Die französische Künstlerin Laure Prouvost hat sich für die einzige Ausstellung der Wiener Festwochen eine berühmte Österreicherin auserkoren, um vielschichtige Verbindungen aufzudecken: die kleine Statuette der “Venus von Willendorf”, die im Naturhistorischen Museum von ersten Künstlerinnen und Künstlern der Ur- und Frühgeschichte erzählt. Als Ahnin vieler Generationen passt sie ins Großmutterkonzept, das die Turnerpreisträgerin Prouvost ihrem Ausstellungskonzept für die Kunsthalle voranstellt. Wahlverwandt fühlt sie sich weniger einer sexualisierten “Venus”, wie sie von der männlichen Forschung nach ihrer Auffindung in eine Reihe von 130 ähnlichen Frauenstatuetten gestellt wurde, weil sie nackt ist, sondern sie sieht diese als beleibte Großmutter. Mittlerweile ist auch die Wissenschaft bei dieser Erkenntnis angekommen, die Denkrichtung der Künstlerin bleibt trotzdem bewusst dem Analytischen fern und lenkt ins Spielprinzip.
Niki de Saint Phalle hatte dereinst ihre bunten Nanas schon dem steinzeitlichen Kunstobjekt nahegerückt; Sie ist nun eine in der Reihe berühmter Frauen aus allen Sparten von Kunst und Wissenschaft, die Prouvost heranzieht, um eine fiktive Genealogie, um die Ahnenfigur der Großmutter zu entwerfen. In ihrem rezenten Film “Here Her Heart Hovers” (“Hier schwebt ihr Herz”, ein Auftrag der Wiener Festwochen, der Kunsthalle und Remai Modern) geht es um eine schwesterliche Gruppe, die ausgesuchte Familie, die ausrückt, um nahe Marseille eine Höhle zu besuchen. Dass dort auch die christlichen Legenden Maria Magdalena zur Askese in eine Höhle verpflanzt haben, ist wohl kein Zufall, ist doch auch von Marias “unbefleckter Empfängnis” die Rede.
Prouvost, Jahrgang 1978, geboren in Croix und derzeit wohnhaft in Brüssel, kommt aus dem Experimentalfilm, und das fühlt man auch beim Betreten des Ausstellungsraumes, der wie ein Kino fast im Dunklen gehalten wird. In einer komplexen Sound-, Sprach- und Lichtinstallation werden einzelne Kunstinseln hervorgehoben: Die Spots beleuchten mal Mobiles, die von der Decke baumeln, mal einige Sandhaufen mit Fundgegenständen am Boden und mal halbe Käfige, in die man sich zurückziehen kann wie in Höhlen. Von diesen offenen Halbkuppeln aus kann man auch den Film auf zwei Screens verfolgen oder den Blick von einer Installation zur anderen schweifen lassen, bis das nächtliche Theater wieder von vorne beginnt. Es sind 45 Minuten, manchmal treten auch Marginalien an der Wand – etwa aufgeklebte Spinnenkäfer nebst einem Geschirrtuch – ins Blickfeld. Die Mobiles bestehen aus Fundstücken: Federn, Ästen, Papier- und Plastikfragmenten, Muscheln, aber schon auch einmal einem Handy oder Kabelsalat, also Elektroschrott oder einer trockenen Lilienblüte, aus der ein Kabel mit Stecker herabbaumelt.
Archäologische Artefakte werden mit dem heutigen Müll locker und humorvoll kombiniert, zuweilen sieht man auch kitschige Elemente: Auch künstlerische Glasobjekte hängen in den Fäden oder liegen im Sand am Boden, zeigen Vögel, Äste, Muscheln und fantastische Mischwesen.
Schwesterliche Frauen
Im Film halten sich die schwesterlichen Frauen an den Händen wie im rituellen Reigentanz und sprechen von Marie Curie, Rosa Luxemburg oder Künstlerin Artemisia Gentileschi, von feministischen und queeren Philosophinnen. Zur Urform des griechischen Theaters passend wird es am Samstag um 16 Uhr eine Performance geben, in der Chöre eine Rolle spielen. Frauen verbergen sich im Film mit Federn am Kopf tanzend hinter Vorhängen wie die Wahrsagerinnen von Delphi, sie streifen durch die Natur im Morgengrauen zur wissenschaftlichen Expedition.
Schon am Eingang der Kunsthalle empfängt der Sound aus der Ausstellung wie ein Echo, im Ziegelfoyer baumelt ein erstes zartes Mobile, und bevor man den Ausstellungsraum betritt, fangen vier Becken an zu schlagen: Im wechselvollen Erzählstrang wird die kleine “Willendorferin” zum Popstar propagiert. Sie ist das gewöhnt, hunderte Wissenschaft- und Kunstprojekte waren ihr bereits gewidmet, vor allem von feministischer Seite bis hin zu Jeff Koons‘ “Ballon Venus” aus rosa Stahl als reiner Kunstmarktikone.
Der Titel der Festwochen-Schau wirkt wie eine Beschwörungsformel oder ein zu summender Liedtext, eine Zeile wie aus Hermann Hesses “Siddhartha”, einem Lieblingstext der Hippiegeneration, obwohl 1922 bereits geschrieben. Prouvost bleibt vielstimmig und kryptisch wie in ihrem Biennale-Beitrag in Venedig 2019. Die wichtige Soundspur integriert Elisabeth Schimanas Komposition “Zwiebelfäden”.