Galerien – Alina Kunitsyna: Die Venus hat wieder Waschtag

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Warum hat die Venus eigentlich, wenn sie auf einem Bild drauf ist oder in Stein gemeißelt wird, praktisch nie was an? Weil ihre Kleidung halt immer grad in der Wäsche ist. Nein, das ist vermutlich nicht der wahre Grund. Der dürfte irgendwas mit der Erotik zu tun haben. Und mit dem Spechteln.

Bei Alina Kunitsynas liegender Liebesgöttin verhält es sich freilich genau umgekehrt. Die sieht man überhaupt erst vor lauter Gewand. Ihre sexy Rundungen bestehen geradezu daraus. Oder nicht nur “geradezu”. Sondern durch und durch. Nämlich zu 100 Prozent. Die Schaulust kommt dabei aber trotzdem nicht zu kurz. Schon allein wegen der delikaten Malerei, die den Pinsel nicht gänzlich verleugnet und dem Licht aufmerksam lauscht. 

Wäsche in Ekstase

Die zuagraste Künstlerin aus Weißrussland (1981 wurde sie in Minsk geboren, heute lebt und malt sie in Wien und in Damtschach in Kärnten) formt den sich dekorativ aalenden Leib von ihrem “Beach Babe”, ihrem Strand-Schatzi, jedenfalls aus dem nassen Haufen (“weil du kriegst nie diese Plastizität im trockenen Zustand”), den die Waschmaschine quasi macht. Ein bildhauerischer Schöpfungsakt letztendlich, der nach einer fotografischen Zwischenstufe (“Die Nasswäsche kann nicht lange liegenbleiben”) auf der Leinwand fortgesetzt wird.

Gewand und Gold: Nicht, dass es in der Ausstellung von Alina Kunitsyna um materielle Werte ginge.

– © kunst-dokumentation.com / Manuel Carreon Lopez

Irgendwo hängt bei der Schaumgeborenen (oder schäumt das Waschmittel etwa nicht wie das gischtende Meer?) das Strickbündchen eines Ärmels raus, der Rest ist nimmer so eindeutig anatomisch zuordenbar. Für die Wäscherin allerdings durchaus: “Ich kann das alles zuordnen. Bis zum Socken.” Anthropomorphe Kleiderorgien, Wäsche in Ekstase. Und mittlerweile so typisch für das Werk der carinthowienerischen Belarussin, dass Bekannte ihr bereits Schnappschüsse von deren Wäschebergen schicken.

Und obwohl nirgends menschliche (oder göttliche) Haut entblößt wird, ist an diesem veganen Akt alles sinnlich. Außerdem hatten die abgelegten Kleidungsstücke vorher direkten Körperkontakt, oder? Und die Stofffalte, in die sich die Pinselhaare und Schatten genießerisch verkriechen, ist hier sowieso “das” Medium des künstlerischen Ausdrucks. Die Drapierung als malerisches Gustostückl. 

Der Steinzeitspeck hat endlich was anzuziehen

Alina Kunitsyna erweckt Tücher nicht nur zum Leben, sie benehmen sich jetzt auch wie Menschen. Und ein bissl wie Adam und Eva. Bloß mit Gewand. ("ms. unseen & mr. unknown", 2022.) 
- © Alina Kunitsyna

Alina Kunitsyna erweckt Tücher nicht nur zum Leben, sie benehmen sich jetzt auch wie Menschen. Und ein bissl wie Adam und Eva. Bloß mit Gewand. (“ms. unseen & mr. unknown”, 2022.)

– © Alina Kunitsyna

Eine stehende Venus ist ins Skulpturale gar rückübersetzt (und der Bronzeguss erneut mit Ölfarben bemalt) worden. Die groteske “Venus Cayetana”: eine entfernte Verwandte der Venus von Willendorf. Paläolithische Adipositas in modernem Gewand sozusagen. Oder aus modernem Gewand. Und bei all der urigen Wucht ist die Liebe zum Detail (und zum Humor) unverkennbar. Jö, die kecken Franserln! Von einer Decke anscheinend. (“Die hab ich aus Wachs dazugebastelt.”)

Hinten: die Willendorferin, kopflos, dafür mit koketten roten Bäckchen, Hinterbacken (die streng genommen rot-weiß gestreift sind), vorne: Cayetana Fitz-James Stuart, die 18. Herzogin von Alba. Offenbar als Kopffüßerin. Denn wären die dicken, sichtlich aufgespritzten, rosaroten Lippen die Vulva, “wäre sie quer”, räumt Kunitsyna ein, die zudem meint, man brauche ihre Venus bloß mit Fotos der 2014 verstorbenen und stark zurechtoperierten exzentrischen Adeligen vergleichen, “dann erkennt man sie sofort”. Stimmt.

Maria del Rosario Cayetana Paloma Alfonsa Victoria Eugenia Fernanda Teresa Francisca de Paula Lourdes Antonia Josefa Fausta Rita Castor Dorotea Santa Esperanza Fitz-James Stuart y de Silva Falcó y Gurtubay, die achtfache Herzogin, 15-fache Marquise, 21-fache Gräfin und 19-fache spanische Grandin, die es sogar ins Guinness-Buch der Rekorde hineingeschafft hat (als diejenige mit den meisten Adelstiteln), war übrigens eine Nachfahrin jener legendären Herzogin von Alba (der 13.), die ein Gspusi mit Goya, in dessen Oeuvre sie des Öfteren vorkommt, gehabt haben soll. Bei der 18. hat immerhin Picasso angefragt. Wegen eines Gemäldes

Guckloch mit sieben Buchstaben – Pupille

“Le Bain of Love” ist die sehr körperliche (und zwischenmenschliche) Ausstellung in der Galerie Kandlhofer in perfektem Franglais betitelt. Ein frankoenglisches Bad der Liebe also. “Le Bain turc” wiederum (das türkische Bad) heißt eine Serie auf Papier, in der die zerknüllte Bettdecke der Malerin (Kunitsyna: “Waldviertler Leinen”) ein aquarelliges Bad, nein, nicht in den Wasserfarben nimmt (das klassische Aquarell ist für Kunitsyna “ein bisschen tabu”), vielmehr in der farbigen Tusche. Gewissermaßen. Mit der idealen Rundung rundherum: einem Kreis.

Die zerknüllte Bettdecke der Künstlerin sinniert über Ingres' türkisches Bad: "Le Bain. Melancholie und Schönheit" von Alina Kunitsyna. 
- © kunst-dokumentation.com / Manuel Carreon Lopez

Die zerknüllte Bettdecke der Künstlerin sinniert über Ingres’ türkisches Bad: “Le Bain. Melancholie und Schönheit” von Alina Kunitsyna.

– © kunst-dokumentation.com / Manuel Carreon Lopez

Ein Tondo, sprich kreisrund wie ein Guckloch oder die Pupille (das Guckloch des betrachtenden Auges), ist auch Ingres‘ türkisches Bad (datiert 1862). Eine Art gemalte Peepshow für den voyeuristischen Blick. Eine schwüle Szene mit saunierenden Haremsdamen, mit nacktem Fleisch, das sich arabesk in der Hitze räkelt. Der eine zentrale Rückenakt, der ein lautenähnliches Saiteninstrument zupft, trägt zufällig eine turbanartige Kopfbedeckung, die frappant Kunitsynas Bettwäscheklumpen ähnelt, der generell mehrdeutig ist. Ein Turban? Ein zerknautschtes Gesicht im Out-of-the-bed-Look, mit verschlafener Mimik?

“Das unzugängliche Antlitz” ist einmal in schönster, sauberster Handschrift darunter zu lesen. Ein andermal ist vom Liebesleid die Rede, von ambivalenten Emotionen (“qualvoll betört”, “vergiftet verliebt”). Adaptierte Zitate aus einem philosophischen Text über einen platonischen Dialog. Und deckt die kuschelige Textilie aus der Intimregion Bett, die einen wärmt oder unter der man schwitzt wie in der Sauna, nicht die Liebenden zu und die Träumerin, während sie sich im Reich des Unbewussten herumtreibt? Ein vielschichtiges und lediglich vordergründig simples Motiv, das mutmaßlich (oder vermeintlich?) zur stressfreien, entspannten Beobachtung einlädt, ohne gedanklich zu beschweren. 

Hermès-Tuch besucht Adam und Eva

Narzisstischer Kuss: Selbstverliebtes Hermès-Tuch. Von Alina Kunitsyna mit Tusche auf Papier gemalt. ("I Wanna Be a Plant with Fantasy and Kiss You", 2022.) 
- © Alina Kunitsyna

Narzisstischer Kuss: Selbstverliebtes Hermès-Tuch. Von Alina Kunitsyna mit Tusche auf Papier gemalt. (“I Wanna Be a Plant with Fantasy and Kiss You”, 2022.)

– © Alina Kunitsyna

Da zitiert eine insgesamt gern. Die Kunstgeschichte, Geistesgrößen, den banalen Alltag. Wenn sie gemusterte Designertücher vermenschlicht, indem sie einen Knoten hineinmacht (als Kopferl), und nachher jeweils zwei Exemplare auf einem Blatt platziert, in zwei separaten Feldern, hat sie im Hinterkopf ein – ebenfalls zerteiltes – Doppelporträt des (zumindest nach christlicher Überlieferung) allerersten Liebespaares: das Diptychon “Der Sündenfall” von Lucas Cranach dem Älteren aus dem Wiener Kunsthistorischen Museum. Witzigerweise waren Adam und Eva in ihrem Paradies schamlos textilfrei. (Nach dem Biss in den Apfel haben sie sich höchstens gschamig ein Feigenblatt vorgehalten.)

Gefühlvoll (und wieder mit Tusche) werden der zarte Stoff und die emotionalen Regungen geschildert, die fragilen Begegnungen. Mit Bravour meistert die Künstlerin, die in dieser Werkreihe ihr ganzes Können zeigen kann, die üppig, meist vegetabil ornamentierten Faltenwürfe. Eins der Tücher hat gleich zwei Knoten (zwei Seelen wohnen, ach, in . . . meinem Hermès-Tüchl), die sich jetzt narzisstisch küssen.

Und was war ihr Trick? Weshalb machen die “Puppen” so eine gute Figur und halten mit ihren bodenlangen Gewändern so elegant die Stellung, statt einfach umzukippen? Sind die irgendwo befestigt? Ja. Auf einem Ständer. Okay, das klingt obszöner, als es ist. Weniger anzüglich ausgedrückt: auf einem Stativ. Und sie waren nicht nass. Konnten folglich etwas länger bleiben. Als Modelle ausharren. “Es ist schon sehr viel gelogen”, gibt die Urheberin der Tuschearbeiten unumwunden zu. “Ich sag meinen Studenten immer: Lügen, aber überzeugend.” 

Das Paarungsverhalten der weißen Sneaker

Verliebte Sneaker beim Händchenhalten, nein: Schuhbandlverknoten. Aus Alina Kunitsynas Tusche-auf-Papier-Serie "White Sneakers". 
- © Alina Kunitsyna

Verliebte Sneaker beim Händchenhalten, nein: Schuhbandlverknoten. Aus Alina Kunitsynas Tusche-auf-Papier-Serie “White Sneakers”.

– © Alina Kunitsyna

Die weißen Sneaker, die Kunitsyna beseelt hat (mit ihrem Fußschweiß? – mit dem auch), die stehen von allein. Partner, die gemeinsam durchs Leben hatschen, wobei stets einer dem andern einen Schritt voraus ist. Das eine Mal der Rechte dem Linken, danach der Linke dem Rechten. Nun sind sie daheim und . . . paaren sich. Nicht, dass sie sich besteigen würden. Sie tauschen eher Zärtlichkeiten aus. Mit ihren Schuhbandln. Der eine fädelt seins dem andern ein, die Enden verwirren sich innig zu einem Knäuel (das Pendant zum Händchenhalten?), oder eines davon schreibt eine kryptische Botschaft (“East”? “Rink”?). Bei der Länge hat sie freilich geschummelt, die Kunitsyna, gell? Maßlos übertrieben. (“Na sicher ist das alles gelogen.”) Dennoch äußerst interessant, das Paarungsverhalten der sportlichen Schnürschuhe.

Überall Beziehungsgeschichten. Und Kunitsyna erzählt sie mithilfe von alltäglichen (toten) Dingen. Die eine unglaublich menschliche (und vitale) Ausstrahlung haben. Genau genommen alles Stillleben. Betonung auf “Leben”.

Leidenschaftlich wird’s, wenn zwei Gläser Blutsbrüderschaft trinken. Auf alle Fälle schwappt ein blutiges Rot zwischen ihnen hin und her. Die beiden stehen zweifellos aufeinander. So oder so. Im übertragenen wie im buchstäblichen Sinn. Ihre oberen Ränder picken förmlich wie Münder aufeinander. Als würden sie sich gegenseitig den Saft des Lebens spenden und ausschlürfen. 

Störe meine Ellipsen nicht!

Blutige Tusche: Diese zwei Gläser aus der Serie "Don't Disturb My Circles" von Alina Kunitsyna haben sichtlich eine leidenschaftliche Beziehung. 
- © Alina Kunitsyna

Blutige Tusche: Diese zwei Gläser aus der Serie “Don’t Disturb My Circles” von Alina Kunitsyna haben sichtlich eine leidenschaftliche Beziehung.

– © Alina Kunitsyna

Oder ist da der Tod des Archimedes symbolisch dargestellt? Schließlich ist die hämoglobinrote Serie nach den angeblich letzten Worten des berühmten antiken Mathematikers benannt, die dieser gesagt haben soll, bevor er bei der Eroberung seiner Heimatstadt Syrakus von einem feindlichen römischen Soldaten erschlagen worden ist: “Don’t Disturb My Circles” (auf Deutsch: Störe meine Kreise nicht). Der hat Englisch gesprochen? Nein, Griechisch, wieso? Der Formulierer des Hebelgesetzes (“Gebt mir einen festen Punkt und ich hebe die Welt aus den Angeln!”) soll dieser Anekdote entsprechend zumindest gerade dabei gewesen sein, geometrische Figuren (irgendwas mit Kreisen) in den Sand zu zeichnen.

Hat Kunitsyna in Wirklichkeit womöglich lauter Blut-Uhren gemalt, die nach dem Sanduhrenprinzip funktionieren? Und die Zeit vom Archimedes ist bekanntlich abgelaufen? Unwahrscheinlich. Mehr ein Experiment namens . . . Liebe. Und die Malerin, die sich mit der Fakeblut-Gerinnung und den süffigen Spiegelungen abrackert (“Es ist furchtbar anstrengend, man muss sich irrsinnig konzentrieren”), kann es garantiert genauso wenig leiden wie der Archimedes, wenn sie wer belästigt, während sie ihre Kreise zeichnet (die perspektivisch zu Ellipsen verzerrten Glasböden und -ränder). 

Die Metastasen der Sehnsucht

Und die fünf mysteriösen Goldbatzen (“Small Desire” – kleine Sehnsucht), die auf den schwarzen Sockeln wie Geschwülste wuchern? Diese verführerisch glänzenden Kugeln mit Beulen? Was es mit denen auf sich hat? Hat die Sehnsucht, das Verlangen vielleicht Metastasen? Wird gierig?

Fünf Goldklumpen? Nein, fünf VERGOLDETE Klumpen. Massiv sind sie allerdings auch. (Holz.) Alina Kunitsynas "Small Desires" (2016 - 2022). Im Hintergrund: "Le Bain turc I bis V." 
- © kunst-dokumentation.com / Manuel Carreon Lopez

Fünf Goldklumpen? Nein, fünf VERGOLDETE Klumpen. Massiv sind sie allerdings auch. (Holz.) Alina Kunitsynas “Small Desires” (2016 – 2022). Im Hintergrund: “Le Bain turc I bis V.”

– © kunst-dokumentation.com / Manuel Carreon Lopez

Archimedes hätte natürlich bewiesen, dass das Gold (ein 23-karätiges) zwar echt sein mag, aber kein Klumpen. Mit seinem Prinzip (dem archimedischen) hätte er die Objekte aus massivem . . . Holz (vergoldet “wie die Engel in der Kirche”) locker überführt. Wie bei der Krone damals, wo er zuerst diese und im Anschluss einen gleich schweren Goldbarren in einen vollen Wasserbehälter getaucht hat, um zu überprüfen, ob bei beiden eh die identische Menge an Wasser überläuft und sie somit auch dasselbe spezifische Gewicht besitzen. (Der Goldschmied war, nebenbei bemerkt, ein Betrüger. Die in der Galerie aufliegende Werkliste ist dagegen ehrlich.)

Kunst, die was zu bieten hat und dem prüfenden Blick problemlos standhält.

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