Wer so wie er in der Vergangenheit wühlt und alte Geschichten wieder ausgräbt, noch dazu Torfgeschichten, die man wirklich mit einem harten T am Anfang schreibt (und nicht mit einem weichen D), der darf halt keine Scheu haben, sich dabei die Finger schmutzig zu machen. Hat er ohnedies nicht, der Erik van Lieshout.
Aus seinem Hier und Jetzt (aktuell lebt er in Rotterdam) ist der 1968 geborene Spross zweier Sozialarbeiter und Aktivisten, der seinerseits äußerst engagiert ist, nämlich ins Dort und Damals zurückgereist, an den Ort, an dem er aufgewachsen ist, nach Deurne, um dann mit bloßen Händen in der Heimaterde herumzubuddeln und nach seinen eigenen Wurzeln zu suchen, die früheren Generationen aus der Moorlandschaft zu exhumieren. Gewissermaßen.
Die Erinnerung ist eine Moorleiche
Seine Ausbeute präsentiert der Niederländer nun in der Galerie Krinzinger. Keine Angst, eh keine Moorleichen. Oder irgendwie schon. Allerdings keine menschlichen. Vielmehr Bäume und dergleichen. In seinem Sechs-Minuten-Video, in dem er durch den einstigen Arbeitsplatz der Torfstecher stapft. Und ist der Torf nicht überhaupt ein Massengrab? (Torf: Humus aus abgestorbenen Moorpflanzen, hallo? Die sich mit der Erde, zu der sie werden, quasi selber zudecken.)
Alte Torfgeschichten, von Erik van Lieshout mit Conté-Kreide nacherzählt. (Nach historischen Fotos.)
– © Carmen Alber, Courtesy: Galerie Krinzinger und Erik van Lieshout
Ansonsten sind unbewegte Bilder zu sehen, großformatige Zeichnungen und Collagen mit inhärenter Dynamik, mit expressivem, geradezu existenziellem Strich, der sich zu wettergegerbten Gesichtern verdüstert, deren Jugend durch die harte Arbeit im Freien wegerodiert zu sein scheint, zu geschäftigen Gestalten oder welchen, die eine Rauchpause machen.
He, ist Torf nicht ein Zwischenprodukt bei der Entstehung von Kohle? Nicht, dass das Kohlezeichnungen wären, die Conté-Kreide, die sich sozusagen als intensivschwarzes Sediment kontrastreich auf dem weißen Blatt ablagert, verhält sich freilich ein bissl wie Zeichenkohle. Lässt sich genauso verwischen. Und ist das Papier nicht wie der Torf ein CO2-Speicher? Das Molekül des Bösen, dieser Klimakiller, entkommt höchstens, wenn man das jeweilige Speichermedium abfackelt. Okay, Torf ist blöderweise ein Brennstoff. Was zum Heizen.
Das Moor hat seine Schuldigkeit getan . . .

Ein Torfstecher, aus der Zukunft (die Erik van Lieshouts und unsere Gegenwart ist) bei der Arbeit beobachtet.
– © Tamara Rametsteiner, 2023, Courtesy: Galerie Krinzinger und Erik van Lieshout
Unter Zuhilfenahme von historischen Fotos zeichnet sich van Lieshout also markig in die 1950er Jahre zurück und gibt am Ende einen Ausblick in die Gegenwart, in der das Moor längst seine Schuldigkeit getan hat (zumindest als Torflieferant) und die Gegend eher agrarisch genutzt wird. Einem Schwein transplantiert er gar seinen Kopf (respektive arrangiert er seine Anatomie zu einer schweinischen um).
Oder er sonnt sich mit seinem Vater friedlich auf einem Bankerl, ruht sich im Müßiggang aus. Wobei er natürlich sehr wohl hackelt. Schließlich muss er die Vinylfolie aufkleben, mit der er die Szene erst erschafft. Und Holz arbeitet angeblich ebenfalls permanent. Selbst nach dem Tod des Baums. Hier zum Beispiel als Bank. Ist ein Workaholic. (Und ein “lebendiges” Material. Bzw. offenbar mehr ein untotes.)
Bei seinem Projekt gehe es “um Torf und Familie”, meint van Lieshout, “um den Boden, aus dem wir kommen, aber auch um Politik und Klimawandel”. Hm: Vinyl? Klingt nicht gesund. Für die Umwelt. Weil ist das nicht ein Kunststoff? So etwas wie Plastik? Farbe und Glanz bringt die Klebefolie jedenfalls in die unbunten Kreidegefilde. Oder der Künstler inszeniert damit den Ausstellungstitel (“The Peat Cutter” – der Torfstecher) landschaftlich an der Wand. Vogelsilhouetten umschwärmen die Buchstaben dramatisch.
Friedhof der Kuschelmoose
Und im Film “Birthplace: Intro”? Setzt sich van Lieshout für den Erhalt dieses einzigartigen Feuchtgebiets ein und ganz direkt mit seiner Herkunft auseinander. Mit der Hochmoor-Landschaft “De Peel”. Greift ins matschige Erdreich, bis seine Fingernägel dreckiger sind als von der Kreide, versenkt das Mikrofon in der unterirdischen Stille (bestattet es regelrecht) oder wird mit dem Spaten selber zum Moorstecher. Er streichelt das Moos, filmt sterbende Bäume, deren kahle Äste sich schemenhaft verzweigen und die sich als leibhaftiger Holzschnitt dunkel in den Himmel “drucken”. Derweil saugen seine weißen Schuhe die Erinnerungen des Bodens auf wie Zeichenpapier.

Einen sehr erdverbundenen “Heimatfilm” hat der Erik van Lieshout ebenfalls gedreht. In “Birthplace: Intro” (2023, 6 Minuten) nimmt er im Moor Boden- und Erinnerungsproben.
– © Carmen Alber, Courtesy: Galerie Krinzinger und Erik van Lieshout
Einmal versucht das Moor sogar ihn zu verschlucken. Vor laufender Kamera (oder streng genommen hinter ihr – und mit ihr) versinkt er plötzlich einen Meter. Wird nass. “Ouch, fuck! Holy shit!”, fluchen die englischen Untertitel. Das Moor nimmt den Besucher sichtlich ebenso persönlich wie dieser das Moor, wo van Lieshout einen bemoosten Klumpen mit “Hi, dad!” begrüßt, sich aus der Kanne seines Großvaters was zu trinken einschenkt oder die niederländische Fahne baselitzt. Auf den Kopf stellt. Die ist übrigens ein Superlativ wie die “Wiener Zeitung”, wie die älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt: Die angeblich älteste Trikolore, die noch gehisst wird, soll das sein.
Recherche und subjektive Dokumentation verschmelzen zu einem durchaus stimmigen Gesamtbild.

Selbstporträt als Schweinderl aus der Region: Eine animalische Collage von Erik van Lieshout zum Schluss.
– © Tamara Rametsteiner, 2023, Courtesy: Galerie Krinzinger und Erik van Lieshout