Mit einem weit gefassten Begriff von Autorenschaft eröffnet das diesjährige Dramatiker*innenfestival in Graz: Den Auftakt bildete die ukrainische Künstlerin Nina Eba, die vor allem als Songwriter und DJ bekannt ist, sowie die senegalesische Autorin Ada Diagne, die sich mit postkolonialen Erzählungen einen Namen machte.
Als Eröffnungspremiere stand “Mauern” des weiblichen Performance-Kollektivs “She She Pop” im Grazer Schauspielhaus auf dem Spielplan: “Mauern” ist die Weiterentwicklung eines zehn Jahre alten Stücks namens “Schubladen”, in dem die Truppe das komplizierte Verhältnis zwischen “Ossis” und “Wessis” thematisierte. “Mauern” erweitert die Identitätsdebatte um Migration und Gender: 90 Minuten ideologische Zuspitzungen.

Kollektives Schreiben, Musik, VR-Film, Lesungen oder auch einfach “nur” Theater: Das ganze Wochenende über ermöglicht das Festival-Programm noch eine Reihe an Begegnungen mit zeitgenössischem Schreiben, bis am Sonntag (25. Juni) der Retzhofer Dramapreis verliehen wird.
Die “Wiener Zeitung” sprach mit Edith Draxl, die seit 23 Jahren die Ausbildungseinrichtung “Dramaforum” leitet, über Tendenzen des Gegenwartsdramas.
“Wiener Zeitung”: Kann man kreatives Schreiben überhaupt lernen?
Edith Draxl: Wir haben spezielle Formen von Lernprozessen entwickelt, um Schreibende dabei zu unterstützen, ihre eigene Form zu finden. Wir lehren weder Techniken noch Methoden – vielmehr geben wir Impulse zur Weiterentwicklung und Anregungen, um das Bewusstsein für Text und Sprache zu schärfen. Es gibt kein autoritäres Feedback, wie es in einem klassischen Meister-Schüler-Verhältnis üblich wäre. Im Grunde verzichten wir auf jedes Feedback und führen vielmehr intensive Gespräche über jeden einzelnen Text einer Gruppe von Studierenden. Es ist ein Dialog auf Augenhöhe.
Wie gestalten sich die Gespräche?
Wer ein Stück von Goethe analysiert, kann sich auf eine jahrhundertelange Rezeptionsgeschichte berufen. Zu Goethes Werken gibt es unendlich viel Literatur und endlos fundierte Analysen. In Sachen neuer Dramatik ist das überhaupt nicht so. Für Textarten, die gerade im Entstehen sind, gibt es keine erprobten Sprechweisen, deshalb sind wir permanent mit dem Was und dem Wie beschäftigt. Es sind noch keine Rezepte vorhanden. Wir tasten uns jedes Mal aufs Neue vor – was gerade das Spannende daran ist. Reizvoll ist dabei auch zu sehen, wie manches aus den Gesprächen aufgegriffen, in kreative Prozesse eingespeist wird.
Welche Tendenzen machen Sie im zeitgenössischen Drama aus?
Die Situation für Autorinnen und Autoren wird wieder offener als noch vor einigen Jahren. Figuren kehren auf die Bühnen zurück, allerdings in unterschiedlicher Weise. Es handelt sich dabei um keine psychologisch gebauten Protagonisten, die im Laufe der Handlung bestimmte Entwicklungen vollziehen, vielmehr um Figuren, die so tun, als wären sie Figuren, in Wirklichkeit jedoch Sprechautomaten gleichen, die für sich selbst oder für eine bestimmte Gruppe stehen und reden. Anhand der Figur verschränken sich im zeitgenössischen Drama auf ganz eigene Weise Kontext und Dialog. Ich habe zudem den Eindruck, das absurde Theater ist viel präsenter als vor einiger Zeit.
Die Abkehr vom psychologischen Genre, die Rückkehr des absurden Dramas: Vieles weist darauf hin, dass zeitgenössische Stücke andere Spielweisen erfordern, als sie meist in Schauspielschulen gelehrt und an Stadttheatern praktiziert werden. Wie nehmen Sie das wahr?
Da ist tatsächlich eine große Diskrepanz auszumachen. Nach wie vor wird eine bestimmte Weise des psychologischen Spiels forciert – es existiert zugleich wenig Bewusstsein dafür, dass zeitgenössische Texte nach anderen Spielregeln funktionieren, daher andere Spielweisen erfordern. Der Theaterbetrieb folgt althergebrachten Konventionen; Veränderungen passieren langsam, nur Schritt für Schritt nähert man sich anderen Sichtweisen an.
Wie gestaltet sich gegenwärtig der Berufseinstieg für junge Dramatikerinnen und Dramatiker?
In Österreich findet – verglichen mit Deutschland – mehr Nachwuchsförderung statt. Dennoch ist es gewiss nicht einfach, in der Branche Fuß zu fassen. In der Zusammenarbeit mit Theatern gibt es gerade bei Anfängerinnen und Anfängern mitunter Einmischungen in deren Texte – häufig bringt die Dramaturgie Änderungswünsche vor, die nicht immer zur Verbesserung von Texten beitragen. Ich würde mir in diesem Zusammenhang mehr Verständnis für den kreativen Schreibprozess wünschen. Mitunter haben es besonders jene Texte schwer, die sich nicht unmittelbar erschließen, obwohl sie gerade dadurch eine besondere Qualität entwickeln.
Warum hakt es da?
Das hängt wohl mit der Schnelligkeit des Theaterbetriebs zusammen. Wenn auf Hochdruck produziert wird, dann fehlt die Zeit zum genauen Lesen. Das soll aber kein Vorwurf sein. Texte, die komplexer und unkonventioneller sind, werden leider oft vorschnell als “unspielbar” abgelegt. Da würde ich mir schon wünschen, auch diesen Stücken den Raum zu geben, der ihnen gebührt.