Glaubt man den alten Griechen, ist der Schwan ein seltsames Tier: Geht es ans Sterben, stimmt er einen ergreifenden Trauergesang an. Man kann sich das vielleicht ungefähr so vorstellen wie die Abschiedsarie einer sterbenden Opernfigur, die bei ihrem Bühnentod so richtig die Tränendrüse des Publikums melkt.
Ich, liebe Leserinnen und Leser, werde Ihnen einen solchen Gesang ersparen, obwohl dies meine letzte Klassik-Kolumne an dieser Stelle ist. Stattdessen möchte ich dem “Schwanengesang” von Franz Schubert Raum geben. Wobei man natürlich anmerken muss, dass dieser Titel gar nicht von Schubert stammt und auch sonst nicht alles ganz koscher zuging bei der Veröffentlichung dieser Notensammlung. 1829, Monate nach Schuberts Tod, hat der Verleger Tobias Haslinger die letzten Lieder des Wiener Tonsetzers unter dem rührseligen Etikett veröffentlicht. Fragwürdig aber nicht nur der Titel, auch die Zusammenstellung. Wollte Schubert wirklich diese 14 Lieder zu einem Zyklus bündeln? Stimmt zwar, dass es verbindende Elemente gibt: Die eine Hälfte der Lieder beruht auf Gedichten von Ludwig Rellstab, die andere auf Texten von Heinrich Heine. Dennoch unwahrscheinlich, dass Schubert die beiden Teile wie Brotscheiben aufeinander gepappt hätte. Und: Er hätte wohl auch mit einem anderen Kunstgriff Haslingers Probleme gehabt. Der hat das Lied von der “Taubenpost” ans Ende der Liederreihe gesetzt – ein inhaltlich befriedigender Abschluss, doch ein Fremdkörper, hatte Schubert diese Nummer doch schon früher geschrieben. Kurz: Der “Schwanengesang” ist weniger ein Liederzyklus als ein posthumes Marketingprodukt.

Dennoch wird er gern aufgenommen, zuletzt etwa von der Pianistin Mitsuko Uchida und vom Tenor Mark Padmore. Hinreißend ist hier das Klavier. Uchidas Spiel erzeugt für jedes von Schuberts Minidramen die passende Klangkulisse: In der “Liebesbotschaft” gluckst ein geschäftiges Bächlein für das Ohr, im Lied von der “Stadt” wabern gruselige Nebelbilder, und im Lamento vom “Doppelgänger” ballt sich die Wut des Protagonisten zu mächtigen Akkorden. Nur leider: Der Tenor erreicht dieses Niveau nicht. Das Problem beginnt mit der Sound-Abmischung: Padmore klingt auf diesem Album so hallig und leise, als würde er von den Weiten eines Riesensaales akustisch verschluckt. Problematisch auch, dass der Engländer mit der zarten Stimme immer wieder das Extrem sucht. Steuert er Dezibelspitzen an, führt dies zu manch unrundem Ton. Umso betörender, wenn er Schuberts Lieder leise flehen lässt: Selten üben zarte Töne eine solche Kraft aus.

Aufgeräumter tönt der “Schwanengesang” in der Interpretation von Andreas Bauer Kanabas, erschienen in diesem Jahr: Der deutsche Bass mit dem sonoren, rauchigen Timbre, voluminös in der Klanggebung, doch nie vibratolastig, macht den Eindruck eines entspannten Erzählers, der im rechten Moment aber schon emotional in die Vollen geht. Ein Album, das nur einen Makel hat: dass es das Klavier zu weit in den Klanghintergrund rückt und damit die ausgezeichnete Leistung des Pianisten schmälert. Der heißt Daniel Heide, ist ein gefragter Liedbegleiter und wird in Zukunft wohl weitaus vorteilhaftere Alben einspielen – über die die “Wiener Zeitung”, seufz, nur leider nicht mehr berichten wird können. Mein lieber Schwan!
