ist fertig, die Idee ist 20 Jahre alt und es ist eine Streaming-Miniserie mit dem Titel “Die Raumpfleger”. Die Serie spielt teils im Weltraum und handelt von Menschen, die unter prekären Bedingungen mit Mini-Raumschiffen Weltraumschrott aus dem Weg der Satelliten-Flugbahnen räumen. Die Raumfahrer arbeiten für einen großen Konzern, müssen ihre Raumschiffe leasen und leben nur von dem Altmetallwert des Schrotts, den sie verkaufen. Das Leitthema: Wie bringe ich den Sozialismus wieder unter den Kapitalismus – vom Weltraum aus. “Die Raumpfleger” ist eine Serie, die sehr viel mit Marx und Engels zu tun hat, obwohl man es ihr nicht ansieht. Vielleicht ist es deswegen so schwer, amerikanische Geldgeber zu finden. Die wittern das (lacht). Wir wollen im Jänner einen Teaser drehen.

Kehren wir noch einmal zu Ihrem neuen Film “Was man von hier aus sehen kann” zurück. Mit welchem Satz würden Sie einem unschlüssigen Kinogeher den Film denn empfehlen?

Dieser Film wird Ihnen guttun.

Warum?

Weil er das Leben nicht schöner macht, aber erträglicher.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein