Endless Summer Vacation – Miley Cyrus: Synthieweckruf nach Ganztagssiesta

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Alle reden nur von Rache, dabei gibt es eine Versöhnung. Also nicht zwischen Miley Cyrus und ihrem Ex-Gespons Liam Hemsworth, dem unausgesprochenerweise der bereits Hit gewordene Song “Flowers” gewidmet ist. Nein, der Zug ist abgefahren. Und dann ist noch die Abrissbirne durchgeschwungen. Aber Miley Cyrus arbeitet erstmals seit 13 Jahren wieder mit jener Firma zusammen, die ihr frühen Ruhm eingebracht hat – dessen Sauberfrau-Image sie aber schnell und radikal loszuwerden versuchte, so wie man sich einer zwickenden beigen Strumpfhose entledigt. Disney machte Miley Cyrus in der Jugendserie “Hannah Montana” weltberühmt. Nun hat sie dem Streamingsender des Konzerns die Rechte für den “Backyard Sessions”-Konzertfilm, der zur Bewerbung ihres neuen Albums “Endless Summer Vacation” erscheint, überlassen. Da schließt sich auch irgendwie ein Kreis. Hatte doch eine solche “Backyard Session” – 2012 sang der 20-jährige Ex-Kinderstar, gerade ohne Plattenvertrag, im grünen Hinterhof “Jolene” von Patentante Dolly Parton und stellte das auf Youtube – zur Folge, das Pharrell Williams als ihr Produzent einstieg und die Unabhängigkeit ihren Lauf nahm.

Ade, Kugelfisch

War der Stilwechsel auf ihrem Album “Bangerz” 2013 mit Rap-Anklängen und ganz viel kessem Zunge-Rausstrecken noch lebensnotwendig für das Abschütteln der alten (jungen) Persona, hat sich Cyrus in ihrer Karriere seither einen Sport gemacht, ihre Hörerinnen und Hörer raten zu lassen, welchem Genre sie sich diesmal zuwendet. Ganz in der Tradition einer Madonna, Prä-kulturelle-Aneignungs-Ära. Madonnas neues Gesicht übrigens wirkt bei genauem Hinsehen so, als hätte das Zum-Vorbild-Nehmen eine bizarre Form der Gegenseitigkeit angenommen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Nein, hier hat sich nicht jemand mit dem Filzstift an Miley Cyrus ausgetobt. Das ist rebellische Tattoo-Kunst. - © Sony
Nein, hier hat sich nicht jemand mit dem Filzstift an Miley Cyrus ausgetobt. Das ist rebellische Tattoo-Kunst. – © Sony

2015 gewann man das Ratespiel mit “experimenteller Pop”: “Miley Cyrus and her Dead Petz” entstand mit den Flaming Lips, gern auch vorgebracht mit Einhorn-Iro und Anschnalldildo. Unvergessen ihre Ballade an ihren verblichenen Kugelfisch Pablow. Es folgte Country-Lastiges – Cyrus ist da familiär vorbelastet, ihr Vater Billy Ray ist in der Branche tätig – auf “Younger Now”. Ihr bisher bestes Album erschien 2020, “Plastic Hearts” war dem Poprock gewidmet und hatte mit Joan Jett und Billy Idol lässige und lustige Gaststars aufzubieten.

Rockig ist nun an “Endless Summer Vacation”, Cyrus am Freitag bei Sony neu erschienen Album, eher wenig. Die erste Hälfte ist von rockig so weit entfernt wie Billy Idol von Roland Kaiser. Tatsächlich ist das Album in eine langsame und eine etwas flottere Hälfte geteilt. Cyrus hat das als eine Tag- und eine Nacht-Hälfte beschrieben. Was nun einen sehr schläfrigen Tag voraussetzt. Dazu passt wiederum Cyrus’ Stimme perfekt, die bekanntlich im Parterre zu verorten ist und schon ganz natürlich nach Kater klingt. Also nicht dem Tier. Der nun schon sattsam bekannten, schmissigen Selbstliebe-Hymne “Flowers”, die ohrwurmtauglich erklärt, was man alles als Frau ohne Mann machen kann, folgt also mit der Ballade “Jaded” eine reflektiertere Analyse einer in den Sand gesetzten Beziehung. Ungeachtet des optimistischen Titels ist auch “Rose Colored Lenses” melancholisch und rückwärtsgerichtet und klingt, als hätte Lana del Rey Happy Pills genommen, die aber noch nicht voll wirken.

Zwei Duettpartnerinnen hat Cyrus zu ihren ewigen Sommerferien eingeladen: Countryrockerin Brandi Carlile unterstützt sie bei der folkpoppigen Nummer “Thousand Miles” mit eingängigem Refrain. Einen solchen hat auch die Kooperation mit Hitgarant Sia: “Muddy Feet” hat den Dreck nicht nur im Titel, er klingt auch bisschen räudig, so wie man sich halt fühlt, wenn man hintergangen wird.

Auf die Insel

Auf “You” wiederum, einer etwas geschwätzigen Ballade, ist gewisser Elton-John-Einfluss zu vernehmen. Nach dem Song beendet Cyrus die Ganztagessiesta und geht in den Club, “Handstand” bietet mit Synthiegewaber den passenden Übergang. “River” könnte tadellos als Kylie-Minogue-Hommage durchgehen, aber in ihrer coolen Comeback-Phase.

Ein einziges Lied erschließt zumindest im Titel die Urlaubs-Assoziation: “Island” mit seinem diskreten tropischen Beatplätschern lässt sich sicher gut zum Happy-Hour-Mischgetränk servieren.

Auch wenn “Endless Summer Vacation” ein wenig der Biss und die Dringlichkeit fehlen, und mitunter sogar der knackige Refrain, gefällt, dass Cyrus sich hier nur wenig in Pose wirft und viel auf ihre sehr erkennbare, gutturale Stimme baut. Und trotzdem ist das Album auch Zeugnis dafür, dass reifer werden nach wie vor auch heißen kann: fader werden.

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