Ihre Bilder hängen trotzdem an der Wand. (Oder an den Wänd-en. Plural. Konkret: der Lukas Feichtner Galerie.) Warum “trotzdem”? Na ja, weil sie eigentlich aus Bodenhaltung stammen. Mehr oder weniger. Zumindest sind sie auf dem Boden entstanden. Sind sogar teilweise aus Boden gemacht, also überhaupt ziemlich erdverbunden. Nämlich voller Erde (oder streng genommen Sand) aus dem Geburtsland der kosovarischen Künstlerin mit Wohnsitz und Atelier in Wien.
Die Seele in den Körper einackern
Die Albana Ejupi hat ihre Heimat exhumiert? So ungefähr. Nicht die komplette Gegend natürlich, in der sie 1994 auf die Welt gekommen ist. Sooo wenig ist das freilich auch wieder nicht, was sich da als Sediment in ihrer gefühlsechten Kunst ablagert. Definitiv mehr als früher. Inzwischen knetet sie den Stoff, aus dem quasi das Heimweh ist (bzw. in dem es sich materialisiert), fast skulptural durch. Eine Malerin, die doppelt studiert hat, allerdings zweimal Malerei (zunächst in Pristina und später an der Wiener Kunstakademie) und nicht etwa einmal Malerei und einmal Bildhauerei, und die jetzt dennoch ihre Bilder haut. Sozusagen. Mit bloßen Händen. (Technik: Sand, Acryl und Emotionen auf Leinwand.)
Gebaselitzt: “The Fall” (2022, links) von Albana Ejupi.
– © franzi kreis, Courtesy: Lukas Feichtner Galerie
Nach wie vor erschafft sie in einem geradezu mythischen Schöpfungsakt Menschen. Nach ihrem Ebenbild? Zwischendurch ja. Doch üblicherweise hat sie Modelle, macht mit denen Foto-Sessions, übersetzt die Aufnahmen nachher ins Kreatürliche, Existenzielle (über eine Zwischenstufe, in der sie Skizzen anfertigt). Ihren Geschöpfen bläst sie dann den Odem des Lebens und des Leidens ein. Der Leidenschaft. Wobei: Pusten tut sie eher nicht. Sie greift hin, aber bestimmt nicht so zaghaft mit dem Zeigefinger wie Michelangelos Schöpfergott in der Sixtinischen Kapelle, der dort kurz davor ist, seinen Adam vorsichtig anzutippen, um ihn zu beseelen. Ejupi ackert die Seele in die Leiber regelrecht ein. Zerstört Letztere dabei zum Teil wieder. Im Affekt.
Wo-Man statt He-Man

Ehrliche Antwort auf Courbets “Ursprung der Welt”: Albana Ejupis ausdrucksstarke Materialmalerei ist oft roh und blutig.
– © Lukas Feichtner Galerie
Die Körper (verkrustete Schemen, haptische Schatten) brechen aus ihrer figurativen Kontur aus, die um sie herumgezogen ist, ihre Gesichter und Menschlichkeit verwischen, die Anatomie tritt über die Ufer, löst sich zusehends in einen abstrakten Expressionismus auf (oder in Ekstase, in pure Lust, in reine Frauenpower?). Ejupi: “Vielleicht kommt die Zeit, wo kein Körper mehr da ist.” Eine sehr persönliche, intime und vor allem intensive Auseinandersetzung mit der Herkunft, der eigenen Weiblichkeit, dem Humanen generell.
Nicht, dass sie keine Männer kreiert und sofort aus dem Paradies in die Realität hinein vertrieben hätte. “Sandmännchen” gibts bei ihr durchaus. Die mit den “Sandweibchen” zur Zweisamkeit verklumpen. Zu Umarmungen, zur Geborgenheit. Ein Liebespaar wünscht sich für die Zukunft: “No more pain for us” (kein weiterer Schmerz für uns). Die Frauen sind gleichwohl in der Überzahl. Das dominante Geschlecht. “WO-MAN” (Bildtitel) statt He-Man. (Oder Superman.)
Und zwischen den Schenkeln klafft eine schmerzrote Wunde, die eine brutalere Geschichte vom Wunder des Lebens erzählt als Gustave Courbets voyeuristischer Blick auf den Ursprung der Welt (“LOrigine du monde”), der nur fokussiert ist auf Schaulust und Erotik und nichts wissen will von Menstruationsbeschwerden oder Dammriss bei der Geburt. Ein andermal hat Ejupi den Unterleib gar gebaselitzt, ihn umgedreht, weil er ihr plötzlich oben besser gefallen hat. Ein Engelinnensturz?
Nackt bis auf die Psyche

Acryl, Sand, Gaze und Gefühle auf Leinwand: Körper (erschaffen von Albana Ejupi), sich in Ekstase und abstrakte Kunst auflösend.
– © Lukas Feichtner Galerie
“Theres beauty within your nakedness”, konstatiert der Titel der Ausstellung. Und nackt sind sie, die Figuren. Ausgezogen bis auf ihr Innerstes, ihre Gefühle, ihre emotionalen Innereien. Sind der personifizierte Topos von der Nuda Veritas, der nackten Wahrheit. Können ihre Ehrlichkeit nirgends verstecken, ihren Altersspeck beispielsweise, ihr erschlafftes Gewebe.
Und weshalb rieselt die Wahrheit nicht auf den Galerieboden? Was ist es, das den Sand, der bekanntlich aus Körnern besteht wie der menschliche Organismus aus Zellen, im Innersten zusammenhält? Ein Spezialkleber. Die eingearbeitete Gaze gibt ihm zusätzlichen Halt, dem Sand. Und obendrein Struktur. Ist das nicht Verbandszeug? Richtig. Das verpickt hier gewissermaßen mit der Verletzlichkeit, verschmilzt mit den physischen und seelischen Blessuren wie das Fleisch der Erde (der Sand) mit dem Blut der Malerei (mit der Farbe).
Albana Ejupi treibt es übrigens immer bunter. Ihre Palette ist neuerdings noch knalliger, mitunter poppig bis hin zum Neonpink. Ja, spritzen tut sie ebenfalls noch, die Farbe. Und beruhigt sich gleich wieder zur unaufgeregten, mit breitem, relaxtem Pinsel gestrichenen Monochromie. Grafische Klarheit führt einen angeregten Dialog mit dem Erdigen, Rohen. Zu ästhetisch womöglich? Ist die mutmaßliche Hässlichkeit zu “schön”? Kraftvoll sind die Bilder allemal. Ausdrucksstark sowieso.