Galerien – Oskar Schmidt: Alice hinter den Pixeln

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Ein bissl ist’s wie in “Raumschiff Enterprise”. Wie in dieser Science-Fiction-Serie aus den 1960er Jahren. Mit dem Captain Kirk und dem Mister Spock. Unendliche Weiten und so. Nur, dass da jemand ganz allein unterwegs ist, um neue Welten zu erforschen. In Galaxien, die wahrscheinlich nie ein Mensch zuvor gesehen hat, dringt er allerdings ebenfalls vor, der Oskar Schmidt.

“Ich wollte etwas machen, das niemand anderer macht – vielleicht.” Stimmt. Man will schließlich einzigartig sein, oder? “Es reicht schon”, meint der in Wien lebende gebürtige Grazer, Jahrgang 1956, “wenn man nicht einer ist, der die anderen nachmacht.” Ach, und den Captain Kirk macht er etwa nicht nach? I wo. Der hatte bestenfalls einen Bordcomputer, dem Schmidt sein Computer ist das Raumschiff. Quasi. Und sein Weltraum? Riesige digitale Bilddateien. Datei-en. Plural. Eigentlich bereist er also gleich mehrere Welträume. Ein Multiversum. Jede Bilddatei ein eigenes Universum, in das er immer tiefer eintaucht. Mit seiner Neugier. Und seiner Kreativität. 

Ein Ikononaut im Digiversum

Hm. Und wer hat es erschaffen, dieses Multiversum? Er selber. Mit seinem Fotoapparat. Astronaut ist er folglich keiner. (Oder ein klassischer Fotograf. Wenngleich er früher einmal unter anderem fürs “Terra Mater”-Magazin gearbeitet hat.) Mehr ein Ikononaut. Einer, der durch die Bilder navigiert wie ein Raumfahrer durchs All. Oder ein Diginaut? In einem digitalen Kosmos? Das sind nämlich überhaupt keine abstrakten Gemälde, für die man die auf Aludipond aufkaschierten Leinwände und Papiere oder die einfach bloß gerahmten Blätter halten könnte. Keine Ölbilder und Aquarelle. Sondern Drucke. Dennoch lauter Unikate.

Hm. Architektur? Falsch, wieder ein Knie. Oder das, was der Oskar Schmidt jenseits des Knies entdeckt hat. Bzw. was er daraus gemacht hat, was er dort vorgefunden hat. (“OT-B0034”, 2019.)

– © Oskar Schmidt

Im DISTRICT4art hängen jetzt jedenfalls seine bunten (und seine schwarzweißen) “Transpixel-Visionen”. (Kuratiert hat die Ausstellung Lisa Klein.) Transpixel? Jenseits des Bildpunkts? Werden hier womöglich Blicke hinter die nullte Dimension geworfen? Wobei es sich bei den Elementarteilchen einer Rastergrafik genau genommen nicht wirklich um geometrische Objekte ohne jegliche Ausdehnung handelt. Sonst könnte man vermutlich die ihnen zugeordnete jeweilige Farbe mit freiem Auge nicht sehen. Irgendwie ein Wunderland. Alice hinter den Pixeln gewissermaßen. Hinter den vordergründigen Bildern. Na ja, Tiefseetauchern oder sogar Schnorchlern bietet sich doch auch ein anderes Bild vom blauen Planeten als den Landratten. (Alice? Ich dachte, der Captain Kirk.)

Auch das ist natürlich kein Aquarell. Der Oskar Schmidt ist schließlich kein Maler, sondern Fotograf. ("OT-TW0016", 2022, und diesmal saugt sich die Pigmenttusche in handgeschöpftes Japanpapier.) 
- © Oskar Schmidt

Auch das ist natürlich kein Aquarell. Der Oskar Schmidt ist schließlich kein Maler, sondern Fotograf. (“OT-TW0016”, 2022, und diesmal saugt sich die Pigmenttusche in handgeschöpftes Japanpapier.)

– © Oskar Schmidt

Überall geometrische Abstraktion in nuancenreicher Farbbrillanz. Ein verpixeltes Glühen zum Beispiel (Pixel mit Hitzewallungen, obwohl: “Ich will es nicht verpixeln, das Bild, weil verpixeln heißt: unscharf”), ein streng gestreifter Minimalismus oder so etwas wie ein expressionistischer Konstruktivismus (einer, der sich fast gestisch auflöst). Als wäre man tatsächlich Lichtjahre, nein, nicht von der Erde, aber immerhin von der Realität entfernt. Dabei ist man lediglich dermaßen nah dran, dass sie bereits total unrealistisch wirkt.

Okay, durch das Streifenbild weht eine Meeresbrise, ein Hauch von Ozean (blaue Streifen!) bei Sonnenuntergang (Orange und Pink), und die konstruktivistischen Gesten lassen Architektur erahnen, eine Villa mit blauem Himmel eventuell. Wurscht. Hinter alldem steckt in Wahrheit sowieso ein – Knie. Von einer “zerhackten” Frau. 

Analügst du noch oder digitalst du schon?

Begonnen hat er ja gegenständlich, figurativ, der Oskar Schmidt. Als Sechsjähriger hat er eine Kodak Instamatic 110 auf seine Eltern und seine Schwester gerichtet, bis das Motiv irgendwann unruhig geworden ist, weil es so lange gedauert hat bis zum Abdrücken. Er hat halt herumprobiert, wie er die leicht nach hinten geneigten Möbel geradekriegt. Als er später nach seinem Herzinfarkt wieder zum Fotografieren gekommen ist, hat er ihm dann abgeschworen. Dem Perfektionismus? Falsch. Dem Analogen. Denn eine analoge Fotografie ist für ihn “ein schwammiges Bild”. Und er mag’s eben – scharf. Und deshalb digital.

“Die digitale Fotografie, wenn sie dich anschaut, nimmt sie von dir alles wahr. Das Wimmerl genauso wie die schönen Augen.” Nicht, dass er das Wimmerl nicht ausdrücken würde. Weil diese Dateien für ihn, der offenbar ein äußerst reinlicher Fotokünstler ist, erst so richtig attraktiv werden, “wenn man sie reinigt”. Würde man die Sachen zu scharf abbilden, wären “Dinge drauf, die ein Maler nie malen würde”. (Außer der Lucian Freud.)

Dasselbe in Grün. Und was ist das überhaupt? Eine konkrete digitale Fotografie von Oskar Schmidt mit dem Titel "OT-TW0017". ("OT" steht übrigens für "ohne Titel".) 
- © Oskar Schmidt

Dasselbe in Grün. Und was ist das überhaupt? Eine konkrete digitale Fotografie von Oskar Schmidt mit dem Titel “OT-TW0017”. (“OT” steht übrigens für “ohne Titel”.)

– © Oskar Schmidt

Für diejenigen, die mit dem Begriff “analog” nichts mehr anfangen können, weil ihre Umgebung längst digitalisiert ist: Das ist nicht das Präteritum von “analügen” (ich analüge, ich analog, ich habe alle angelogen). Und der Schmidt analügt definitiv nicht. Der wandert durch Digiberg und –tal.

Das einzige Bild in der Ausstellung, das komplett am Computer komponiert worden ist. Ohne fotografische Krücke. (Oskar Schmidts "OT-WT0014", 2020.) 
- © Oskar Schmidt

Das einzige Bild in der Ausstellung, das komplett am Computer komponiert worden ist. Ohne fotografische Krücke. (Oskar Schmidts “OT-WT0014”, 2020.)

– © Oskar Schmidt

Und welche Kamera hat er mitgehabt, als er über den Atlantik gesegelt ist? Leider keine. (“Kameras haben mich nicht interessiert, wenn sie nicht gut waren. Und wenn ich mir die guten nicht leisten konnte, hatte ich keine.”) Die Bilder und Eindrücke hat er sich folglich merken müssen. Die vom Ätna nicht. Vom Hubschrauber aus hat er damals für einen Auftrag (mit einer guten Kamera) in den Krater hineinfotografiert oder Letzteren vom Boden aus bestiegen. Oder hat im südfranzösischen Cadarache vier Ausweise gebraucht, um das Gelände des angehenden Fusionsreaktors betreten zu dürfen. “Es hat nix zum Sehen gegeben und nix zum Fotografieren, weil noch nix gebaut war. Ist auch schon ein paar Jahre her.” 

Die abstrakte Kunst aus dem Knie schütteln

Noch eine "Transpixel-Vision" aus den unendlichen Weiten einer Bilddatei mit Knie: "OT-B0023", 2020, von Oskar Schmidt. 
- © Oskar Schmidt

Noch eine “Transpixel-Vision” aus den unendlichen Weiten einer Bilddatei mit Knie: “OT-B0023”, 2020, von Oskar Schmidt.

– © Oskar Schmidt

Und wie schüttelt er nun, seit er nimmer “die Fotos zu den Texten” macht, sondern seine eigenen Geschichten erzählt, die abstrakte Kunst gleichsam aus dem Knie? Noch dazu aus einem fremden Knie, einem weiblichen? Zuerst musste er die Frau einmal zerstückeln. Respektive ihre Bewegungen. Hat elf, zwölf Blitze in ein einziges Bild hineingefeuert. Eine Art Mehrfachbelichtung. Und Bewegungsstudie. Bevor er sich dem Knie zugewandt hat. Ins Detail gegangen ist und nachher ins Detail dieses Details.

Sichtlich ist der Mikrokosmos nicht weniger unendlich als der Makrokosmos. Besonders, wenn die superscharfe Bilddatei, in der der Künstler herumspaziert wie in einer Landschaft, sechs Meter misst. (He, so lang ist mein Arbeitswohnschlafzimmer!) Außerdem wird der winzige Ausschnitt bearbeitet. Mit einem digitalen Pinsel? Und darum ist das Resultat so malerisch? Ein Verschieben von Reglern soll es eher sein. (“Ich ändere die Regler und damit die Regeln.” – Und obendrein dauernd die Farben.)

Trotzdem erstaunlich, wie aus einem organischen Stück Anatomie unmenschliche Streifen werden können. Oder ein Konglomerat aus unglaublich blauen und sehr eckigen Flächen. (“Vergiss das Knie. Es ist nur wichtig, dass aus einer Fotodatei etwas Neues entsteht. Das scharf ist.”) 

Das Bezirksgericht ins All schießen

Mysterium mit rätselhafter Skulptur von Oskar Schmidt: "OT-TWST0021" (2021). 
- © Oskar Schmidt

Mysterium mit rätselhafter Skulptur von Oskar Schmidt: “OT-TWST0021” (2021).

– © Oskar Schmidt

Die deutlich grafischeren (und intimeren) Arbeiten auf handgeschöpftem Japanpapier, auf das der Schmidt mitunter Monate wartet, hatten übrigens keinen Kontakt mit besagtem Knie. Mit gar keinem Knie. Dafür mit einer Styroporskulptur des Künstlers, die dieser so sauber wie rätselhaft vor einem seiner Fotos platziert hat. Variationen zu einem Thema, das sich nicht sofort als solches zu erkennen gibt. Blätter, die ein Geheimnis für sich behalten können. Formale Klarheit, gepaart mit Mysterium. Und ihre Unbuntheit, sprich dass sie schwarzweiß sind, bedeutet nicht, dass sie eintönig wären. Auch im Grau schlummert eine latente Polychromie. Und sind in der Nacht nicht alle Farben mausgrau wie die Katzen?

Das Bezirksgericht in Wien Landstraße wiederum hat er radikal umgebaut und ins All geschossen, der Oskar Schmidt. (“Die Idee war: Ich richte das Gericht.”) Schwerelos schwebt es auf der Leinwand in einer blickdichten Finsternis, im luftleeren Nichts. Wie eine futuristische Raumstation. Oder ein Satellit. Ein Spionagesatellit. (Durch die vielen Fenster können die Spione zumindest bequem rausspechteln.) Als Todesstern in neuem Design würde das transformierte und umgesiedelte Gerichtsgebäude aber ebenso keine schlechte Figur machen. Das wäre dann jedoch “Star Wars“, nicht “Star Trek“. 

Die Fantasie ist pure Realität

Offenbar hat der Oskar Schmidt aus dem Bezirksgericht im dritten Bezirk einen Todesstern gemacht. ("OT-GE0021", 2019.) 
- © Oskar Schmidt

Offenbar hat der Oskar Schmidt aus dem Bezirksgericht im dritten Bezirk einen Todesstern gemacht. (“OT-GE0021”, 2019.)

– © Oskar Schmidt

Während dieses eine Opus seine Quelle in der dinglichen Wirklichkeit (und seinen fotografischen Kern) relativ ungeniert preisgibt, könnte das, was auf den meisten restlichen Bildern drauf ist, durchaus ein reines Fantasie-Produkt sein. Eine Realität außerhalb ihrer eigenen bilden die Werke auf alle Fälle nicht ab. (No na, sonst wäre das ja keine konkrete Fotografie.)

Durch seine Liebe zum Detail (und zum Detail dieses Details) entdeckt hier einer eine neue Welt in der alten, und diese neue entpuppt sich, ungeachtet ihrer augenscheinlichen Realitätsverweigerung (oder Realismusverweigerung), als sinnlich wie ein entblößtes Knie. (Woran die leuchtende Pigmenttusche und die Struktur des Papiers keinen unerheblichen Anteil haben.)

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