Bei der Berlinale erhielt Steven Spielberg kürzlich den Goldenen Ehrenbären für sein Lebenswerk – dabei ist dieses noch gar nicht vorbei: In der Nacht zum Montag hat der 76-Jährige in Hollywood bei den 95. Academy Awards die Chance, für seinen persönlichsten Film “Die Fabelmans” über seine Jugendjahre bis zu drei Oscars zu gewinnen, bei insgesamt sechs Nominierungen. In Berlin sprach Spielberg vor Journalisten über seine Karriere, seine Wurzeln und welchen Rat er jungen Filmemachern geben würde.
Sie haben sehr früh angefangen, bemerkenswerte Filme zu drehen. Was hat Sie damals angetrieben, was ist es heute?
Steven Spielberg: Ich glaube nicht, dass sich an meinem Antrieb irgendetwas geändert hat. Das, was mich als kleines Kind zum Kino gebracht hat, ist dasselbe Gefühl, das ich all die Jahrzehnte später immer noch beibehalten habe. Und das spüre ich auch jetzt jedes Mal, wenn ich ein Drehbuch finde oder eine originelle Idee habe: Ich glaube, das würde einen guten Film ergeben. Diese Aufregung übertrifft im Grunde alles andere, was in meinem Leben passiert, außer vielleicht die Geburt meiner Kinder. Und das wäre das Einzige, was die Geburt einer Idee übertreffen würde.
In “The Fablemans” erzählen Sie von Ihrer Kindheit, es ist Ihr bislang persönlichster Film. Was war der Auslöser dafür, diesen Film gerade jetzt zu machen?
Die Pandemie bescherte mir plötzlich mehr Zeit. Ich war abgesondert mit meiner Frau und unserem Hund in unserem Haus. Ich hörte meine vor sechs Jahren verstorbene Mutter immer wieder sagen: “Wann erzählst du endlich unsere Geschichte? Wir haben dir so viel gutes Material hinterlassen!” Die Anfangsphase der Pandemie hat mich so erschreckt, und ich begann über Sterblichkeit und das Altern nachzudenken. In gewisser Weise hat mir die Angst vor der Pandemie den Mut gegeben, meine persönliche Geschichte zu erzählen. So habe ich angefangen, an “Die Fabelmans” zu arbeiten. Meine Mutter, mein Vater, meine Schwestern, das ist alles eine Art erstaunlicher Kampf zwischen Kunst und Familie gewesen. Das hat mich mein ganzes Leben lang beschäftigt. Es hat sich herausgestellt, dass alle meine Filme wirklich persönlich sind, viele von ihnen handeln von der Familie. Aber bisher gab es nichts, was so spezifisch mit meinen eigenen Erfahrungen zu tun hat.
Der Film erzählt auch von Ihren ersten Begegnungen mit dem Kino.
Ich glaube, ich war neun Jahre alt. Meine Eltern gingen in einen Film. Sie sagten, er sei zu gewalttätig, und sie wollten mich nicht mitnehmen. Es war ein Western: John Fords “Der schwarze Falke”. Als sie zurückkamen, hörten sie nicht auf, darüber zu reden. Also entschloss ich mich, am nächsten Tag selbst hinzugehen, mit dem Geld aus der Kleingeldvase. Ich habe den Film damals natürlich nicht verstanden, und mir wurde klar, dass ich bei diesem Film die Hilfe meiner Eltern hätte gebrauchen können, um ihn mir zu erklären. Meine Eltern waren dem Kino gegenüber sehr aufgeschlossen. Übrigens haben auch viele Kinder Angst, wenn sie E.T. das erste Mal sehen, wenn er aus dem Raumschiff steigt. Da ist es gut, wenn man seine Eltern hat, die einem die Hand halten. “E.T.” machte ich übrigens, nachdem mir Francois Truffaut geraten hat, einen Film für Kinder zu machen. “Du hast das Herz eines Kindes”, hatte er mir am Set von “Close Encounters” gesagt. Daran dachte ich, als ich “E.T.” machte.
Sie sagten, alle Ihre Filme seien persönlich. Um zerbrochene Ehen, verlorene Kinder und dergleichen ging es schon in “Sugarland Express” oder “Close Encounters”. Waren Filme Ihre Art, Teile Ihres Lebens zu verarbeiten?
Ich betrachte das Filmemachen nie als Therapie, aber oft sind es die unterbewussten Glocken, die geläutet werden von traumatischen Dingen, die uns allen passiert sind. Und wir bekommen die Chance, diese Traumata durch Malerei, Musik, Filmemachen oder durch das Schreiben von Büchern auszudrücken. All das kommt dabei heraus, auch wenn man es nicht beabsichtigt. Und ich war als Kind natürlich sehr traumatisiert vom Zusammenbruch meiner Familie. Hätten sich meine Eltern nicht scheiden lassen, hätte ich mich sicher nicht für “Empire of the Sun” als Filmthema entschieden.
Sie arbeiten seit den 90ern mit Kameramann Janusz Kaminski zusammen. Was hat er, dass er Ihre Visionen in Bilder übersetzen kann?
Ich war auf der Suche nach einem Kameramann für “Schindlers Liste”. Ich sah zufällig einen Film, der von Diane Keaton fürs Fernsehen gemacht wurde. Der erste Film, bei dem Diane Keaton jemals Regie führte, er hieß “Wildflower”. Ich war beeindruckt von der Arbeit von Keaton und vom Kameramann. Es war der kühne Einsatz von warmen und kühlen Farben. In ein und derselben Einstellung hatte er einen Schauspieler im Vordergrund mit sehr kühlem Licht, während die Sonne warm durch die Fenster schien. Mich verblüffte die Wahl seiner Farbpalette. Gleich im Büro sagte ich: “Wir wollen einen Schwarzweißfilm drehen. Haben Sie jemals in Schwarzweiß gedreht?” Er antwortete, dass man sich in Polen an der Filmschule nur Schwarzweiß leisten konnte. Das ist eine Ehe, die im Filmhimmel geschlossen wurde. Und wir haben seit 1993 bei allem zusammengearbeitet.
Ihre erste Visitenkarte war der spannende Film “Duell” von 1971.
Ich kannte das Gefühl von der Angst, einen großen Lastwagen im Rückspiegel zu sehen. Als man mir den Film auf Basis einer Kurzgeschichte vorschlug, war ich Feuer und Flamme. ABC Television hatte damals einen “Film der Woche”, und ich habe mich sehr dafür eingesetzt, diesen Job zu bekommen, weil ich irgendwie das Gefühl hatte, dass ich eine Affinität zu diesem Thema habe. Ich weiß nicht warum, aber es war eine der besten Entscheidungen, die ich je getroffen habe, weil sie mir die ganze Welt eröffnet hat. Ich bekam zum ersten Mal Angebote, bei Filmen Regie zu führen.
Gibt es in Ihrer Filmografie den einen Film, auf den Sie besonders stolz sind?
Es klingt wie ein Klischee, aber es ist wahr: Meine Filme sind wie meine Kinder. Ich habe keine Lieblingsfilme. Aber gleichzeitig kann ich sagen, der emotionalste Film, den ich je gemacht habe, war lange Zeit “Schindlers Liste”, jetzt ist es “The Fabelmans”. Es gibt darin Dinge, die sehr traumatisierend waren, und selbst bei der Nachstellung dieser Szenen war es sehr, sehr schwer, das alles wieder zu erleben. Das hat mich emotional vielleicht am meisten beschäftigt.
Welchen Rat würden Sie jungen Filmemachern mit auf den Weg geben?
Ich lerne von jungen Filmemachern heute oft mehr als von einigen der älteren Regisseure, die vor 80, 90 Jahren Filme gemacht haben, weil viele der Jungen heute so kühne Arbeit leisten. Aber eines der Dinge, die ich weitergeben kann, ist, dass man ein gutes Drehbuch haben muss. Ich habe immer gesagt, wenn es nicht auf dem Papier steht, dann sieht man es auch nicht auf der Leinwand, und daran glaube ich wirklich. Und wenn du denkst, dass das nicht deine Stärke ist, dann triff dich mit jemandem, dessen Stärke das Geschichtenerzählen und Schreiben ist, und forme ein kleines Team. Denke daran: Es sind einzig und allein die Geschichten, die die Leute packen, nicht die tollen Bilder.
Verraten Sie uns ein bisschen mehr über Ihren Nachnamen Spielberg?
Mein Name stammt aus der steirischen Stadt Spielberg. Ein österreichischer Name, der wörtlich übersetzt ins Englische Play Mountain bedeutet. Für meine erste Produktionsfirma, als ich 13 Jahre alt war, kopierte ich Paramount und nannte sie Play Mount Productions. Ich hatte sogar einen Berg darauf. Ich glaube, der Name hat mir irgendwie einen Sinn für Humor gegeben, was mich betrifft. Denn es bedeutet wirklich, dass die Arbeit, die ich als Regisseur mache, keinen Spaß macht, wenn ich nicht spiele, während ich arbeite, wenn das Spiel nicht dem Niveau der Arbeit entspricht, dann werde ich auch keinen Spaß haben. Selbst bei Filmen, die wegen des Themas emotional erschöpfend sind: In meinen Filmen gab es immer einen Sinn für das Spielerische, der es mir ermöglichte, selbst die schlimmsten Momente der Geschichte mit Humor zu füllen. Und vielleicht hängt das irgendwie mit dem Namen zusammen, den mir mein Vater gegeben hat.