Galerien – Walter Angerer-Niketa: Die innere Schönheit der Steine

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Ein bisschen ist’s wie mit der Mücke im Bernstein. Ach, weil sich die ebenfalls nimmer rührt? Genau. Die hält still wie der Moment, der in den Skulpturen von Walter Angerer-Niketa zur Ewigkeit versteinert. Zum endlosen Jetzt und Immerdar. Oder konservieren Marmor, Granit und Serpentin nicht vielmehr die Idee der Zeitlosigkeit? Bzw. die Sehnsucht nach Dauer?

Unter dem poetisch paradoxen Titel “Im Augenblick der Ewigkeit” (und die ist immerhin ein expandierendes Universum) schaut die exquisite retrospektive Ausstellung in der zs art galerie bis in die 1960er Jahre zurück und versammelt Formvollendetes aus Stein und Holz (und aus verschiedensten Jahrzehnten) sowie konstruktive “Flachware” und pointierte Zitate des vor knapp zwei Jahren verstorbenen Meisters der raffinierten Schlichtheit. Bespielt die großzügigen bis intimen Räume und Wände. 

Die mutmaßliche Einfachheit ist eine vermeintliche

Und tatsächlich scheint hier der ausgeklügelte Minimalismus die unendlichen Weiten der Zeit auf den schnörkellosen Punkt zu bringen. Oder aufs Quadrat. Aufs schwarze nämlich. Jenes von Kasimir Malewitsch. “Des san für mi lauter schwarze Quadrate”, sagt zumindest der Guido Zehetbauer-Salzer. Ergo: Im Grunde nicht mehr weiter reduzierbar. Wie Malewitschs legendäres Quadrat eben. Der absolute Nullpunkt der Malerei. (Ein viereckiger Nullpunkt.)

Walter Angerer-Niketa hat herausgefunden, dass Horus wohl doch kein Ägypter war, sondern offensichtlich ein Salzburger. Okay, er ist lediglich in einen Salzburger Marmor übersiedelt. (“Horus”, 2009.)

– © Pepo Schuster, austofocus.at

Selber hat er übrigens ein buntes Quadrat angefertigt (60 mal 60 Zentimeter), der Guido, und zu den “schwarzen” dazugehängt. Ein Porträt nach einem Schnappschuss, den er dereinst vom Bildhauer gemacht hat: “Du malst ihn ned ab, du interpretierst ihn.” Den Schnappschuss? Ja. Und den Porträtierten. Der sieht weg, sucht keinen Blickkontakt, dafür sind seine aufeinandergelegten wichtigsten Werkzeuge (seine Hände) umso beredter. Haben mindestens genauso viel Persönlichkeit und Charakter wie sein Gesicht.

Nicht, dass die skulpturalen Konzentrate des gebürtigen Oberösterreichers (Jahrgang 1940), der in Niederösterreich gelebt und gemeißelt hat und der seiner Knochentuberkulose zum Trotz Bildhauer geworden ist (und ausgerechnet Steinbildhauer), nicht dass die also der absolute Nullpunkt der Bildhauerei gewesen wären. Bei aller spartanischen Strenge und geometrischen Schärfe ist der Plan dahinter, wie das alles konstruiert ist, die Anatomie, oft dennoch nicht gänzlich durchschaubar. Weil die mutmaßliche Einfachheit in Wahrheit eine vermeintliche ist. 

Wenn der Marmor flügge wird

Subtile Asymmetrien und Gleichgewichtsstörungen (die “Waage” aus einem Rosa Portogallo ist sowieso ein Meisterwerk des delikaten Austarierens und die Stabilität generell labil, ein Balanceakt), überraschende Wendungen, latente Dynamik. “Ikarus” (2005): Ein Forellenmarmor will flügge werden wie der Jüngling aus der griechischen Mythologie, dessen Ausflug in den Himmel tragisch geendet hat, will hoch hinaus, versucht abzuheben, breitet seine klobige Masse wie Flügel aus. Massive Leichtigkeit. Als wollte er es der dünnen, geknickten Linie nachmachen, die auf drei Leinwänden nach und nach ihrem Sockel entkommt, diesem dichten, gewichtigen Schwarz, und wie ein Vogel in die Schwerelosigkeit entschwebt. (In jenem Zyklus, der heißt wie die gesamte Schau: “Im Augenblick der Ewigkeit.”) Ein Echo des Traums vom Fliegen?

Vorne versucht ein Forellenmarmor abzuheben ("Ikarus", 2005), der Holzkeil links meditiert über "Das Prinzip Landschaft" (2013). Einblick in die Ausstellung von Walter Angerer-Niketa in der zs art galerie. 
- © Pepo Schuster, austofocus.at

Vorne versucht ein Forellenmarmor abzuheben (“Ikarus”, 2005), der Holzkeil links meditiert über “Das Prinzip Landschaft” (2013). Einblick in die Ausstellung von Walter Angerer-Niketa in der zs art galerie.

– © Pepo Schuster, austofocus.at

Denn auch im Zweidimensionalen (in der anfangs erwähnten “Flachware” – auf Leinwand und Zeichenkarton) werden Gewichte und Symmetrien verschoben und zu einer inneren Spannung ausbalanciert. Wird Bewegung gemacht. Und begleitend meldet sich der Künstler zwischendurch schriftlich zu Wort, kommentiert quasi aus dem Off, aus der Vergangenheit.

“Ich strebe nach Ruhe in der Bewegung und Bewegung in der Ruhe”, ist da zum Beispiel zu lesen. Schließlich ist nicht einmal die hermetische Gelassenheit, die seine Pharaonen und ägyptischen Götter ausstrahlen, eine unerschütterliche. Zwei Labradore (die Rassesteine, nicht die Rassehunde) mimen Osiris und Isis, den Totengott und seine Schwester, die sich bereits im Mutterleib inzestuös ineinander verliebt haben. Die Familienähnlichkeit der schnittigen schlanken “Körper”, die sich außerdem formal vermählen, ist unverkennbar. Das Drama (Osiris ist von seinem Bruder Seth zerstückelt und von seiner Schwestergemahlin Isis daraufhin wieder zusammengepuzzelt, mit einem Mumienwickel versehen und reanimiert worden) lassen sich die Gesteinsgeschwister mit ihrer stoischen frontalen Haltung jedenfalls nicht anmerken. 

Ein natürliches Konservierungsmittel: die Erinnerung

“Was mich so wahnsinnig an den alten Ägyptern fasziniert”, gesteht der Schöpfer der obigen zwei markanten abstrakten “Statuetten”, “ist ihr Bedürfnis nach Unvergänglichkeit. Und die Angst, dass man vergessen wird.” Die Erinnerung ist ein gutes Konservierungsmittel. Zugegeben: Formalin ist besser.

Scharf (in mehrfacher Hinsicht): der Tauerngrün "Niketa" (2002) von Walter Angerer-Niketa. An den Wänden wird derweil fleißig konstruiert, verschoben und in labile Bewegung versetzt. 
- © Pepo Schuster, austofocus.at

Scharf (in mehrfacher Hinsicht): der Tauerngrün “Niketa” (2002) von Walter Angerer-Niketa. An den Wänden wird derweil fleißig konstruiert, verschoben und in labile Bewegung versetzt.

– © Pepo Schuster, austofocus.at

Moderne Archaik von kalkulierter Sinnlichkeit. Durch geduldiges Schleifen der spröden Oberfläche (bis zur makellosen Glätte) poliert Angerer-Niketa sogar die innere Schönheit der Steine heraus. Und die innere Schönheit des Holzes, die Maserung. Eine Esche führt “Das Prinzip Landschaft” (2013) vor. Landschaften liegen bekanntlich draußen in der Gegend herum, sind in der Regel Liegende, keine Stehenden (oder Sitzenden) wie die Pharaonen oder Osiris und Isis oder Horus oder Ptah. Und diese da erhebt sich und bleibt trotzdem liegen. Hat eine Steigung, ist ein pfiffig in sich verdrehter Keil. Der Horizont erklimmt einen Hügel.

In der oberen Etage (nicht der Landschaft, sondern der Galerie – und man muss nicht rauffliegen, man kann die Treppe nehmen): Quadratschädel. Eine Zeitreise zurück in die Anfänge, als der Pillhofer- und Wotruba-Schüler, der sein Diplom später (1980) allerdings bei Bruno Gironcoli gemacht hat, sich noch nicht vom Kubismus seiner Lehrer gelöst hatte.

Den Schlusssatz überlasse ich dem Künstler: “Die Zeit vergeht, die Ewigkeit bleibt und mit ihr der Stein.” Wäre ich religiös, wäre mir nun wohl ein Amen herausgerutscht.

Zeitreise zurück in den Kubismus: Wobei der Walter Angerer-Niketa den Holzkopf links erst im Jahr 2000 erschaffen hat, den "Kopf des Samurai" rechts dafür bereits 1971. (Tun die Bockschauen?) Und die "flachen" Kompositionen sind überhaupt aus den 1960er Jahren. 
- © Pepo Schuster, austofocus.at

Zeitreise zurück in den Kubismus: Wobei der Walter Angerer-Niketa den Holzkopf links erst im Jahr 2000 erschaffen hat, den “Kopf des Samurai” rechts dafür bereits 1971. (Tun die Bockschauen?) Und die “flachen” Kompositionen sind überhaupt aus den 1960er Jahren.

– © Pepo Schuster, austofocus.at

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